Hamburg. Eine Studentin erzählt im TV von ihrem größten Wunsch. Helmut Schmidt meldet sich bei ihr. Büroleiter Uwe Plachetka erinnert sich.

Früher Abend, im Fernsehen läuft eine Quizsendung. Eine junge Studentin gewinnt. Auf die Frage des Moderators, was sie sich am meisten wünsche, antwortet sie spontan: „Eine Stunde mit Helmut Schmidt.“

Uwe Plachetka, ab 1986 persönlicher Referent und bis 2001 Büroleiter des Altkanzlers, geht sofort nach nebenan in das Zimmer seines Chefs, der die Rateshow auch gesehen hat und sofort sagt: „Ich mach’s.“ Wenige Wochen später findet das Treffen statt. Aus einer Stunde werden zwei.

Helmut Schmidt „verhört“ die Studentin

„Helmut Schmidt wollte einfach alles wissen. Was sie studiere, was sie interessiere, wie ihre politische Haltung sei, was sie gerade lese und so weiter“, erinnert sich Uwe Plachetka an diese Begegnung Mitte der 90er-Jahre. Die Studentin sei schweißgebadet, wie nach einer Examensprüfung, aus dem Büro gekommen. „Sie sagte nur: Und ich wollte mich doch nur unterhalten ...“, sagt Plachetka und lacht.

Die Lebenslinie von Helmut Schmidt

 

* 23. Dezember 1918

1918

23.12. Helmut Heinrich Waldemar Schmidt wird in Hamburg als Sohn des Studienrats Gustav Schmidt und seiner Gattin Ludovica im Krankenhaus an der Finkenau geboren.

1925

Helmut Schmidt kommt in die Volksschule an der Wallstraße.

1933

Helmut Schmidt erfährt, dass sein leiblicher Vater Halbjude ist – behält dieses Wissen aber bis 1984 für sich.

1936

Schmidt fliegt aus der Hitlerjugend, weil er den Wunsch nach Freiheit an eine Wand malt.

1937

März Abitur an der Lichtwarkschule in Winterhude; Wehrdienst in Bremen-Vegesack

1939

Feldwebel der Reserve zur Luftverteidigung Bremens

1940

Leutnant der Reserve

1941

Offizier an der Ostfront mit Belagerung Leningrads

1942

27. Juni. Helmut Schmidt heiratet Hannelore („Loki“) Glaser (1919–2010). Die kirchliche Trauung findet am 1. Juli 1942 in der St.­-Cosmae­-und­-Damiani-Kirche zu Hambergen statt.

1944

26. Juni. In Bernau wird Sohn Helmut Walter geboren. Er stirbt dort am 19. Februar. 1945 Zuschauer der Schauprozesse gegen die Widerständler des 20. Juli.Helmut Schmidt wird von wohlmeinenden Offizieren an die Westfront versetzt, um ihn vor Ermittlungen wegen Wehrkraftzersetzung zu schützen.

1945

April bis August Kriegsgefangenschaft.Schmidt wird SPD­-Mitglied.Schmidt beginnt sein Studium der Volkswirtschaftslehre sowie Staatswissenschaft.

1947

Helmut Schmidt wird Vorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS).8. Mai. Tochter Susanne wird geboren.

1949

Karl Schiller holt Schmidt in die Behörde für Wirtschaft und Verkehr.

1952

Leiter des Amtes für Verkehr

1953-1962

Mitglied des Deutschen Bundestages

1958

März. Helmut Schmidt wird nach Gründung der Bundeswehr zum Hauptmann d. R. befördert. Im Oktober/November 1958 nimmt er an einer Wehrübung in der „Iserbrook­Kaserne“ teil; noch während der Übung wird er mit der Begründung, er sei ein Militarist, kurzfristig aus dem Vorstand der SPD­Bundestagsfraktion abgewählt.

1961

13.12. Senator der Polizeibehörde (später Innensenator)

1965

erneut Mitglied des Deutschen Bundestages (bis 1982)

1966

Kampfabstimmung um den SPD-Landesvorsitz: Schmidt unterliegt Paul Nevermann mit 139 zu 176 Stimmen.

1967

Vorsitzender der SPD-­Bundestagsfraktion (bis 1969)

1968

vierwöchige Reise mit der Familie durch Osteuropa

1972

7. 7. Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen als Nachfolger von Karl Schiller; nach der Bundestagswahl nur Finanzminister

1974

16. Mai. Wahl zum Bundeskanzler

1975

Zusammen mit Giscard d’Estaing ruft Schmidt den Weltwirtschaftsgipfel ins Leben.

1978

6. Mai. Staatsbesuch in Langenhorn: Leonid Breschnew besucht Schmidt zu Hause.

1981

13. Oktober. Helmut Schmidt wird ein Herzschrittmacher eingesetzt. Zuvor musste er zweimal wiederbelebt werden.

1982

1.10. Helmut Kohl wird Nachfolger von Helmut Schmidt.

1983

Schmidt wird Hamburger Ehrenbürger.Schmidt wird Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“.

1993

Helmut Schmidt ist Mitbegründer der Deutschen Nationalstiftung.Die Helmut und Loki Schmidt Stiftung wird gegründet.

2009

Januar. In Hamburg feiern 400 Ehrengäste den 90. Geburtstag des Staatsmanns – darunter Valéry Giscard d’Estaing, Henry Kissinger und Richard von Weizsäcker.12. Oktober. Loki Schmidt wird Ehrenbürgerin.

2010

21. Oktober. Loki Schmidt stirbt.

2011

Helmut Schmidt tritt im Bürgerschaftswahlkampf für Olaf Scholz auf.

 

† 10. November 2015

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Aber so sei sein „Chef“, wie der promovierte Volkswirt Plachetka im privaten Gespräch Helmut Schmidt voller Respekt nennt, eben gewesen. Ein wissbegieriger Mann, der den Small Talk verachtete, für den ein Gespräch immer Tiefgang haben musste. „Bei Abendveranstaltungen mit langen Essen habe ich deshalb immer darauf geachtet, wer neben Helmut Schmidt sitzen wird“, sagt der frühere Ministerialdirigent.

„Ich habe immer gesagt: lieber ein junger Wissenschaftler als irgendein wortkarger CEO.“ Denn wenn sich der Altkanzler gelangweilt oder intellektuell unterfordert fühlte, sei es auch mal vorgekommen, dass er aufstand und sagte: „Uwe, ich gehe zurück aufs Hotelzimmer und lese dort noch ein bisschen.“

Für Plachetka war er immer „Herr Schmidt“

Ja, Helmut Schmidt habe ihn zwar mit dem Vornamen angeredet, aber stets gesiezt. Für ihn sei sein Vorgesetzter zeitlebens „Herr Schmidt“ gewesen. „Zwischen uns gab es eine professionelle Distanz, die eben auch den Freiraum zur Kritik ermöglichte. Das war Helmut Schmidt wichtig.“ Ebenso wie absolute Aufrichtigkeit. „Er hat immer gesagt: Sagen Sie lieber zehnmal ,Ich weiß es nicht‘ als einmal etwas Falsches.“

Uwe Plachetka war einst Büroleiter von Helmut Schmidt
Uwe Plachetka war einst Büroleiter von Helmut Schmidt © Uwe Plachetka | Uwe Plachetka

Immer fair sei Helmut Schmidt gewesen, sein Wort zählte. „Und sehr vielseitig interessiert und extrem arbeitsam. Jedes Jahr hat er mindestens ein Buch geschrieben, dazu die vielen Reisen und Termine.“ Regelmäßigen Feierabend gab es selten. Das haben auch Uwe Plachetkas Ehefrau und die drei Kinder akzeptiert. Die Vorbereitung der Reisen, etwa 30 bis 50 pro Jahr, war Plachetkas Hauptaufgabe.

Tokio, Peking, Sydney und New York

Der heute 78-Jährige begleitete den Altkanzler unter anderem in den Kaiserpalast nach Tokio, in die Halle des Himmlischen Friedens nach Peking oder zu einem Hamburg-Abend mit Freddy Quinn in die Oper von Sydney. „Da wäre ich als Privatmann teilweise nie hingekommen“, sagt Uwe Plachetka, der in Bonn lebt.

Aber die Reisen seien auch immer sehr fordernd gewesen. „Da läuft man mit Helmut Schmidt durch New York, und dann will er ja quasi über jeden Wolkenkratzer wissen – wann der erbaut wurde, wer ihn entworfen hat, welche Firma da drin sitzt und wie viele Menschen dort arbeiten.“ Doch, da habe er das eine oder andere Mal schon sagen müssen: „Chef, das weiß ich nicht.“

Gern habe Schmidt auch mal 30 Minuten vor einer Abreise den Plan durcheinandergewirbelt. „Aber das war nie Willkür, er hat es immer gut begründet.“ Man dürfe nicht vergessen, dass das die Zeit nach der RAF-Ära gewesen sei und Schmidt als prominenter Politiker auch immer ein potenzielles Ziel war.

Private Momente habe es wenige gegeben, dafür sei das berufliche Vertrauensverhältnis umso größer gewesen – von Anfang an, seit sich Uwe Plachetka 1986 gegen mehrere Bewerber um den Posten des persönlichen Referenten durchgesetzt hatte. „Um 23 Uhr war ich endlich dran.“ Zwei Stunden hätten sie diskutiert. „Es war wie eine Prüfung – meine schönste.“