Hamburg. Die Crew erreichte vor 80 Jahren ihr Ziel. Das Schiff katapultierte Flugzeuge in die Luft, die Piloten warfen deutsche Flaggen ab.

Es war eine „geheime Kommandosache“. Vor 80 Jahren erreichte ein als Expedition getarntes deutsches Frachtschiff die Antarktis – um Teile davon für die Nazis in Besitz zu nehmen. Am 17. Dezember 1938 legte im Hamburger Hafen das Katapultschiff „Schwabenland“ ab. An Bord befanden sich gut 60 Mann Besatzung sowie Piloten, Ingenieure und Luftbildner für die beiden Flugboote „Passat“ und „Boreas“. Als das Schiff Richtung Nordsee startete, kannten nur Eingeweihte das eigentliche Ziel dieser Mission, die unter der Leitung des Hamburger Kapitäns Alfred Ritscher (1879–1963) stand.

Was nach außen den Anschein einer wissenschaftlichen Expedition erwecken sollte und unter dem Dach der Deutschen Forschungsgemeinschaft in See stach, war in Wahrheit eine Nazi-Eroberung der östlichen Antarktis mit politischen aber auch ökonomischen Interessen. Hermann Göring, Chef der Luftwaffe und des „Vierjahresplans“, suchte neue Jagdgründe für die deutsche Walfangflotte und brauchte deshalb einen Stützpunkt auf dem sechsten Kontinent.

Der Auftrag des Reichsfeldmarschalls: Kapitän Alfred Ritscher sollte mit dem 143 Meter langen umgebauten und eisverstärkten Frachter ans andere Ende der Welt fahren und innerhalb des kurzen antarktischen Sommers Teile der bislang unbekannten Küstenregion östlich der Weddell Sea erforschen, um dann „durch Flaggenabwürfe die hoheitlichen Grundlagen einer späteren Besitzergreifung des Gebietes durch das Deutsche Reich“ zu schaffen und „so ein Mitbestimmungsrecht und einen gebührenden Anteil bei der kommenden Aufteilung der Antarktis unter den Großmächten zu sichern“.

Blohm + Voss baute das Schiff

Den Mitarbeitern des 1937 gegründeten „Hamburger Walfang-Kontors“ dürften die Pläne der „Schwabenland“ zunächst verborgen gewesen sein. Dabei waren gerade sie es, die entscheidend im Sinne Görings an der neuen Zukunftsaufgabe arbeiteten: dem Walfang-Ausbau. Nachdem die Populationen in der Arktis drastisch geschrumpft waren, lenkte das Hamburger Walfang-Kontor die deutsche Walfangflotte nun in die Antarktis – einige 1000 Kilometer vom Südpol entfernt. Allein in der Saison 1938/39 umfasste das heimische Aufgebot sieben Mutterschiffe und 56 Fangboote. In dieser Zeit wurden nach Angaben des Göttinger Historikers Uwe Spiekermann 84.170 Tonnen Walöl angelandet. Damit war ein Viertel der deutschen Margarine-Produktion gesichert.

Hermann Göring (l.), Oberbefehlshaber der Luftwaffe, im Gespräch mit General Ernst Udet.
Hermann Göring (l.), Oberbefehlshaber der Luftwaffe, im Gespräch mit General Ernst Udet. © Imago/United Archives

Göring und Helmuth Wohlthat, Chef der Reichsstelle für Milcherzeugnisse, Öle und Fette, wollten auf diese Weise die klaffende „Fettlücke“ im Dritten Reich schließen. Dafür wurde die tierische Substanz Waltran als Rohstoff für Margarine, aber auch für Seife, Schmiermittel und Sprengstoff benötigt. Das Walöl war einer der wichtigsten Ausgangsstoffe für die Produktion von Glyzerin, das für die Sprengstofffabrikation benötigt wurde. Erst in den 1940er-Jahren konnte es synthetisch hergestellt werden.

Tod für jedes Schiff

Als der Hamburger Kapitän Ritscher, Schiffsführer der Deutschen Arktischen Expedition von 1912 rund um Spitzbergen, im Hamburger Glockengießerwall 32 die geheime Expedition mit plante, wusste er, was Hitlers Helfer erwarteten: Neben der „Sicherung der deutschen Fettversorgung“ vor allem, dass Deutschland den Norwegern keine harten Devisen mehr für ihr Walöl zahlen mussten. Ritscher, Regierungsrat im Oberkommando der Kriegsmarine, hatte für diesen neuen Job aus Sicht der Nazis eine „reine Weste“: In jenem Jahr, als er zum Regierungsrat befördert wurde, ließ er sich von seiner Frau Susanne, geborene Loewenthal, scheiden. Sie war Jüdin.

Kapitän Ritscher überwachte von seinem Büro am Glockengießerwall aus den Umbau des ehemaligen, 1925 in Kiel fertiggestellten Frachtschiffes der Deutschen Lufthansa und drängte auf Eile. Weil die ursprünglich für den Schiffsumbau vorgesehene Bremer Werft mit Aufträgen für die Wehrmacht belegt war, musste unter anderem Blohm+Voss einspringen.

Auf der mit einem Hilfsdiesel verstärkten „Schwabenland“, vormals „Schwarzenfels“, flatterten beim Auslaufen auf der Elbe neben der Reichsflagge auch die Hausfahne der Deutschen Forschungsgemeinschaft, um den internationalen Status als Staatsdampfer für Forschungszwecke zu signalisieren. Bereits einen Monat später, am 19. Januar 1939, erreichte die Crew das polare Zielgebiet vor dem heutigen Königin-Maud-Land, das sieben Mal so groß wie Deutschland ist. Alfred Ritscher notierte später: „Die zusammengepackten Eismassen sind härter als Granit und bedeuten für jedes Schiff den Tod, das zwischen sie gerät.“

Plateau mit 100 Süßwasserseen

Wie geplant starteten die Flugboote vom Typ Dornier-10-t-Wal Erkundungstouren und machten Luftaufnahmen. Ritscher: „Es gibt dort kein Lebewesen, keinen Baum, keinen Strauch, selbst der buntblumige Moosteppich fehlt, der sonnigen Stellen der Inseln im Nordpolarmeer noch bis 80 Grad Nord hinauf wenigstens den Hauch von Leben verleiht. Nicht einmal ein Vogel sucht diese einsame Gegend auf, kein Laut ertönt außer dem Knistern, Krachen und Poltern des Inlandeises...“ Die Nazis nannten das in Besitz genommene Territorium „Neuschwabenland“, erkundeten das 600.000 Quadratkilometer große Gebiet und erstellten eine Karte.

Doch sie hatten die Rechnung ohne Norwegen gemacht. Die Skandinavier hatten bereits fünf Tage vor Ankunft der „Schwabenland“ die Region per königlichem Dekret unter den Anspruch ihres Landes gestellt. Das zum Zeitpunkt des Auslaufens der „Schwabenland“ von keiner Nation beanspruchte Gebiet zwischen 10°W und 15°O bekam zwar von den Deutschen den Namen „Neuschwabenland“. Die Norweger nannten das Territorium zwischen 20°W und 45°O Königin-Maud-Land. Offenbar war die deutsche Mission nicht mehr geheim geblieben. Trotzdem setzte die Expedition ihr Programm fort. Dazu gehörten Erkundungs- und Vermessungsflüge und zahlreiche Foto- und Filmaufnahmen, die allerdings durch die Kriegswirren teilweise vernichtet wurden.

Der Kapitän des Flugbootes Boreas, Richard-Heinrich Schirmacher, entdeckte zudem ein eisfreies Plateau mit 100 Süßwasserseen. Es trägt noch heute als „Schirmacher-Oase“ seinen Namen. Und Helmuth Wohlthat, Chef der Reichsstelle für Milcherzeugnisse, Öle und Fette, wird bis heute mit der Entdeckung des gut 3000 Meter hohen „Wohlthat“-Massivs verewigt. Alle Erkundungen erfolgten, ohne dass ein einziges Crewmitglied den Kontinent betreten hatte.

Die „Schwabenland“ katapultierte ein Wasserflugzeug von Bord.
Die „Schwabenland“ katapultierte ein Wasserflugzeug von Bord. © AP

Nach weiteren Untersuchungen der Lebensbedingungen für die Wale und dem Abwurf der Nazi-Hoheitszeichen trat die „Schwabenland“ ihre Heimreise an. Unterwegs erhielt die Besatzung ein Telegramm von Göring mit der Gratulation zu dem „bedeutenden Erfolg“; er sei der „Stellung Großdeutschlands in der Welt würdig“.

Am 11. April 1939 lief die „Schwabenland“ wieder im Hamburger Hafen ein. Weitere geplante Antarktis-Expeditionen scheiterten mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Die „Schwabenland“ kam als Katapultschiff für Fernaufklärer zum Einsatz. „Im Januar 1942 wurde die für die Fortsetzung der Expeditionsarbeiten eingelagerte Polarkleidung an die Wehrmacht für die Ostfront abgegeben“, schreibt die Hamburger Historikerin und Expertin für Polargeschichte, Professorin Cornelia Lüdecke. Nach der Beschlagnahmung durch die britische Marine wurde die „Schwabenland“ 1946 mit 1400 Tonnen Giftgasmunition beladen und im Skagerrak versenkt.

Anlass für Verschwörungstheorien

Bis heute bietet die Nazi-Polarexpedition Anlass für Verschwörungstheorien. Angeblich sollen bei Kriegsende Adolf Hitler und Eva Braun ins ewige Eis nach Neuschwabenland geflohen sein. Ein weiterer Mythos besagt, dass 1958 eine Atombombe über der Antarktis gezündet worden sei, um die deutsche Basis zu zerstören.

„Neuschwabenland“ lebe immer noch in den Köpfen weiter, notiert Lüdecke in ihrem Buch „Deutsche in der Antarktis“. Bei der Wahl zum Studierendenparlament der Universität Hamburg gab es 2015 ein Plakat der Alternativen Linken (AL), die sich parteiunabhängig für Basisdemokratie und eine autonome Uni einsetzten. Das Plakat, das am Hauptgebäude der Uni aufgehängt wurde, zeigte die Umrisse der antarktischen Landkarte mit dem AL-Logo und einem Pfeil: „Nazis nach Neuschwabenland“.

Kapitän Alfred Ritscher wurde nach dem Krieg Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung. Er bekam das Bundesverdienstkreuz und starb 1963 in
Hamburg.