Hamburg. In den Projekten ging es unter anderem um Schicksale von Opfern des Nationalsozialismus und die Radikalisierung von Jugendlichen.

Nie war diese Auszeichnung wichtiger und aktueller als heute: Das war die zentrale Botschaft der 21. Verleihung des Bertini-Preises am Sonntag im Ernst Deutsch Theater, bei der rund 50 Jugendliche für ihre Zivilcourage geehrt wurden. Am eindringlichsten machte dies der Künstler und Moderator Michel Abdollahi in seiner Festrede deutlich. „Es gibt heute eine Hand voll Hobby-Nazis, die solche Veranstaltungen zu torpedieren versuchen, wo sie nur können – aber das werden wir nicht zulassen“, sagte der vielfach ausgezeichnete Hamburger unter dem Applaus der mehr als 500 Zuschauer.

Moderator bekommt Hassmails und Drohungen

Er berichtete, dass er für seinen Aufruf gegen Faschismus und für die Erinnerungskultur anlässlich des Jahrestages der Befreiung des KZ Auschwitz zahlreiche Hassmails und Drohungen bekommen habe. In seiner WDR-Kolumne „Der deutsche Schäferhund“ hatte er am Sonnabend auf den bevorstehenden Gedenktag hingewiesen und erklärt: „Der Holocaust ist kein Vogelschiss der Geschichte.“ Als er am Tag darauf sein Postfach öffnete, habe er „die üblichen Nachrichten“ gefunden: „Du bist der Nächste“, hieß es darin, „Dich zünden wir auch an“ und „Die Muslime sind die neuen Juden“. Er sei auch aufgefordert worden, zurück nach Saudi-Arabien zu gehen, zurück in den Libanon, zurück nach Syrien. „Das sind alles Orte, mit denen ich eigentlich gar nichts zu tun habe“, sagte der gebürtige Iraner, der im Alter von fünf Jahren nach Hamburg gekommen war.

„Das ist die Stimmung heute, wenn Sie auf etwas aufmerksam machen, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist“, so Abdollahi. Die Urheber dieser Hassmails würden sich nicht immer in der Anonymität verbergen, sondern äußerten sich teils mit Klarnamen und hätten Profilbilder, die sie mit ihrer Familie oder mit ihren Haustieren zeigten.

Beängstigende Stimmung gegen Minderheiten

Er appellierte an das Publikum im Ernst Deutsch Theater: „Wenn Sie auf Hass und Hetze stoßen, gehen Sie dagegen vor und nutzen Sie alle Rechtsmittel aus, damit diese Menschen verstehen, dass wir dies nicht in unserem Land zulassen.“ Er selbst antworte auf solche Mails und Posts nur, wenn er den Eindruck habe, den Urheber mit seinen Argumenten noch erreichen zu können. Es gebe eine „beängstigende Stimmung gegen Minderheiten in diesem Land“, stellte Abdollahi fest. „Aber wir werden nicht zulassen, dass bestimmte Menschen den Faschismus in unsere Gesellschaft zurückbringen.“

Schulsenator Ties Rabe besorgt

Besorgt zeigte sich auch Schulsenator Ties Rabe. Der von den Nazis begangene Massenmord in den Konzentrationslagern sei nur der Endpunkt einer langen gesellschaftlichen Entwicklung und eines Verfalls der Menschlichkeit gewesen, die viele Jahre zuvor eingesetzt habe, sagte der SPD-Politiker. Angefangen habe es mit Feindbildern, die von skrupellosen Politikern aufgegriffen und benutzt worden seien, um die Demokratie auszuhöhlen. „In dieser langen Vorgeschichte des Massenmordes gibt es einzelne Parallelen zur Entwicklung heute“, sagte Rabe. Es bestehe heute Anlass, pessimistisch und wachsam zu sein. „Aber die Bertini-Preisträger zeigen, dass es auch Grund zu Optimismus und Hoffnung gibt.“

So hatten sich 18 Schüler vom Theaterkursus der Bugenhagen-Schule Alsterdorf in ihrem Projekt „Aus der Reihe tanzen“ mit der im Nationalsozialismus verfolgten Swing-Jugend befasst. „Ihr habt das Thema dem Vergessen entrissen und eine musikalische Kultur gewürdigt, die sich dem Gleichschaltungswahnsinn der Nazis entgegenstellte“, würdigte der Boogie-Pianist Axel Zwingenberger als Laudator ihr Engagement.

Die 16-jährige Nele Borchardt hat „unsere Augen neu auf die Stolpersteine gerichtet“, sagte Laudator Jan Frenzel (NDR). Die Schülerin des Albert-Schweitzer-Gymnasiums hatte die Gesichter der Deportierten mithilfe von Kreidespray und Schablonen auf das Pflaster neben die Steine gesprüht.

Geschichte von zwei Hamburger Polizisten im KZ

Schüler des Lise-Meitner-Gymnasiums in Osdorf spürten in den Gedenkstätten Majdanek und Belzec der Geschichte von zwei Hamburger Polizisten nach, die im Konzentrationslager Menschen ermordeten. „Ihr seid auf eindrucksvolle Weise der Frage nachgegangen, wie aus ganz normalen Menschen Mörder werden“, sagte Laudatorin Heidi Melis (Hamburger Volksbank).

Für ihr Theaterprojekt „Kein deutscher Land“ wurden 19 Schüler des Helmut-Schmidt-Gymnasiums in Wilhelmsburg ausgezeichnet. Das Stück thematisiert die Radikalisierung von Jugendlichen. Aufgrund von Umfragen an ihrer Schule, die von vielen Jugendlichen mit Migrationshintergrund besucht wird, inszenierten sie ein Stück, das die Erfahrungen mit Ausgrenzung, Diskriminierung und Identitätssuche aufgreift. „Nur ohne Vorurteile ist man ein frei denkender, also ein freier Mensch“, sagte Laudator Hubert Grimm (Freimaurerloge Roland).

Auszeichnung zu Ehren des Schriftstellers Ralph Giordano

Die Auszeichnung wird zu Ehren des Schriftstellers Ralph Giordano (1923–2014) und seines Romans „Die Bertinis“ jedes Jahr am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus verliehen. Sie habe im vergangenen Jahr häufig die Stimme Giordanos im Ohr gehabt, der gesagt habe, wer die Demokratie zu beschädigen versuche, bekomme es mit ihm zu tun, sagte Isabella Vértes-Schütter, Vorsitzende des Bertini-Preis e. V., die ihr Theater jedes Jahr kostenlos für die Verleihung zur Verfügung stellt. „Die Stimmen, die die Demokratie beschädigen wollen, sind wieder lauter geworden. Und wir alle sind aufgerufen, dass sie uns am Hals haben.“ Sie erinnerte an Günther Wedderien, den langjährigen Vorstandsvorsitzenden des Bertini-Preis e. V., der am 3. Januar starb und bis zuletzt engagiert als Schatzmeister mitgewirkt hatte. „Er hat sich mit besonderer Herzenswärme um seine Mitmenschen gekümmert und sich nicht einschüchtern lassen.“

Die Preisträger:

Bugenhagen-Schule Alsterdorf: Paulina Bäumer, Chiara Bortolozzo, Dylan Eilertson, Johannes Federmann, Jens Bjarne Gartz, Louisa Gerds, Jakob Keuk, Emilia Knorr, Paula Kresse, Tandy Marie Meier, Jannika Frederike Mörig, Jeannette Nielsen, Vanessa Spyth, Ali Mert Suvak, Tom Tavassoli, Erik Simon Vassal, Serguei Vikulov, Lars Michel Wendt

Helmut-Schmidt- Gymnasium: Aldita Aliti, Aleyna Asikan, Valmir Asllani, Mehmet Aydogan, Yusuf Cifci, Lara Dittbrenner, Max Fluder, Abdulehad Seyfullah Kilictas, Muhammed Elyesa Kilictas, Sadin Kotoric, Lukas Neitzel, Hannah Obrul, Valbon Sadiki, Muhamed Emin Sekertag, Ilayda Eda-Nur Tasci, Gizem Uzun, Berkan Yildirim, Tuğce Petek Yücel, Dogukan Zozik

Lise-Meitner- Gymnasium: Tomasz Aszyk, Luisa Brosdetzko, Kai Dietrich, Henri Gnutzmann, Calvin Klein, Ella Lütkebohle, Sophie Michaelsen, Felix Minkowitsch, Jan-Lukas Rohde, Erdi Dayar, Malgorzata Szuba, Luisa Toschke

Albert-Schweitzer-Gymnasium: Nele Borchert

Förderer des Projekts:

Absalom-Stiftung der Freimaurer, Arbeiter-Samariter-Bund, Michael Batz, Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, Behörde für Schule und Berufsbildung, Bürgerstiftung Hamburg, Demokratisch Handeln, Ernst Deutsch Theater, Hans-Juergen Fink, Knut Fleckenstein, Freimaurerloge Roland, Freundeskreis Gedenkstätte KZ-Neuengamme, Hamburger Abendblatt, Hamburger Volksbank, Howard und Gabriele Kroch-Stiftung, Ida Ehre Kulturverein, Johannisloge St. Georg zur grünenden Fichte, Johannisloge zu den drei Rosen, Kirchenkreis Hamburg-Ost, Landesjugendring Hamburg, Landeszentrale für politische Bildung, Michael Magunna, Norddeutscher Rundfunk, Michael Reichmann, Helfried Schulke, Ver.di Landesbezirk Hamburg, Ulrich Vieluf, Axel Zwingenberger sowie die Schülerkammer, die Elternkammer und die Lehrerkammer Hamburg Ehrenvorsitzender: Ralph Giordano (*20. März 1923 bis † 10. Dezember 2014)