Hamburg. Eine Studentin erzählt im TV von ihrem größten Wunsch. Helmut Schmidt meldet sich bei ihr. Büroleiter Uwe Plachetka erinnert sich.
Früher Abend, im Fernsehen läuft eine Quizsendung. Eine junge Studentin gewinnt. Auf die Frage des Moderators, was sie sich am meisten wünsche, antwortet sie spontan: „Eine Stunde mit Helmut Schmidt.“
Uwe Plachetka, ab 1986 persönlicher Referent und bis 2001 Büroleiter des Altkanzlers, geht sofort nach nebenan in das Zimmer seines Chefs, der die Rateshow auch gesehen hat und sofort sagt: „Ich mach’s.“ Wenige Wochen später findet das Treffen statt. Aus einer Stunde werden zwei.
Helmut Schmidt „verhört“ die Studentin
„Helmut Schmidt wollte einfach alles wissen. Was sie studiere, was sie interessiere, wie ihre politische Haltung sei, was sie gerade lese und so weiter“, erinnert sich Uwe Plachetka an diese Begegnung Mitte der 90er-Jahre. Die Studentin sei schweißgebadet, wie nach einer Examensprüfung, aus dem Büro gekommen. „Sie sagte nur: Und ich wollte mich doch nur unterhalten ...“, sagt Plachetka und lacht.
Die Lebenslinie von Helmut Schmidt
Aber so sei sein „Chef“, wie der promovierte Volkswirt Plachetka im privaten Gespräch Helmut Schmidt voller Respekt nennt, eben gewesen. Ein wissbegieriger Mann, der den Small Talk verachtete, für den ein Gespräch immer Tiefgang haben musste. „Bei Abendveranstaltungen mit langen Essen habe ich deshalb immer darauf geachtet, wer neben Helmut Schmidt sitzen wird“, sagt der frühere Ministerialdirigent.
„Ich habe immer gesagt: lieber ein junger Wissenschaftler als irgendein wortkarger CEO.“ Denn wenn sich der Altkanzler gelangweilt oder intellektuell unterfordert fühlte, sei es auch mal vorgekommen, dass er aufstand und sagte: „Uwe, ich gehe zurück aufs Hotelzimmer und lese dort noch ein bisschen.“
Für Plachetka war er immer „Herr Schmidt“
Ja, Helmut Schmidt habe ihn zwar mit dem Vornamen angeredet, aber stets gesiezt. Für ihn sei sein Vorgesetzter zeitlebens „Herr Schmidt“ gewesen. „Zwischen uns gab es eine professionelle Distanz, die eben auch den Freiraum zur Kritik ermöglichte. Das war Helmut Schmidt wichtig.“ Ebenso wie absolute Aufrichtigkeit. „Er hat immer gesagt: Sagen Sie lieber zehnmal ,Ich weiß es nicht‘ als einmal etwas Falsches.“
Immer fair sei Helmut Schmidt gewesen, sein Wort zählte. „Und sehr vielseitig interessiert und extrem arbeitsam. Jedes Jahr hat er mindestens ein Buch geschrieben, dazu die vielen Reisen und Termine.“ Regelmäßigen Feierabend gab es selten. Das haben auch Uwe Plachetkas Ehefrau und die drei Kinder akzeptiert. Die Vorbereitung der Reisen, etwa 30 bis 50 pro Jahr, war Plachetkas Hauptaufgabe.
Tokio, Peking, Sydney und New York
Der heute 78-Jährige begleitete den Altkanzler unter anderem in den Kaiserpalast nach Tokio, in die Halle des Himmlischen Friedens nach Peking oder zu einem Hamburg-Abend mit Freddy Quinn in die Oper von Sydney. „Da wäre ich als Privatmann teilweise nie hingekommen“, sagt Uwe Plachetka, der in Bonn lebt.
Aber die Reisen seien auch immer sehr fordernd gewesen. „Da läuft man mit Helmut Schmidt durch New York, und dann will er ja quasi über jeden Wolkenkratzer wissen – wann der erbaut wurde, wer ihn entworfen hat, welche Firma da drin sitzt und wie viele Menschen dort arbeiten.“ Doch, da habe er das eine oder andere Mal schon sagen müssen: „Chef, das weiß ich nicht.“
Gern habe Schmidt auch mal 30 Minuten vor einer Abreise den Plan durcheinandergewirbelt. „Aber das war nie Willkür, er hat es immer gut begründet.“ Man dürfe nicht vergessen, dass das die Zeit nach der RAF-Ära gewesen sei und Schmidt als prominenter Politiker auch immer ein potenzielles Ziel war.
Private Momente habe es wenige gegeben, dafür sei das berufliche Vertrauensverhältnis umso größer gewesen – von Anfang an, seit sich Uwe Plachetka 1986 gegen mehrere Bewerber um den Posten des persönlichen Referenten durchgesetzt hatte. „Um 23 Uhr war ich endlich dran.“ Zwei Stunden hätten sie diskutiert. „Es war wie eine Prüfung – meine schönste.“