Hamburg/Kiel. Whisky, Cheddar, Nordseehering durch Zölle teurer, Lieferzeiten länger. 1000 Firmen in der Hansestadt haben Verbindungen zu Briten.

Fast zwei Monate vor dem Scheidungsdatum, dem 29. März, wird ein harter Brexit immer wahrscheinlicher. Was würde das für Hamburg und den Norden bedeuten? Lebensmittel und andere Waren aus England könnten sich kurzfristig verteuern, Fabriken könnten Nachschub- und Produktionsprobleme bekommen, Medikamente knapp werden, Reisen nach England umständlicher werden. Sicher ist: Ein harter Brexit geht uns alle an.

Von vielen Gepflogenheiten, die sich herausgebildet haben, seit die Briten vor 46 Jahren der damaligen Europäischen Gemeinschaft beitraten, werden wir uns verabschieden müssen. Schon am 30. März, dem ersten Tag nach dem Brexit, müssten im Handel mit der Insel Zölle erhoben werden, am Ende werden das die Verbraucher zu bezahlen haben.

Rund 1000 Hamburger Firmen haben direkte Verbindungen zu Großbritannien. Waren im Wert von 3,1 Milliarden Euro wurden im Jahr 2017 von Hamburg auf die Insel exportiert. Im gemeinsamen Binnenmarkt der EU gab es dafür wenig bürokratische Hürden. Mit dem harten Brexit wird das anders.

Längerer Transportweg nach Großbritannien

Dierk Schulz, Vorstandsmitglied des Verbands Hamburger Spediteure, befürchtet, dass die Zollabfertigung an der Grenze lange dauern wird. „Der Transportweg nach Großbritannien könnte sich deshalb um zwei bis fünf Tage verlängern. Das erhöht natürlich die Speditionskosten“, sagte Schulz. Lieferzeiten werden sich erheblich verlängern. Da kann es im Laden schon mal zu Lücken im Regal kommen. Durchaus möglich, dass der schottische Whisky fehlt. Durchaus möglich, dass an der Käsetheke der Cheddar aus dem Vereinigten Königreich nicht erhältlich ist. Und wenn er dann da ist, wird er nur zu einem höheren Preis zu bekommen sein. Denn er muss verzollt werden.

Noch komplizierter ist es beim Hering. Die deutsche Hochseefischereiflotte fängt 100 Prozent des Nordseeherings und 50 Prozent der Makrelen in britischen Gewässern. Mit einem harten Brexit wäre die Flotte von diesen Fanggründen abgeschnitten. Der niedersächsische Europaabgeordnete David McAllister (CDU) sagt: „Rund die Hälfte der Fangmengen und etwa ein Drittel des Gesamterlöses der deutschen Fischerei werden aus Fängen in britischen Fanggründen erwirtschaftet. Sollte es hier zu Einfahrverboten kommen, könnte dies die Stilllegung von Fangschiffen und den Verlust von Arbeitsplätzen in der Hochseefischerei in Cuxhaven und Bremerhaven sowie in den branchennahen Dienstleistungen zur Folge haben.“ Hering müsste dann aus England importiert werden: verzollt und damit teurer.

Einschränkungen bei Flügen

Thorsten Porath vom Hamburger Zolldienstleister Porath Customs Agent rechnet damit, dass es nach dem Brexit in Deutschland zehn Millionen zusätzliche Zollanmeldungen pro Jahr geben wird. „Die Firmen, die schon jetzt mit Drittländern handeln, wissen ungefähr, was auf sie zukommt“, sagt er. „Aber viele kleine Unternehmen, die bislang nur im EU-Binnenmarkt unterwegs sind, haben sich um das für sie neue Thema Zoll noch nicht gekümmert.“ Und es geht ja nicht nur um Zollformulare. Viele Produkte verlieren mit dem Austritt der Briten auch die Zulassung zum Verkauf auf der Insel – und umgekehrt. Lizenzen, Registrierungen: All das muss noch erledigt werden. „Nur ein Beispiel: Für einen Geschenkartikelhändler, der ständig neue Produkte anbietet, dürfte das eine fast nicht zu bewältigende Aufgabe sein“, sagt Porath.

Nicht nur Hamburger Firmen, sondern auch Bürger sollten in Zukunft bei Geschäften mit Großbritannien aufpassen. Kaufen sie bei einem Internetanbieter auf der Insel und hat der Einkauf einen Wert, der 150 Euro übersteigt, muss die Warensendung verzollt werden. Hinzu kommen Einfuhrumsatzsteuer und eventuell eine Verbrauchsteuer.

Auch bei Flügen auf die Insel ist mit Einschränkungen zu rechnen. Derzeit gibt es je 90 Starts und Landungen pro Woche zu Zielen in Großbritannien. Britische Fluglinien würden schlagartig ihre Lizenzen verlieren. Bisher transportierten die britischen Airlines laut Senatsantwort 2017 allein fast 867.000 Passagiere zwischen Hamburg und Zielen in Großbritannien – und dazu 892.000 Passagiere zwischen Hamburg und europäischen Flughäfen außerhalb des Vereinigten Königreichs.

Notfallmaßnahmen für den Luftverkehr

Ob künftig alle Verbindungen wie gewohnt durchgeführt werden können, ist unklar. Die EU hat zwar im Dezember einige Notfallmaßnahmen für den Luftverkehr beschlossen, die im Fall des harten Brexits in Kraft gesetzt werden. Die Ausnahmeregeln sollen „eine vollständige Unterbrechung des Luftverkehrs verhindern“, heißt es in dem Papier. Sie gelten aber nur für Flüge von einem Airport in Großbritannien zu einem Airport in der EU – und umgekehrt. Flüge, die über diese beiden Start- und Landepunkte hinausgehen, gehören nicht dazu. Das Problem: Mit dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs haben Fluggesellschaften mit Sitz auf der Insel eigentlich keinen Zugang mehr zum europäischen Luftraum. Umgekehrt gilt dies auch für europä­ische Fluggesellschaften und den britischen Luftraum.

Besonders das Reisen mit Hunden oder Katzen dürfte zunächst zu einem Problem werden. Mit dem Austritt aus der EU gelten in England die entsprechenden Regeln nicht mehr. Laut EU müssen bei der Einreise aus Großbritannien sowohl Haus- als auch Nutztiere, aber auch Fleischerzeugnisse schon allein aus Gesundheitsgründen kontrolliert werden. Da das nur an bestimmten veterinärrechtlichen Kontrollstellen möglich ist, muss die Einfuhr vorher angemeldet werden.

Wie schwer der EU-Binnenmarkt mittlerweile zu entflechten ist, kann Werner Koopmann gut erklären. Er ist Geschäftsbereichsleiter International der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck. „Natürlich haben sich in den letzten Jahrzehnten Länder-Schwerpunkte herausgebildet“, sagt er. „So wird ein großer Teil des in der EU verbrauchten Insulins in Dänemark hergestellt.“ Aber wie kommen zuckerkranke Briten nach einem harten Brexit an den für sie lebenswichtigen Stoff heran? Muss das dänische Insulin auf der Insel neu zugelassen und zertifiziert werden? „Das ist unklar“, sagt Koopmann.

Viele offene Fragen

Ein zweites Beispiel: Viele Medikamente wurden bislang auf der Insel geprüft und zugelassen. Damit waren sie automatisch in der gesamten EU zugelassen. „Großbritannien hat sich über die Jahre zu einem bedeutenden Standort für die dafür spezialisierten Labore entwickelt“, sagt Koopmann. Wenn die Briten draußen sind – wer übernimmt dann diese Aufgabe? „Solche Laborkapazitäten lassen sich nicht innerhalb kurzer Zeit irgendwo in der EU aufbauen“, sagt Koopmann.

Viele offene Fragen also. So viele, dass der Zollexperte Thorsten Porath sagt: „Eine Vorbereitung auf den Brexit ist im Grunde kaum möglich.“ In der Tat wirkt es hilflos, was beispielsweise die deutschen Industrie- und Handelskammern ihren Mitgliedern mittels einer Brexit-Checkliste im Internet ans Herz legen. Zum Thema Straßengüterverkehr gibt es nur einen Punkt, der erledigt werden sollte. Es ist folgende Einsicht: „Es ist uns bewusst, dass wir uns auf erhöhten bürokratischen Aufwand bei Lieferungen per Straßengüterverkehr einstellen sollten. Dies wird auch verbunden sein mit deutlich längeren Wartezeiten an der Grenze zu UK sowie bei Hafenterminals etc.“

Aber es gibt natürlich auch noch eine andere Möglichkeiten, mit dem Brexit umzugehen. Und die wird genutzt. „Wir fahren schon seit Wochen wie verrückt Ladung nach England, damit da beim Brexit die Bänder nicht stillstehen“, sagt Dierk Schulz vom Verband Hamburger Spediteure. Viele britische Firmen hätten Lagerhallen angemietet. „Die sind schon brechend voll. Wer jetzt noch eine leere Lagerhalle in der Nähe eines englischen Hafens hat, der kann viel Geld verdienen.“

Eigenes Brexit-Gesetz

Bis zum Brexit kann das noch so weitergehen. Dann kommt das Zollregime. Werner Koopmann von der IHK sagt, die EU habe schon mal simuliert, was bei einer Verzollung aller England-Produkte passieren würde. „Die Bearbeitung hat geklappt“ sagt Koopmann. Die englische Zollbehörde habe es auch simuliert: „Das hat ihr Computersystem sofort gecrasht.“ Dierk Schulz sieht seine Lkw-Fahrer schon im Hafen stehen ­– und warten und warten. „Der harte Brexit darf nicht kommen“, sagt er. „Das ist ein Wahnsinn.“

Der Brexit trifft Hamburg aber nicht nur als Handelsstadt. Rund 4000 Briten verlören ihre Aufenthaltsberechtigung, sofern sie keinen zweiten Pass besitzen. Mit einem eigenen Brexit-Gesetz will Hamburg seine britischen Einwohner schützen und sie bis Ende 2020 mit EU-Bürgern gleichstellen. Dieses Gesetz könne jedoch nur in Kraft treten, wenn es ein Austritts- und Überleitungsabkommen zwischen der EU und Großbritannien gebe, hatte Staatsrätin Annette Tabbara kürzlich gewarnt. Die 29 britischen Beamten an Hamburger Schulen und Hochschulen sollen ihren Beamtenstatus mit einer Sonderregelung behalten.

Allein seit der Brexit-Abstimmung 2016 haben sich 800 Briten in Hamburg einbürgern lassen. Ein Schritt, den Tabbara auch allen anderen empfiehlt.