Hamburg . Die Hamburger Staatsanwaltschaft wirft der Ex-Bezirksamtschefin auch Verleitung von Untergebenen zu einer Straftat vor.
Als Yvonne Nische am vergangenen Donnerstag in der Bezirksversammlung bekannt gab, sie stünde für das Amt der Bezirksamtsleiterin Nord nicht mehr zur Verfügung, begründete sie diesen Schritt mit den andauernden Ermittlungen gegen sie im Zusammenhang mit der Rolling-Stones-Freikarten-Affäre. Offiziell sprach die Staatsanwaltschaft auf Abendblatt-Anfrage von „weit fortgeschrittenen Ermittlungen“ – die Frage, ob Anklage gegen Nische erhoben wurde oder alsbald wird, ließ die Behörde aber offen.
Wie fortgeschritten die Ermittlungen tatsächlich waren, zeigte sich gestern. Um 10.45 Uhr ging über den E-Mail-Verteiler der Staatsanwaltschaft offiziell heraus, was manche geahnt hatten: Die Behörde erhebt, so ist in dem Schreiben zu lesen, Anklage wegen „Vorteilsannahme und Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat“ gegen die 53-Jährige. Nische war im April 2018 zur Nachfolgerin von Bezirkschef Harald Rösler (SPD) gewählt worden. Ihre für Juli geplante Ernennung scheiterte jedoch an den Ermittlungen. Es sind dieselben Vorwürfe, die auch Staatsrätin Elke Badde (SPD) zur Last gelegt werden. Gegen sie hat die Staatsanwaltschaft im Oktober 2018 Anklage erhoben – Badde wurde daraufhin in den einstweiligen Ruhestand versetzt.
Ermittlungen seit mehr als 15 Monaten
Seit mehr als 15 Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft in der Affäre um die Vergabe von Frei- und vergünstigten Kaufkarten für das Stones-Konzert im Stadtpark. Während 82.000 Zuschauer im September 2017 die Rock-Oldies frenetisch feierten, entwickelte sich das Konzert im Nachgang für mehr als 20 Beschuldigte zu einem veritablen Skandal. Der Hauptverdacht richtet sich gegen den früheren Nord-Bezirkschef Harald Rösler (SPD), gegen ihn wird wegen Bestechlichkeit ermittelt.
Er soll vom Konzertveranstalter FKP Scorpio 300 Kauf- und 100 Freikarten verlangt und sie ab dem 14. Mai 2017 nach „eigenem Gutdünken“ ausgewählten Mitarbeitern des Bezirksamtes angeboten haben, darunter auch Yvonne Nische, damals noch Röslers Untergebene. Sie leitete das Dezernat Jugend, Soziales und Sport. „Gegen die Angeschuldigte besteht der Verdacht, Freikarten angenommen und das Konzert mit einem Begleiter privat besucht zu haben“, so Oberstaatsanwältin Nana Frombach.
Dabei handele es sich um zwei Tribünenfreikarten im Verkaufswert von 336,80 Euro. Zudem habe Nische pflichtwidrig zugelassen, dass weitere acht Freikarten an Untergebene auf gleiche Art und Weise vergeben worden seien. Im Fall einer Verurteilung droht der 53-Jährigen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe – ab einem Jahr Haft verlieren Beamte in der Regel zudem ihre Beamtenrechte.
Insgesamt gibt es rund 20 Beschuldigte
Nisches Anwalt Michael Nicolaus sagte dem Abendblatt auf Anfrage, er halte die „Vorwürfe „nach wie vor für unbegründet“. Für seine Mandantin gelte weiterhin die Unschuldsvermutung. Im Übrigen habe die Staatsanwaltschaft die Mitteilung über die Anklageerhebung herausgegeben, bevor ihm und Nische die Anklageschrift überhaupt zugestellt worden sei. Er habe dies „mit Verwunderung“ zur Kenntnis genommen.
In der Affäre ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen hochrangige Angestellte städtischer Unternehmen, hohe Beamte und Bezirksamtsmitarbeiter, meist wegen Vorteilsannahme. Per Gesetz dürfen Beamte keine Geschenke annehmen, von Kugelschreibern mal abgesehen. Insgesamt gibt es rund 20 Beschuldigte, die von den Frei- oder Vorzugskarten profitiert haben sollen, darunter die Staatsräte Andreas Rieckhof (SPD) und Matthias Kock (parteilos). Zwar sollen sie „nur“ Kaufkarten von Rösler erhalten haben.
Doch könnte ein Vorteil darin bestanden haben, dass sie exklusiven Zugriff auf die heiß begehrten Konzert-Tickets hatten, die Preise von bis zu 900 Euro erzielten. Gegen Carsten Helberg, Chef der Hamburger Friedhöfe, sind die Ermittlungen indes nach Paragraf 153a StPO wegen „geringer Schuld“ eingestellt worden. Gegen eine Geldbuße von 2000 Euro, so Frombach, sei das „öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigt worden“.
Noch unklar ist, wie es im Fall von Staatsrätin Elke Badde weitergeht. Das Verfahren steckt zwischen dem Amts- und dem Landgericht fest. Wegen des öffentlichen Interesses hält das Amtsgericht eine Übernahme des Verfahrens durch das Landgericht für geboten. Dem hat Baddes Verteidiger Otmar Kury widersprochen. Laut Anklage soll Badde ein Dokument auf einen Tag im August – Wochen vor dem Konzert – zurückdatiert haben. Darin soll sie Rösler, damals ihr Untergebener, die Nutzung von Freikarten genehmigt haben. Auch soll sie von ihm zwei Tribünenkarten für 357,50 Euro gekauft haben.