Hamburg. Drei Hoffnungsträger, ein Altmeister und der Bürgermeister mussten in Hamburg zeigen, was sie rhetorisch können. Wer sich wie schlug.
Wer wissen will, wie ein Politiker sprechen muss, um nicht wie ein Politiker zu wirken, sollte eine Viertelstunde Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) zuhören. Der zeigte beim Neujahrsempfang des Unternehmensverbandes Nord (UV Nord) in Hamburg, wie unterhaltsam politische Reden sein können, ohne dabei albern zu werden – und hatte den besten Auftritt im Vergleich der fünf Top-Politiker, deren rhetorische Leistungen (und Tricks) sich das Abendblatt angesehen hat. Hier die Ergebnisse:
Daniel Günther
Spricht meistens frei, tut gern so, als er hätte eine vorbereitete Rede „in Kiel vergessen“. Oder zieht, wie beim Neujahrsempfang des UV Nord, einen winzigen Spickzettel aus der Jackentasche, auf den maximal ein paar Zahlen passen. Günther gelingt wie wenigen anderen Politikern die Mischung aus persönlichen Geschichten – möglichst mit Bezug zum Ort, an dem er spricht –, politischen Botschaften und kleinen Gehässigkeiten.
In Hamburg erzählte er, wie sehr er sich freue, dass Peter Tschentscher und er die Handynummer ausgetauscht hätten. Um hinterher zu schieben: „Das ist nicht selbstverständlich zwischen dem Hamburger und dem Schleswig-Holsteiner Regierungschef. Ich will da jetzt keine Namen nennen, aber in meiner bisherigen Zeit als Ministerpräsident ist Peter Tschentscher der erste Hamburger Bürgermeister, der mir seine Handynummer gegeben hat.“ Man muss wissen: Günther ist erst seit 2017 Ministerpräsident, der einzige Bürgermeister, den er erlebt hat, war Olaf Scholz…
So geht es weiter, abwechselnd fröhlich und ernst, gern selbstironisch, etwa wenn es um Führungskräftemangel und die Frage geht, ob man so viele Geisteswissenschaftler im Land braucht: „Ich darf das sagen, ich bin selbst Geisteswissenschaftler und hätte als solcher in Schleswig-Holstein kaum etwas anderes als Ministerpräsident werden können.“
Daniel Günther weiß, dass Informationen am besten transportiert werden, wenn man sie mit Emotionen verbindet. So beendet er seine Kritik an der Methode „Schreiben nach Gehör“ mit der Frage: „Haben Sie sich mal überlegt, wie Schreiben nach Gehör in Schwaben funktionieren soll?“ Er macht sich über die Deutsche Bahn lustig, wenn er erzählt, dass ein Zug, mit dem er in China unterwegs war, nicht um 13.22 Uhr, sondern um 13.21 Uhr losgefahren sei, „stellen Sie sich das mal vor!“
Und er gibt so offen Schwächen der Politik zu, dass man sie ihm eigentlich nur verzeihen kann: Etwa, wenn es darum geht, dass die Autobahn 20 erst 2030 fertig wird. „Das müssen Sie wissen“, sagt er den Wirtschaftsvertretern, „und wir alle müssen wissen, dass das viel zu lange ist.“ Daniel Günthers größter Vorteil: Da er kein Manuskript hat, muss er sich auch nicht daran halten, kann auf Zwischenrufe und Stimmungen reagieren – und kommt zum Ende, wenn er merkt, dass es genug ist. Kann man kaum besser machen. Wenn es denn einer kann, ist es . . .
Neujahrsempfang des „Klönschnacks“
Sigmar Gabriel
Wer als SPD-Anhänger den ehemaligen Parteivorsitzenden und Außenminister beim „Klönschnack“-Neujahrsempfang erlebte, muss sich geärgert haben: Auf so einen Redner kann die Sozialdemokratie gerade jetzt nicht verzichten. Gabriel ist klug, schnell und bissig, ihn rhetorisch zu reizen ist gefährlich – und endet in der Regel mit einer Niederlage für den, der es versucht.
Das musste Robert Habeck erfahren. Der spielte in seiner Rede viel mit Handball-Vergleichen (siehe unten), zum Beispiel so: „Aus dem Handball kennt man das ja: Links antäuschen und rechts vorbeigehen – bin gespannt, was Sigmar Gabriel gleich dazu sagt.“ Der konterte locker: „Lieber Robert, dass du dir Gedanken machst, mit welcher Hand du wie täuschst, das glaube ich.“ Der SPD-Politiker ist wie Günther ein Freund der freien Rede, die aber meist auf ein paar erprobten Geschichten und Gags fußt.
Ausgangspunkt ist dabei oft, auch jetzt in Hamburg, seine Heimatstadt Goslar, die vermeintliche Provinz, mit der sich als Redner natürlich gut kokettieren lässt. Wer Gabriel öfter zuhört, kennt deshalb die Geschichte von der Weltkarte, die im Vatikan hängt. „Welche Stadt ist im Mittelpunkt?“ fragte der Bundestagsabgeordnete auch das Publikum auf dem Süllberg. Wenn einige dann „Rom“ rufen, grinst er und sagt: „Richtig. Jerusalem. Und was ist daneben? Nein, nicht Hamburg. Goslar.“
Auch Gabriel ist ein Geschichtenerzähler, der persönliche Erlebnisse insbesondere dann in seine Reden einbindet, wenn sie einen Bezug zum Publikum haben. In Hamburg erzählte er deshalb von seinem Besuch der Gala des St. Pauli Theaters in der Elbphilharmonie. Von Stefan Gwildis habe er da gelernt, dass Hamburger auf Krisen wie folgt reagieren würden: „Im Hafen auf einen Polder hocken, Schiffe gucken, Schnauze halten.“ Daran würde er denken, so Gabriel weiter, „wenn ich das nächste Mal Andreas Nahles treffe“.
Der Lacher ist kalkuliert, den Spruch kann Gabriel aber auch nur deswegen machen, weil er eben kein Spitzenpolitiker mehr ist. Das macht es für ihn leichter, bei einem Abend wie in Blankenese zu bestehen, die Zeiten, in denen er Rücksicht nehmen muss, sind vorbei. Ob ihm das selbst Spaß macht? Man weiß es nicht. Wie bei den allen Reden, die er zuletzt in Hamburg gehalten hat, verschwand Gabriel nach dem langen Schlussapplaus sofort. Locker ist anders, zum Beispiel…
900 Gäste feiern den Neujahrsempfang des Abendblatts
Robert Habeck
Der Bundesvorsitzende der Grünen hat ein Buch über Sprache und Politik geschrieben, und es macht tatsächlich deutlich mehr Spaß ihm zuzuhören als vielen anderen Politikern. Sein Format ist dabei aber der Dialog, Habeck ist am besten, wenn ihm Fragen gestellt werden, über die er nachdenken und dann antworten kann. Seine Reden haben immer etwas Philosophisches, seine Sprache etwas (bewusst) Unfertiges, es wirkt, als würde er das Publikum live an einem Gedankenprozess teilhaben lassen. Habeck sucht und findet ständig Bilder, es sollen aber möglichst solche sein, die nicht alle verwenden.
Also redet er in Hamburg nicht über Fußball, obwohl sich das ja anbieten und Lacher garantieren würde. Er erzählt von seiner Handball-Leidenschaft, dass er statt seinem Gesicht viel lieber das WM-Spiel Deutschland gegen Korea auf den Bildschirmen hinter sich sehen würde – und dass man vom Handball lernen könnte, wie wichtig jeder einzelne für das große Ganze sei: „Das ist doch ein schönes Bild für unser Land.“ Habecks vielleicht größtes Plus als Redner: Er nimmt sich nicht zu ernst, räumt gleich am Anfang die aktuelle Diskussion über seinen Abschied von Twitter und Facebook ab („Alles, was sie wirklich über mich wissen müssen, finden sie im Internet“) und redet nicht zu lange. Auch das ein Kern für gute Reden: Sie sind eher kurz. Wer wüsste das besser als . . .
Der Neujahrsempfang im Rathaus
Annegret Kramp-Karrenbauer
Die hatte auf dem Bundesparteitag ja mit einer sehr persönlichen, leidenschaftlichen und kurzen Rede den vermeintlich unschlagbaren Rhetoriker Friedrich Merz besiegt. Entsprechend hoch sind seitdem die Erwartungen, wenn die neue CDU-Vorsitzende an ein Mikrofon tritt. Beim „Klönschnack“-Empfang konnte sie sie nicht erfüllen.
Nach einer kurzen „Wo-bin-ich-denn-hier-gelandet“- Begrüßung und einem Seitenhieb auf Sigmar Gabriel („Wenn er mal so regiert hätte, wie er heute hier gesprochen hat“), verfiel AKK in „Meine-sehr-geehrten-Damen-und-Herren“-Appelle, politische Allgemeinplätze und einen Duktus, der bei gern betonter Unterschiedlichkeit dann doch an Angela Merkel erinnern ließ.
Dabei hätte die Situation – Kramp-Karrenbauer redet auf einer Bühne als einzige Frau nach mehreren Männern – durchaus Chancen für eine pointierte Rede geboten. Doch um die schien es der CDU-Vorsitzenden nicht zu gehen, eher um etwas anderes: AKK nahm und nimmt bewusst eher langatmige und getragene Passagen in Kauf, um die Ernsthaftigkeit und die Seriosität ihrer Anliegen zu streichen.
Das kann man machen, muss es dann aber auch durchziehen: Wer wie Kramp-Karrenbauer am Ende ihrer Rede eine Replik auf Habecks Handball-Metapher versucht, und dann nur beim Helmut-Kohl-Zitat „Entscheidend ist, was hinten rauskommt“ landet, erhält kaum Applaus. Und muss mit Einschätzungen wie jener eines Gastes in Blankenese leben. Der sagte: „Wenn die beim Parteitag so gesprochen hätte wie hier, wäre Friedrich Merz heute CDU-Vorsitzender.“ Der hatte allerdings keine zweite Chance, anders als . . .
Blattsalat statt Blattgold: Neujahrsempfang des HSV
Peter Tschentscher
Hamburgs Bürgermeister war der einzige Redner, der innerhalb von knapp drei Stunden zweimal ran konnte beziehungsweise musste. So viel vorweg: Die Zeiten, in denen sich der Senatschef strikt an ein (von anderen) vorbereites Manuskript hält, sind vorbei. Tschentschers Reden sind offener als die von Olaf Scholz, er sucht stärker den Kontakt zum Publikum – und er strahlt eine andere Fröhlichkeit aus.
Rhetorisch spielte er Hamburger Klischees, und stellte diesen eine eigene Idee gegenüber. Beim UV Nord ging es um „hanseatischen Realismus“, zu dem für Tschentscher im Jahr 2019 aber auch „Optimismus und Zuversicht“ gehören. Wer führen will, muss fröhlich sein: Der Bürgermeister strahlte fast die gesamte Zeit. Die Idee dahinter: Mag sein, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland schlechter wird – in Hamburg muss sich niemand Sorgen machen.
Beim „Klönschnack“ übertrieb es Tschentscher dann (bewusst?) mit dem Optimismus, malte ein Bild von Hamburg als perfekter Stadt, und war nur kurz irritiert, als es im Publikum zu rumoren begann. Die zweite Rede war sicher nicht so gut wie erste, aber am Ende doch schlau: Der Bürgermeister versuchte gar nicht erst, in den Wettstreit zwischen Habeck, Gabriel und Kramp-Karrenbauer einzutreten – so schnell, wie er auf der Bühne war, war er auch wieder runter.