Hamburg. Freitag findet die erste Führung durch das Haus des Altkanzlers in Langenhorn statt. Schon vorher durften 50 Abendblatt-Leser hinein.

Ein Blick in die Silberschatulle im Arbeitszimmer gehört dazu. Und tatsächlich, da liegen sie unverändert gestapelt, die vom Hausherrn einst geliebten Mentholzigaretten mit Filter. Nach wie vor befindet sich das in der Kriegsgefangenenschaft von Helmut Schmidt (1918–2015) handgefertigte Schachspiel im Regal. Neben dem Schreibtisch liegt ein einfacher Elektrorasierer. Im Flur hängt das gerahmte Foto von Helmuts sechstem Kindergeburtstag. Auf dem Flügel im Wohnzimmer ruht ein evangelisches Gesangsbuch. Wie immer. Daneben stehen Lokis alte Kakteen. Jüngst haben sie noch geblüht.

Alles blieb so, wie es war. Bis ins Detail – und ganz bewusst. Von April an kann sich die Öffentlichkeit ein Bild vom berühmten Privathaus der Familie Schmidt am Neubergerweg in Langenhorn machen. Es war der letzte gemeinsame Wille von Hannelore und Helmut Schmidt: Die Räume sollen originalgetreu erhalten bleiben. Mit ihnen werden der bürgerliche Charme und der einmalige Charakter der Räume konserviert. Und da die Privatzimmer mit mehreren Tausend Erinnerungsstücken nicht für einen Massenbetrieb tauglich sind, erhalten ausschließlich kleine, angemeldete Gruppen Zutritt.

"Helmut Schmidt zieht immer noch enorm"

Vor den öffentlichen Rundgängen, die jeweils eine halbe Stunde dauern und für 12 Euro gebucht werden können, kamen 50 Abendblatt-Leser an der Reihe – in Gruppen à fünf Personen.

Die Premierenbesucher hatten Losglück. An einer anlässlich Helmut Schmidts 100. Geburtstag am 23. Dezember des vergangenen Jahres vom Abendblatt organisierten Aktion beteiligten sich rund 2000 Leser. „Helmut Schmidt zieht immer noch enorm“, sagte der für die laufende Fotoausstellung „100 Jahre in 100 Bildern“ verantwortliche Kurator Magnus Koch. „Als ich zum ersten Mal hier war“, verrät er, „wollte ich mir instinktiv die Schuhe ausziehen.“

Man fühle sich „wie bei fremden Leuten zu Hause“ und sei aufgerufen, behutsam und respektvoll mit der Einrichtung umzugehen. Koch feilt auch am Inhalt der Führungen und war am Sonntag ebenso zur Stelle wie Helmut Schmidts langjährige Haushälterin. Sie hält ihrem ehemaligen Chef unverändert die Treue.

Besucher können das ganze Haus besichtigen

Das Wort jedoch gebührt der Kunsthistorikerin Ina Hildburg- Schneider­. Die 35-Jährige, engagiert von der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung, geht elanvoll an den Start – wie ein Lexikon auf zwei Beinen. Bereits die Einführung in der Doppelhaushälfte mit der Hausnummer 82 bringt dem Besucherquintett eine überraschende Information. „Direkt hinter Ihnen befindet sich Susanne Schmidts früheres Jugendzimmer“, erklärt Frau Hildburg-Schneider. „Dort übernachtete später auch US-Präsident Gerald Ford.“

An diesem Schreibtisch führte Hausherr Helmut Schmidt seine Geschäfte.
An diesem Schreibtisch führte Hausherr Helmut Schmidt seine Geschäfte. © Roland Magunia/Hamburger Abendblatt | Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

Durch einen Archivraum führt der Weg in Helmut Schmidts Arbeitszimmer. Der Schreibtisch und ein Teil der Regale mit kleinen und größeren Schätzen aus zwei langen Leben sind mit einem Band abgesperrt. Sehen jedoch kann man alles. „Hier wurde Weltgeschichte geschrieben“, sagt Besucherin Petra Hasselberg aus Winterhude. „Die Atmosphäre gebietet Ehrfurcht“, ergänzt Jan-Peter Behnken aus Niendorf. „Man kann quasi die Größen der Zeit an sich vorbeiziehen sehen.“

Frau Hildburg-Schneider weiß mehr. Ihr Faktenfundus basiert auf historischem Interesse, der Lektüre mehrerer Schmidt-Biografien sowie dem freiberuflichen Einsatz als Guide der Fotoausstellung am Kattrepel in der City. Die Führungen durch das Schmidt-Haus übernimmt sie im Wechsel mit ihrer Kollegin Melanie von Bismarck.

"Man sieht, dass hier gelebt wurde"

Die Besucher spüren, dass ihr die Führung Freude bereitet. Sie verweist auf Helmut Schmidts 24 Ehrendoktor­titel, zeigt von außen auf Lokis altes Schlafzimmer, schildert den Alltag des Ehepaars – und bittet die Gruppe in den Flur. In der Ecke steht ein Polstersessel. Hannelore Schmidt nutzte ihn für ausführliche Telefongespräche. Daneben befinden sich zwei große Aschenbecher.

„Man sieht, dass hier gelebt wurde“, befindet Besucherin Monika Krammer aus Winterhude. „Alles wirkt sehr gemütlich.“ Kerstin Hach aus Quickborn erkennt eine zeitlose, klassische Einrichtung, „auch wenn der Zahn der Zeit ein bisschen daran genagt hat“. Kai Eckert meint: „Fast könnte man vermuten, dass nebenan Helmut Schmidt sitzt und eine Zigarette pafft.“

Loki Schmidts Kamelie gedeiht wunderbar

Über Perserteppiche, die neuerdings mit Plastikfolie geschützt werden, geht die Gruppe weiter. Der hintere Bereich mit Wohnzimmer, der holzverkleideten Bar und dem Esszimmer ist teilweise einsehbar, darf indes nicht betreten werden. Die Gäste sind enttäuscht, zeigen jedoch Verständnis.

Zumal sie Glück haben, dass die Haushälterin ein paar zusätzliche Details verrät. Durch das große Fenster hinter dem Piano zeigt sie auf den Garten, Lokis Paradies. Regen prasselt in das Wasserbecken vis-à-vis. Am Zaun hängen exotische Kunstwerke aus Übersee. Direkt an der Hauswand wächst eine Kamelie. „Einstmals hat Frau Schmidt sie in einem kleinen Topf eingepflanzt“, weiß die Haushälterin. „Sie wuchs so hoch hinaus, dass Herr Schmidt sich oben im Arbeitszimmer über die Blüten freute.“

Diese Kamelie gedeiht wunderbar.