Uhlenhorst. 94 Schüler von fünf Projekten wurden am Sonnabend im Ernst-Deutsch-Theater mit dem Bertini-Preis ausgezeichnet

Die spontane Gesangseinlage von deutschen und internationalen Schülerinnen und Schülern, eine anregende Rede des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) und Ein­blicke in bewegende und spannende Projekte von Schülern, die sich für mehr Toleranz und gegen das Vergessen von Unrecht und Unmenschlichkeit in der NS-Zeit einsetzten – das prägte die festliche Verleihung des Bertini-Preises am Sonnabend im Ernst-Deutsch-Theater.

Der Preis, der jährlich am 27. Januar, dem Gedenktag an die Holocaust-Opfer, vergeben wird, feierte ein kleines Jubiläum. Denn in diesem Jahr fand die Preisverleihung zum 20. Mal statt. 13 Projekte hatten sich im vergangenen Jahr um den Bertini-Preis 2016 beworben. Fünf wurden von dem gleichnamigen Verein, der aus mehreren Förderern besteht, unter anderem dem Hamburger Abendblatt, als preiswürdig ausgewählt.

Benannt ist der Preis nach dem Familienroman „Die Bertinis“ des Schriftstellers Ralph Giordano. Der in Hamburg geborene und vor vier Jahren verstorbene Autor hatte die Geschichte seiner halbjüdischen Familie während der NS-Zeit als Vorlage genommen. Die Familie entkam der drohenden Deportation in das Vernichtungslager Auschwitz nur knapp. In ihrer Begrüßungsrede erinnerte Isabella Vertés-Schütter, die Vorsitzende des Bertini-Preis e. V., an den früheren Ehrenvorsitzenden Giordano mit den Worten: „Seine Haltung hat uns Orientierung gegeben und Mut gemacht. Er wird uns fehlen.“ Zudem würdigte die Intendantin des Ernst-Deutsch-Theaters den Pädagogen Michael Magunna. Er hatte den Preis initiiert, nachdem er mit seinen damaligen Schülern in Bergedorf auf Spurensuche zur NS-Vergangenheit gegangen war.

Inzwischen ist der Preis zu einer Hamburger Institution geworden. 120 Projekte wurden in den vergangenen 20 Jahren ausgezeichnet, mit insgesamt fast 1800 Jugendlichen. Wie wichtig die Auszeichnung für die Stadt Hamburg ist, hob auch der Erste Bürgermeister Olaf Scholz in seiner Festrede hervor. Die Bertini-Preisträger hätten Hamburg verändert, „den Blick auf die Stadt erweitert und ihn teilweise korrigiert“, sagte er. Denn sie hätten Lebenswege und Stadtgeschichte recherchiert und Erinnerungen von Zeitzeugen festgehalten. Sie seien „gegen alte und neue Formen des Rechtsradikalismus aufgestanden“. Er machte auch deutlich, dass gerade an diesem Tag, an dem die Rote Armee vor 73 Jahren das Konzentrationslager Auschwitz befreit habe, die Menschheitsverbrechen unter den Nationalsozialisten nicht vergessen werden dürften. „Unsere Verantwortung für Auschwitz bleibt. Jede Generation muss sich ihr stellen.“ Und im Hinblick auf die Zukunft fügte Scholz hinzu: Man müsse auch darüber nachdenken, wie die NS-Vergangenheit einer Einwanderungsgesellschaft vermittelt werden kann. Wer zu uns komme und hier bleibe, müsse sich mit der besonderen deutschen Geschichte auseinandersetzen. „Das gehört dazu, wenn man dazugehört“, so Scholz.

Das hatten viele Schüler, die zum Teil aus Einwandererfamilien stammen, bereits in den aktuellen Projekten getan, wie sich im zweiten Teil der Veranstaltung zeigte. Durch sie führte in lockerer Weise und den jungen Leuten sehr zugewandt die NDR-Moderatorin Julia­-Niharika Sen. Sie bat die Preisträgergruppen und Laudatoren einzeln auf die Bühne. Zuvor wurden die Projekte in kurzen Filmen des NDR vorgestellt.

So hatten sich die Schülerinnen Merle Lutz und Stela Vitalosova mit den grausamen Schicksalen der ermordeten Kinder vom Bullenhuser Damm aus­einandergesetzt und einen bewegenden Film darüber gedreht. „Einen Film, der von schlichter, schnörkelloser Klarheit ist und gerade deshalb so beeindruckt“, wie Laudatorin Insa Gall betonte, Ressortleiterin Hamburg des Hamburger Abendblatts. Ein anspruchsvolles Thema hatten sich auch elf Schüler der Stadtteilschule Bergedorf vorgenommen. Sie recherchierten vor der eigenen Haustür, gingen den Spuren ehemaliger russischer Kriegsgefangener nach. Bei dem Kontakt mit Zeitzeugen stießen sie nicht nur auf Zustimmung. „Eine Bergedorfer Firma, die früher Zwangsarbeiter beschäftigte, war mit unserer Forschung nicht einverstanden, aber wir sind jetzt im Gespräch miteinander“, sagt Lucy Keil (16).

Für große Begeisterung sorgten beim Publikum die 56 deutschen und internationalen Schüler des Gymnasiums Kaiser-Friedrich-Ufer, die ein munteres Musikvideo mit ernster Botschaft erstellt hatten. Sie wandten sich damit gegen Ausgrenzung und Vorurteile. „Über das verbindende Element Musik habt ihr euch für mehr Menschlichkeit eingesetzt“, lobte Laudatorin Heidi Melis von der Hamburger Volksbank. Auf Bitten des Publikums sangen die Kinder spontan den Refrain ihres eingängigen Rap auf Deutsch und Arabisch.

Vorurteile gegenüber Menschen aus anderen Kulturen wollten auch die Abiturienten des Helmut-Schmidt-Gymnasiums abbauen. Sie gründeten eine interreligiöse Gesprächsrunde, die bei Schülern und Lehrern sehr beliebt ist. Ein Projekt, das über die Schule hinaus in den Stadtteil wirkt und Vorbild für andere Schulen sein kann. Und schließlich ehrte Pate Ulrich Mumm von der Bürgerstiftung Hamburg das Theaterprojekt „Reichsausschusskinder“, in dem 17 Schüler des Gymnasiums Klosterschule die Morde an behinderten Kindern durch NS-Ärzte thematisierten.

Obwohl es ein Schülerpreis ist, wurde bei diesem Jubiläum auch an die Lehrer gedacht, die die Projekte späterer Preisträger angeschoben haben. Geehrt wurden im Besonderen die vier Pädagogen Olaf Bublay, Claire Bordes, Sabine Hansen und Klaus Möller. Sie alle hatten mehr als dreimal Projekte initiiert, die später mit dem Bertini-Preis ausgezeichnet wurden.