Hamburg. Ehemalige Angestellte berichten über ihre Erfahrungen an der Süderstraße – und warum sie schließlich gegangen sind.

Die Behörden ermitteln wegen zahlreicher angeblicher Verstöße gegen Vorschriften und Gesetze, der Betriebsrat klagt über „Ausbeutung, Bedrohung und Mobbing“ und Mitglieder beteuern, die erste Vorsitzende habe alle Macht an sich gerissen und walte in „Gutsherrenmanier.“ Der Vorstand des Hamburger Tierschutzvereins räumt ein, Fehler zu machen, betont aber „diese geschehen unabsichtlich“. Nun melden sich weitere ehemalige Mitarbeiter des von ihm betriebenen Tierheims zu Wort.

Einer davon ist Nick Martens. Der Tierpfleger hat 14 Jahre im Tierheim gearbeitet, bevor er im April 2018 kündigte. „Weil ich den Führungsstil und den Umgang mit Menschen nicht mehr ausgehalten habe“, so Martens. So seien in den vergangenen Jahren Mitarbeiter immer mehr unter Druck gesetzt worden. Als ein Beispiel nennt er die Auszubildenden, für die er zuständig war. „Denen wurde gesagt, ihre weitere Beschäftigung sei in Gefahr, falls sie nicht auch ehrenamtlich und in ihrer Freizeit arbeiten würden“, sagt er.

„Außerdem sind ihnen teils vollkommen absurde Verhaltensregeln auferlegt worden“, sagt der 33-Jährige. Es habe sogar einen Aushang gegeben, in dem unter anderem stand, dass keiner „Stinker“ möge – sie deshalb duschen sollten. Weiter heißt es in dem Text, der dem Abendblatt vorliegt, dass die Azubis verpflichtet seien, sich nach Aufforderung in den sozialen Netzwerken an Diskussionen zu beteiligen. Kritische Anmerkungen dürften allerdings nicht gepostet werden, heißt es.

Azubis mussten „ehrenamtlich“ arbeiten

Martens hat auch seine Erfahrungen mit ehrenamtlichen Tätigkeiten gemacht. Gemeinsam mit anderen hauptamtlichen Mitarbeitern des Tierheims hat er 2015 in seiner Freizeit einen „Stabmattenzaun“ auf dem Privatgrundstück der Vorsitzenden San­dra Gulla gebaut. In einer Stellungnahme bestätigt Gulla das und spricht von einem „Zaun zur Sicherung der rumänischen Pflegehunde“. Als Gegenleistung habe sie 2000 Euro an den Verein ProDogRomania gespendet. Der organisiert die Vermittlung von rumänischen Hunden nach Deutschland und arbeitete bis vor wenigen Tagen mit dem HTV zusammen. Gulla betonte, dass es sich beim Zaunbau um „einem freiwilligen ehrenamtlichen Arbeitseinsatz“ gehandelt habe.

Martens bestätigt das – teilweise. „Ich habe zwar freiwillig dort gearbeitet, das gilt aber nicht für alle Beteiligten“, sagt Martens. „Weitere Tierheim-Mitarbeiter haben während ihrer Arbeitszeit auf Gullas Privatgrundstück gearbeitet“, sagt Martens. Zu diesem Sachverhalt liegen dem Abendblatt von zwei Personen eidesstattliche Versicherungen vor.

Dass sogar das Verhalten der Eltern zu Problemen am Arbeitsplatz führen kann, schildert Tierpflegerin Marie Unland. Die heute 32-Jährige hat zehn Jahre im Tierheim gearbeitet. Ihre Eltern waren jahrelang engagierte Mitglieder im HTV. „Wir haben aber auch den Vorstand mal kritisiert“, sagt ihre Mutter Gisela Unland. „Kurz darauf wollte der Vorstand mit mir sprechen“, erinnert sich Tochter Marie. Der Vorwurf: Sie soll ihre Eltern gegen den Verein aufgehetzt haben. „Dann wurde mir nahegelegt, bei der nächsten Mitgliederversammlung für den Vorstand zu klatschen.“ Seit diesem Tag sei ihr das Leben schwer gemacht worden. „Plötzlich wurde mehrfach mein Erscheinungsbild kritisiert“, schildert sie. Und dann habe sie die Abteilung wechseln müssen – acht Jahre lang hatte sie sich „sehr gern“ um schwer vermittelbare Hunde gekümmert. „Ich habe es irgendwann psychisch nicht mehr ausgehalten und im Juni 2018 gekündigt.“

Keine Rücksicht auf Schwangere

Die Tierärztin Sonja Schirmer hat nicht gekündigt. Ursprünglich sei ihr ein langfristiges Arbeitsverhältnis in Aussicht gestellt worden. „Deswegen bin ich vor einem Jahr extra nach Hamburg gezogen“, sagt sie. Doch dann verlängerte der Vorstand ihren Zeit-Vertrag nicht. „Weil ich schwanger wurde.“ Davon ist Schirmer überzeugt. „Die Tierheimleiterin hat mir mitgeteilt, dass der Vorstand enttäuscht darüber sei, dass ich ein Kind bekomme“, sagt Schirmer.

Dementsprechend habe sie keine besondere Rücksicht erfahren – ganz im Gegenteil. Als sie bereits schwanger war und wegen typischer Beschwerden krankgeschrieben, habe Gulla ihr an einem Sonntag noch bis kurz vor Mitternacht geschrieben. Diese Textnachrichten liegen dem Abendblatt vor. Bezogen auf eine „Arbeitssicherheits-Beurteilung“, die „schnellstmöglich“ erstellt werden müsse, steht da: „Ist Ihnen das zwischen Ihren Übelkeiten morgen möglich?“ Als Schirmer sie auf die rechtliche Situation bezüglich krankgeschriebenen, schwangeren Mitarbeiterinnen hinweist, rudert Gulla zurück. „Wir werden uns selbstredend nun um alles kümmern“, schreibt sie und fügt noch an: „Alle sonstigen Absprachen laufen ebenfalls nur noch über mich.“

„Eigentlich könnte das Tierheim ein so schöner Arbeitsplatz sein“, sagt Schirmer rückblickend. „Aber es müsste andere Strukturen geben – und einen ganz anderen Umgang miteinander.“