Hamburg. Hamburgs oberster Verkehrspolizist Ulf Schröder kritisiert “Hektik und Aggression“ – und ruft zu Gelassenheit auf.

Fünf tote Fußgänger in nur einem Monat: Eine Häufung von fatalen Unfällen in der Hansestadt alarmiert die Polizei. Zuletzt wurde ein Paar aus Bremervörde auf der Amsinckstraße von einem Auto erfasst – der 40 Jahre alte Mann starb. Im Abendblatt-Gespräch übt der Chef der Verkehrsdirektion, Ulf Schröder, deutliche Kritik am Verhalten von Fußgängern und dem Verkehrsklima. Er fordert die Hamburger auf, im Alltag auf den Straßen gleichzeitig entspannt und wachsam zu sein.

Herr Schröder, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn wie zuletzt in wenigen Wochen fünf Fußgänger sterben?

Ulf Schröder: Bereits im vergangenen Jahr haben wir mit 14 getöteten Fußgängern in Hamburg eine hohe Zahl verzeichnet. Aber die jüngste Entwicklung macht mich sehr nachdenklich.

Erkennen Sie Parallelen bei den letzten Unfällen?

Schröder: Es zeichnet sich klar ab, dass die meisten der aktuell getöteten Fußgänger unachtsam Straßen betraten, um diese zu überqueren. Und das oftmals an Stellen, an denen gar keine Querung vorgesehen ist – zudem war es häufig noch dunkel, und die Personen waren dunkel gekleidet.

Wie erklären Sie sich das Verhalten der Fußgänger?

Schröder: Wir haben zwar im Jahr 2018 insgesamt weniger Fußgängerunfälle als im Vorjahr registriert. Das ist erst mal positiv. Allerdings stechen die besonders schweren Unfälle mit Fußgängern hervor. Wir stellen immer häufiger fest, dass Fußgänger zum Teil über mehrspurige Straßen laufen, um etwa den Bus auf der anderen Straßenseite zu erreichen. Das ist schlichtweg lebensgefährlich. Es klingt eigentlich banal, aber wir müssen sehr deutlich an die Fußgänger appellieren, aufmerksamer zu sein, möglichst helle Kleidung zu tragen, Ampeln und Überwege zu nutzen und dabei trotzdem genau nach rechts und links zu schauen. Sollte die Straße dennoch mal nicht an einem Überweg gequert werden, sollte man erst recht besonders vorsichtig sein. Man spielt sonst mit seinem eigenen Leben.

Auf dem Öjendorfer Damm wurde eine 66-jährige sogar in unmittelbarer Nähe eines Überwegs von einem Müllwagen überrollt.

Schröder: Die Tragik in diesem Fall ist, dass der Fußgängerüberweg nur knapp 70 Meter entfernt war. Es reicht eben nicht, sich darauf zu verlassen, dass die anderen Verkehrsteilnehmer schon aufpassen. Unsere Unfallauswertungen zeigen, dass in einer Mehrheit der schweren Unfälle von Fußgängern mit Autos oder Lkw die Fußgänger die Hauptursache für eine Kollision durch unachtsames Queren der Fahrbahn gesetzt haben.

Was kann man gegen die Häufung der Unfälle unternehmen?

Schröder: Das ist in diesem Bereich nicht ganz einfach. Kinder durchlaufen viele etablierte Präventionsaktionen, auch für Senioren gibt es Angebote, die gut besucht werden. Es ist jedoch schwierig, Erwachsene mit unseren Präventionsbotschaften zu erreichen. Bei Grün über die Ampel zu gehen und sich generell an die Regeln zu halten, mag vielleicht nicht besonders beliebt sein. Sie glauben die Regeln und Risiken zu kennen, unterschätzen die realen Gefahren dabei aber leider massiv.

Es gibt auch andere Möglichkeiten als Prävention – zum Beispiel, die Verstöße von Fußgängern konsequent zu ahnden.

Schröder: Natürlich sind unsere Beamten auf der Straße dafür sensibilisiert und schreiten bei Rotlichtmissachtungen durch Fußgänger in der Regel auch ein. Nach geltendem Recht zahlt er dann ein Verwarngeld von lediglich fünf Euro. Man kann natürlich darüber streiten, ob das nachhaltig ist und einen abschreckenden Charakter hat.

Also bräuchte es höhere Bußgelder?

Schröder: Dies liegt in der Zuständigkeit des Bundes. Unser Hauptfaktor liegt aber auf der Prävention. Wir brauchen den mündigen Bürger im Straßenverkehr. Neben vielen präventiven Aktionen und Infoständen soll nun in einem neu gegründeten Arbeitskreis „Fußgängerverkehr“ im Forum Verkehrssicherheit in Hamburg das Thema intensiv betrachtet werden.

Muss auch bei der Infrastruktur nachgebessert werden? Wenn die Fußgängerampel einen Umweg bedeutet, schafft das Anreize, eben anderswo die Straße zu überqueren.

Schröder: Die Analyse der Verkehrsinfrastruktur und die Auswertung von Verkehrsflüssen ist ein permanenter Prozess, insofern gibt es hier einen regen Austausch mit allen beteiligten Behörden. Bei jedem schweren Verkehrsunfall betrachten wir gemeinsam diese spezielle Unfallstelle genau und prüfen, ob dort möglicherweise Handlungsbedarf besteht. Allerdings brauchen wir eine Grundakzeptanz der Bürger für die Verkehrsregeln im Allgemeinen und der Angebote für Fußgänger im Besonderen.

Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer scheinen sich ohnehin schon immer weniger gut zu vertragen.

Schröder: Manchmal ist das Verkehrsklima in Hamburg sehr angespannt. Es herrscht oft Hektik und Aggression auf den Straßen vor. Das fällt einem besonders auf, wenn man etwa einmal einige Wochen in den USA oder Dänemark unterwegs ist. Auch wenn sich die Mehrheit der Verkehrsteilnehmer vernünftig verhält, prägt leider eine Minderheit das Gesamtbild. Ein entspannteres, gelasseneres Verkehrsklima würde dabei per se auch zu weniger Unfällen mit Verletzten führen. Dafür kann ich nur werben.

Bei zwei der jüngsten Unfälle könnten auch die beteiligten Autofahrer zu schnell gewesen sein – auch wenn die Zahl der stationären Blitzer ausgebaut wurde, gibt es immer noch weniger mobile Kontrollen als früher.

Schröder: Mobile Verkehrskontrollen sind ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Die Überwachungsanlagen, die sich per Anhänger kurzfristig verlegen lassen, geben uns zusätzlich die Möglichkeit, diese flexibel und anlassbezogen in der Nachtzeit einzusetzen. Richtig ist aber, dass auch die Autofahrer eine elementare Verantwortung für die Sicherheit in dieser Stadt haben. Gerade in einer Großstadt wie Hamburg ist eine angepasste Geschwindigkeit unerlässlich. Nur so ist man auch in der Lage, gut mit den Gefahren, die der Straßenverkehr mit sich bringt, umzugehen.

Der ADFC hat zuletzt nicht dazu raten wollen, einen Helm zu tragen – weil es suggeriere, dass Fahrradfahren an sich gefährlich sei.

Schröder: Ich verstehe, dass Interessenvertreter die Bürger nicht davon abschrecken wollen, Fahrrad zu fahren. Das wollen wir schließlich auch und fördern das aktiv. Wir haben zum Glück nicht so viele schwere Verkehrsunfälle mit Fahrradfahrern in Hamburg. Allerdings hat man als Radfahrer anders als Autofahrer keine Schutzhülle um sich herum, insofern kann ich nur appellieren, zur eigenen Sicherheit einen Helm zu tragen. Wer an der Sinnhaftigkeit von Helmen zweifelt, sollte aber einfach mal eine Notaufnahme besuchen und mit Unfallärzten sprechen. Für mich steht die Sinnhaftigkeit von Helmen außer Zweifel.

Der Senat arbeitet offiziell daraufhin, eines Tages keine Verkehrstoten mehr zu haben. Ist das realistisch?

Schröder: Leider verlieren nach wie vor rund 30 Menschen pro Jahr ihr Leben auf Hamburgs Straßen. Das ist zum Glück ein kleiner Bruchteil dessen, was noch in den 1970er-Jahren in Deutschland Alltag war. Die Technik wird weiter fortschreiten, allerdings müssen wir immer noch mit dem Faktor Mensch rechnen. Die gute Nachricht ist aber: Alle Verkehrsteilnehmer können mit dem richtigen Verhalten und gegenseitiger Rücksichtnahme selbst dafür sorgen, dass es auf den Straßen möglichst entspannt und sicher zugeht.

Der Atlas:

Der Unfallatlas zeigt die Unfälle der Jahre 2016 und 2017, die Anzeige lässt sich nach den beteiligten Verkehrsmitteln und den Häufigkeiten einstellen. Auf den größten Zoomstufen sieht man statt der Übersichtskarte ein Satellitenbild. Mithilfe des Tools ist es möglich, vom bundesweiten Überblick bis zur Recherche vor der eigenen Haustür einen Überblick darüber zu bekommen, wo besonders viele Verkehrsunfälle passieren.