Hamburg. In Hamburg gibt es so viele Möglichkeiten wie nie, Essen zu gehen. Und dabei kommt es nicht nur darauf an, dass es schmeckt.

Der Blick in den Kühlschrank – enttäuschend: Milch, Joghurt, eine Tomate, Gewürzgurken, ein trockenes Stück Käse. Keine Zutaten für ein appetitliches Mahl. Der Blick auf die Uhr – ernüchternd: Schon wieder fast 20 Uhr. Das Gefühl im Magen – flau: Hunger! Und der Tag war auch hart. Also essen gehen: Nahrungsaufnahme, Belohnung und sinnliches Event in einem.

In Hamburg gibt es mehr als 5300 gastronomische Betriebe – vom mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurant bis zum Imbiss, von Schnitzel XXL aus Massentierhaltung bis zu veganer Kost mit Produkten aus Bio-zertifiziertem Öko-Landbau, von „All you can eat“ bis zu neuer deutscher Übersichtlichkeit auf dem Teller und natürlich Speisen aus aller Welt. Wer Geld dafür ausgeben kann und will, sich an einen gedeckten Tisch zu setzen, sich bedienen und verköstigen zu lassen, findet in Hamburg das Schlaraffenland. Denn die Auswahl ist deutlich größer als noch vor zehn Jahren.

„Es gibt eine Entwicklung vom Versorgungskonsumenten zum Erlebniskonsumenten“, sagt Professor Ulrich Reinhardt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen. Natürlich wolle man auch seinen Hunger stillen. „Aber es geht genauso um Geselligkeit, Genuss und etwas Besonderes.“ Essen im Lokal ohne besonderen Anlass gehört heute zu unserem Lebensstil dazu. Früher mussten es schon der Hochzeitstag der Eltern oder Omas Geburtstag sein. Das Repertoire der Restaurants war viel kleiner, und es gab keine Bewertungsportale im Internet.

Gutes Pflaster für Gastronomie

Ein Essen außer Haus heißt Zeit mit dem Partner oder der Partnerin zu verbringen, die Kinder vom Computer oder Smartphone wegzulocken. „Quality Time“­ für die Familie. Sich eine Dienstleistung kaufen und etwas Neues ausprobieren. Weil wir schon rumgekommen sind, wissen wir, wie die Suppe Tom Kha Gai aus Thailand schmeckt, kennen Köfte, Tabouleh und Sushi. In Hamburg gibt es fast alles fast immer: kanadischen Hummer, Kobe-Rind aus Japan, chinesischen Ingwer oder Flugmango aus Myanmar.

Die Hansestadt ist ein gutes Pflaster für Gastronomie. An Elbe und Alster ist es schön, es kommen viele Touristen, in der Stadt wohnen genügend Menschen, denen es wirtschaftlich gut geht. „Ohne Hamburger Gäste wird ein Restaurant nicht überleben“, sagt Thomas Sampl, Koch und einer der Chefs in der Hobenköök in der HafenCity. Seine Kollegin Cornelia Poletto, TV-Köchin mit eigenem Betrieb in Eppendorf, sieht es ähnlich: „Hamburger Gäste haben Ansprüche und sind treu, wenn man entsprechende Qualität liefert und sich ihnen bewiesen hat.“ Und Thomas Imbusch vom Restaurant 100/200 bringt die Größe der Stadt ins Spiel. „Die Stadtteile sind so verschieden, dass es Bedarf für viele Arten von Gastronomie gibt. Von der Schanze nach Eppendorf, von der HafenCity über Winterhude nach Rissen – überall andere Chancen.“

Thomas Imbusch setzt in seinem Restaurant 100/200 vor allem auf Authentizität, Qualität und auf eine klare Linie.
Thomas Imbusch setzt in seinem Restaurant 100/200 vor allem auf Authentizität, Qualität und auf eine klare Linie. © HA | Hernandez

Warum gehen die Menschen essen? Früher war Hausfrau ein Lebensmodell. Heute gehen Frauen arbeiten. Ein Leben am Herd strebt praktisch keine mehr an. Und viele Familien können sich die Großstadt auch nur mit zwei Einkommen leisten. Also fehlt die Zeit zum Kochen und auch zum ausgedehnten Einkauf auf dem Wochenmarkt. Und es mangelt häufig an Kenntnissen, wie lange ein Rinderbraten braucht oder man eine Brühe auf Markknochen ansetzt. TV-Shows rund ums Essen und Zubereiten von Mahlzeiten sind beliebt, und in so manchem Haushalt steht eine Einbauküche im Wert eines Kleinwagens. Aber dann wird doch nur Wasser gekocht oder Tiefkühlkost erwärmt.

Wichtige Zutaten für ein gutes Konzept

Für ein gutes gastronomisches Konzept braucht es einige wichtige Zutaten. Authentizität, Qualität, eine klare Linie von der Speise- und Weinkarte über das Ambiente bis zum freundlichen, professionellen und kundigen Service. „Es geht um die Idee, deren Umsetzung und den fachmännischen Umgang mit Lebensmitteln“, sagt Thomas Sampl. „Es ist wichtig, ein guter Gastgeber zu sein“, urteilt Thomas Imbusch. „Und der Gast möchte Ansprache, Kommunikation und wissen, was ihn erwartet.“ Cornelia Poletto empfiehlt, „sich selbst und dem eigenen Stil treu zu bleiben. Wenn ich plötzlich asiatisch koche und Burger brate, wäre das nicht glaubwürdig“.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor: Die Speisen müssen nicht nur gut schmecken, sondern vor allem gut aussehen. Food-Fotos boomen auf den einschlägigen Portalen im Internet, ein paar Zeilen und vor allem Bilder auf Food-Blogs können einem Lokal ordentlich Zulauf bescheren. Peer Petersen, Chef vom Locks und Wellingten im Alstertal, spricht deshalb von der „Instagramisierung“ in der Gastronomie. „Die Betriebe sollten originelle Hintergründe für schöne Selbstporträts ihrer Gäste schaffen und Speisen fotogen anrichten.“ Und da die Menschen immer mehr reisen und sich für die Herkunft oder Zubereitung von Lebensmitteln interessieren, sind sie auch neuen Dingen gegenüber aufgeschlossen. Leichte Speisen wie Poke Bowls aus Hawaii, würzige Suppen mit Einlage wie Ramen oder Pho aus Asien, marinierter Fisch wie Ceviche aus Südamerika finden in Hamburg begeisterte Konsumenten.

„Ohne Hamburger Gäste wird ein Restaurant nicht überleben“, sagt Thomas Sampl, Koch und einer der Chefs in der Hobenköök.
„Ohne Hamburger Gäste wird ein Restaurant nicht überleben“, sagt Thomas Sampl, Koch und einer der Chefs in der Hobenköök. © HA | Hernandez

Gleichzeitig sind vegetarische oder vegane Speisen gefragt ebenso wie Produkte aus der Region. „Vor zehn Jahren wurden wir noch für unsere Idee verspottet, Lebensmittel möglichst aus dem Umland zu beziehen ohne lange Transportwege und von Produzenten, die wir kennen“, sagt Thomas Sampl. Sein Kollege Imbusch hat als Markenzeichen, dass er das ganze Tier verarbeitet („from nose to tail“). „Ein Huhn hat eben nicht nur zwei Keulen und ein Rind nicht nur Filet“, so der Experte.

Schlechte Prognose

Gastronomie in fünf bis zehn Jahren – da machen sich Betreiber große Sorgen, denn die Personalsituation wird sich eher verschlechtern. „In der Hotellerie und Gastronomie in Hamburg könnten schon jetzt 5000 zusätzliche Kräfte arbeiten“, sagt Franz Klein, Präsident des Dehoga Hamburg. Imbusch und Sampl befürchten mehr Franchise- und System-Gastronomie oder gehen davon aus, dass Restaurants wegen Personalmangels nur noch am Wochenende geöffnet haben werden.

Cornelia Poletto rechnet mit steigenden Preisen. „Wenn wir gute Mitarbeiter gewinnen und behalten möchten, müssen wir sie auch gut bezahlen. Sie sind kein Tellertaxi, sondern ein sehr wichtiger Teil der Mannschaft.“ Zukunftsforscher Reinhardt stimmt ihr zu: „Die Themen Entlohnung und Arbeitszeiten werden die Herausforderungen sein.“