Hamburg. Mit einer Kamera in einer Cola-Flasche wurde das Haus anscheinend vom gegenüberliegenden Seniorenheim aus bespitzelt.

Bis Mittwochmittag standen sie noch auf einer Fensterbank im Dachgeschoss des Elisabeth Alten- und Pflegeheims der Freimaurer von 1795: zwei Cola-Flaschen und eine Flasche Mezzo-Mix. Was das Arrangement so besonders macht, ist der Umstand, dass die Polizei offenbar in einer der aufgereihten Flaschen, einer Cola-Zero-Flasche, eine Überwachungskamera installiert hatte – schräg gegenüber einem linken Wohnprojekt mit der Adresse Kleiner Schäferkamp 46.

Im Erdgeschoss befindet sich der linke Infoladen „Schwarzmarkt“, ein Treffpunkt der autonomen Szene. Wurden die Hausbewohner seit Wochen ausgespäht? „Ich fühle mich wie einem Überwachungsstaat“, wird eine Bewohnerin in einer Mitteilung des Hausprojekts („Big bottle is watching you!“) zitiert. „Die Überwachung stellte einen Eingriff in unser Persönlichkeitsrecht dar.“

Wurden auch Passanten gefilmt?

Ob die Bewohner tatsächlich gefilmt wurden, ist gut möglich – gesichert ist es nicht. Die Linse soll nach Überzeugung der Bewohner heimlich den Eingangsbereich des Hauses, die privaten Wohnräume und das nähere Umfeld des Gebäudes einschließlich des Gehweges erfasst haben – und somit auch möglicherweise Passanten. Zunächst hatte die "taz" über den Fall berichtet.

Die in einer Colaflasche versteckte Kamera im Fenster des Seniorenheims.
Die in einer Colaflasche versteckte Kamera im Fenster des Seniorenheims. © privat

Gegenüber dem Abendblatt räumt Hans Jürgen Wilhelm, der Leiter des Altenheims zwar ein, dass die Polizei in der Colaflasche auf der Fensterbank eines Dienstzimmers der Pflegestation die Kamera installiert hatte. Daneben lag ein Zettel mit der Aufschrift: „Fenster geschlossen halten, bitte nichts umstellen.“ Die Videoüberwachung sei aber der Drogenproblematik im Schanzenviertel geschuldet – so zumindest habe er es verstanden, als ihn die Polizei Ende 2018 darum bat, die Kamera aufstellen zu dürfen.

Drogenkriminalität soll Ausschlag gegeben haben

Mehrfach hätten Beamte zudem nach dem Gerät geschaut. „Ich habe das nicht in Frage gestellt, weil es die Drogenkriminalität rund um das Haus ja wirklich gibt“, sagt Wilhelm. Immer wieder hätten Beamte im Zusammenhang mit der Drogenkriminalität das Altenheim aufgesucht. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass es sich bei dem gegenüber liegenden, bunten Gebäude um ein „observierungswürdiges Objekt“ handeln könnte. Ein Geheimnis sei die Existenz der Kamera im Altenheim nicht gewesen.

Am Mittwochmorgen wiesen mehrere Bewohner des Wohnprojekts den Leiter des Seniorenheims auf die getarnte Kamera hin. Es habe einen Hinweis gegeben. Seit Wochen schon müssten sie zum Schutz ihrer Privatsphäre die Vorhänge vor den Fenstern zuziehen. Er habe danach die Polizei angerufen und die Kamera am Mittag zurückgegeben, sagt Wilhelm.

Heimleiter ein "Handlanger der Polizei"

Ganz sicher sei es nicht seine Absicht gewesen, dass seine Nachbarn ausspioniert werden. „Das macht mich schon ein Stück weit betroffen“, sagt Wilhelm, dem nun das Kainsmal des „Handlangers der Polizei“ anhaftet, wie es in der Mitteilung des Hausprojektes heißt.

Die Polizei hält sich auf Anfrage bedeckt, sie bestätigt und dementiert nichts. „Die Polizei wird aus grundsätzlichen Erwägungen hierzu keine Stellungnahme abgeben, Fragen werden wir dazu nicht beantworten“, hieß es. Die Empörung bei den Hausbewohnern jedenfalls ist enorm, sie sprechen von einem „Skandal.“ Im Nachgang von G20, so eine Bewohnerin, hätten es die Ermittlungsbehörden offenbar leicht, „grünes Licht für weitreichende Überwachungsmaßnahmen linker Strukturen zu bekommen“.

Videoüberwachung grundsätzlich zulässig

In den Fall hat sich nun auch der Hamburgischer Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar eingeschaltet. „Wir werden die Polizei um Auskunft zu dem Vorgang bitten“, sagte eine Sprecherin dem Abendblatt. Eine Videoüberwachung durch die Polizei im öffentlichen Raum könne zulässig sein – daran seien aber enge gesetzliche Voraussetzungen geknüpft.

Paragraf 8 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei lässt zur „vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten“ Bildaufnahmen zu, allerdings nur offen, nicht verdeckt. Ob regelmäßig in diesem Bereich Drogendelikte begangen werden, weiß wiederum nur die Polizei genau. Paragraf 10 des polizeilichen Datenverarbeitungs-Gesetzes gestattet auch verdeckte Bildaufnahmen, „wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des oder eines Landes (….)“ erforderlich ist oder es konkrete Anhaltspunkte gibt, dass Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden.

Anwalt hat Zweifel an Rechtmäßigkeit

Beim Verdacht einer Straftat kommt Paragraf 100h der Strafprozessordnung als Rechtsgrundlage für eine Überwachung in Betracht. Danach dürfen außerhalb von Wohnungen auch ohne Wissen des Betroffenen Bildaufnahmen hergestellt werden, „wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre“.

Rechtsanwalt Gerrit Onken, er vertritt das Hausprojekt, hat erhebliche Zweifel, dass die Überwachung gesetzeskonform ist. „Auf Basis meines jetzigen Wissensstandes fällt mir keine einzige Konstellation ein, unter der die Maßnahme rechtmäßig sein könnte“, so Onken. Hinzu komme: „Wenn eine staatliche Überwachungskamera in einem frei zugänglichen Bereich installiert worden ist, dann ist das datenschutzrechtlich hochproblematisch, zumal Zugriffe Dritter nicht ausgeschlossen werden können.“

Die Polizei müsse nun „schnell und gründlich aufklären“, fordert die Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider (Linke). „Von der Observation, die mit allergrößter Wahrscheinlichkeit dem linken Infoladen und dem linken Wohnprojekt galt, sind zahllose Menschen betroffen, Bewohner, Besucher, Nachbarn, Passanten“, sagt Schneider. „Dass zu dieser verdeckten Überwachung ein Alten- und Pflegeheim missbraucht wurde, finde ich ebenfalls sehr problematisch. Der ganze Vorgang wirft die Frage auf, wie eigentlich solche polizeilichen Maßnahmen, die tief in Grundrechte eingreifen, kontrolliert werden.“