Hamburg. Gingen Pferde durch, weil das Zaumzeug verrutschte? Tierschützer fordern das generelle Verbot solcher Touren.

Am Friedhofseingang an der Fuhlsbüttler Straße steht jetzt eine Gedenkstelle. Menschen können dort Blumen niederlegen, um der 78-Jährigen zu gedenken, die am Mittwoch bei der Kollision zwischen einem Auto und einer Pferdekutsche ums Leben gekommen ist. Eine weitere 80 Jahre alte Frau und der Fahrer (50) des in den Unfall involvierten Autos waren dabei schwer verletzt worden. Zwei weitere Insassen der Droschke, 74 und 84 Jahre alt, kamen mit Schürfwunden davon.

Die Polizei hatte am Mittwochabend zahlreiche, teils geschockte Augenzeugen vernommen; am Donnerstag konnte sie neue Erkenntnisse zum Unfallhergang bekanntgeben. Während die 74 und 84 Jahre alten Frauen demnach bereits auf den Bänken der Kutsche Platz genommen hatten, standen die 78-Jährige und die 80-Jährige noch auf dem Tritt des Einstiegs, als eines der Pferde plötzlich durchging. Offenbar war bei einem der Tiere das Zaumzeug verrutscht.

Autofahrer schwer verletzt

Ob das Gespann deshalb losgaloppierte, sei aber noch unklar, sagte Polizeisprecher Ulf Wundrack. Führungslos seien die Pferde davon gestürmt, bei der Kollision mit dem entgegenkommenden Auto habe die Stute Steni mit dem Huf durch die Windschutzscheibe getreten und den Fahrer schwer verletzt. Darauf sei die schwarz-gelbe Kutsche umgekippt, die beiden sitzenden Frauen seien herausgeschleudert, die zwei Damen auf dem Tritt unter ihr begraben worden. Für die 78-Jährige kam jede Hilfe zu spät, sie starb unter dem Gefährt. Die Stute musste am Unfallort eingeschläfert werden.

Wo sich Kutscherin Andrea Kunz befand, als die Tiere losstürmten, ist noch nicht ermittelt. Sollten die Pferde allerdings nicht beaufsichtigt worden sein, könnte dies unter Umständen ein strafbares Fehlverhalten begründen. Die 54-Jährige hatte noch versucht, das Gespann anzuhalten – vergebens. „Was passiert ist, tut mir unendlich leid“, sagte Kunz dem Abendblatt und sprach von einem „tragischen Unglück, einer Katastrophe“.

Friedhof stoppt Kutschfahrten

Der Friedhof stoppte unterdessen Kutschfahrten auf seinem Terrain. Die Kutscherin, die auch als Taxi-Unternehmerin arbeitet, verliert damit eines ihrer beruflichen Standbeine. Ihre „ Ohlsdorfer Parkdroschke“ war das einzige Unternehmen, das Kutschfahrten durch den Friedhof angeboten hatte. Seit Ostern 2017 seien rund 1500 Fahrgäste transportiert worden, sagte Friedhofssprecher Lutz Rehkopf. „Selbst wenn jemand diese oder eine andere Kutsche wieder in Betrieb setzte, bliebe doch immer das ungute Gefühl, dass jemand dabei gestorben ist“, so Rehkopf.

41 Unfälle mit Pferdekutschen

Nach Angaben der Tierrechtsorganisation PETA wurden 2017 bei 41 Unfällen mit Pferdekutschen in Deutschland drei Menschen getötet und 67 verletzt. Zudem seien im Vorjahr drei Pferde gestorben, 17 weitere hätten sich verletzt. Die mit Abstand häufigste Unfallursache sei ein Erschrecken eines oder mehrerer Pferde gewesen. Wie PETA fordert auch der Hamburger Tierschutzverein ein generelles Verbot von Kutschfahrten. Pferde seien von Natur aus Fluchttiere. Kleinste Störungen könnten bei den sensiblen Tieren den Fluchtinstinkt auslösen, so der Tierschutzverein. „Es ist allein deswegen verantwortungslos, die Tiere im Straßenverkehr, aber auch auf Waldwegen, als Kutschpferde einzusetzen. Zudem ist es nicht artgemäß, dass Pferde schwere Kutschen ziehen müssen.“