Hamburg. Vereine könnten ihre Gemeinnützigkeit verlieren, wenn nur Frauen oder nur Männer Mitglied werden dürfen. Finanzamt stellt Ultimatum.
Kalter Wind bläst Ruderinnen und Ruderern in diesen Tagen auf der Alster und den zuführenden Kanälen ins Gesicht, wenn sie sich mit ihren Booten aufs raue Wasser wagen. In den Clubhäusern an den Ufern ist die Stimmung derzeit nicht minder kühl. Seit das Finanzamt Hamburg-Nord einem Frauen- und zwei Männer-Rudervereinen droht, ihnen den überlebenswichtigen Status der Gemeinnützigkeit wegen Diskriminierung der anderen Geschlechter abzuerkennen, folgt eine Krisensitzung auf die andere. „In einer Multikultistadt wie Hamburg ist dieses Vorgehen schon etwas befremdlich“, klagt Werner Glowik, der Vorsitzende des Hamburger Ruderverbands (26 Vereine, 6600 Mitgliedschaften).
Finanzielle Privilegien in Gefahr
Hauptbetroffene sind zunächst die 380 Mitglieder des Hamburger Ruderinnen-Clubs am Isebekkanal (das Wort „Mitgliederinnen“ kennt der Duden bislang nicht). Bis Ende des Monats müssen sie ihre Satzung ändern, explizit auch Männern die Zugehörigkeit erlauben, andernfalls entzöge die Behörde dem Club weitgehende finanzielle Privilegien.
Dabei geht es um die steuerliche Absetzbarkeit von Spenden für die Spender, um die Besteuerung von Einnahmen, die Mitgliedschaft im Hamburger Sportbund (HSB) sowie den lokalen und nationalen Fachverbänden, die pachtfreie Nutzung städtischer Grundstücke, die Zulassung zu Regatten und Meisterschaften, den Erhalt von Fördermitteln – alles in allem um die Existenz des Vereins. Erst kürzlich überwies das Bezirksamt Nord den Ruderinnen 5000 Euro für den Kauf eines neuen Bootes. „Verlieren wir die Gemeinnützigkeit, müssen wir unseren Club wahrscheinlich schließen“, sagt die ehemalige Vorsitzende, die Juristin Angela Braasch-Eggert, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes für langjähriges ehrenamtliches Engagement.
Ähnliche Schreiben des Finanzamts erhielten die an der Außenalster beheimateten Ruder-Clubs Allemannia (gegründet 1866/715 Mitglieder) und Favorite Hammonia (gegründet 1854/800 Mitglieder), die bisher meist nur Männer aufnahmen. Das Problem berührt jedoch nicht ausschließlich die Wassersportler. Unter den 821 im HSB (530.000 Mitgliedschaften) registrierten Vereinen gibt es 77, die meisten davon mit weniger als 100 Mitgliedern, in deren Listen nur Männer stehen, fünf, die nur Frauen aufführen.
Sportstaatsrat Holstein soll vermitteln
Ob diese ihre Satzungen aktualisieren müssen, ist offen. Denkbar ist auch, dass in diesen 82 Clubs die jeweils anderen Geschlechter bislang gar keine Mitgliedschaft anstrebten, obwohl diese möglich wäre. „Bei uns jedenfalls hat noch nie ein Mann einen Aufnahmeantrag gestellt“, sagt Braasch-Eggert.
Jahrzehntelang hatten Finanzämter keinen Anstoß an Männer- und Frauenvereinen genommen. Bewegung kam in diese Problematik nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in München vom 17. Mai 2017. Eine Freimaurerloge in Nordrhein-Westfalen hatte einer Frau, die sich ausdrücklich zu den Werten des Vereins bekannte, die Mitgliedschaft verweigert, weil die Loge eine „Vereinigung wahrheitsliebender, ehrenhafter Männer“ sei. Die Frau klagte. Der BFH bestätigte dann ein Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf, dass Vereine mit derartigen Regelungen nicht der Allgemeinheit dienen, damit nicht gemeinnützig seien. Seitdem wird die Loge besteuert wie ein Unternehmen. Diese reichte daraufhin Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Das nahm die Klage nicht an, schrieb zudem in seiner Vorkommentierung, dass das Urteil des Finanzhofs auch auf Sportvereine übertragen werden könnte.
Grundlage des Richterspruchs ist Artikel drei des Grundgesetzes. In Absatz zwei heißt es: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Die drei Ruder-Clubs haben inzwischen Hamburgs Sportstaatsrat Christoph Holstein um Vermittlung gebeten. Der sucht mit Sportsenator Andy Grote (SPD) nach pragmatischen Lösungen, sagt aber auch: „Die Argumentation des Finanzamts ist nicht an den Haaren herbeigezogen. Wir überlegen jetzt gemeinsam mit der Finanzbehörde, was man zum Beispiel im Fall des Ruderinnenclubs tun kann. Wünschenswert ist eine möglichst einheitliche, nachvollziehbare und nachprüfbare Regelung. Es gilt aber auch: Wir wollen barriere- und diskriminierungsfreien Sport in Hamburg. Der pauschale Anspruch auf Geschlechterexklusivität in Sportvereinen erinnert ein bisschen an das vergangene Jahrhundert.“ Damit sei speziell der Ansatz „Wir wollen unter uns bleiben“ gemeint, sagt Holstein. Der unterscheide sich von der Begründung für getrennte Badezeiten in öffentlichen Schwimmbädern: „Da gibt es eine konkrete Herleitung.“
Frauen wurden mit Steinen beworfen
Frauen war lange Zeit die Mitgliedschaft in Sportvereinen verwehrt – noch bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts galt Frauensport als unästhetisch, vermännlichend, medizinisch bedenklich wegen möglicher Unfruchtbarkeit. Der Hamburger Ruderinnen-Club wurde 1925 von Frauen gegründet, deren Ehemänner, Brüder und Väter ruderten, „in einer Zeit, als gerade in der Hansestadt der Sport als elitär galt und nur den Männern vorbehalten war“, wie HSB-Referentin Andrea Marunde im hauseigenen Mitteilungsblatt schreibt. „Die ersten Frauen, die ruderten und sich ihrer langen Röcke zwecks Kommodität entledigten, wurden von Brücken mit Steinen beworfen, weil es unschicklich war, Haut zu zeigen. So errichteten sie sich selbst ihren Schutzraum.“
Jürgen Mantell, HSB-Präsident und promovierter Jurist, missfällt gerade wegen der historischen Diskriminierung der Frauen im Sport die Argumentation der Behörde: „Die Haltung des Finanzamts klingt konsequent. Sie klingt aber auch formal. Es überzeugt nicht in der Sache, wenn der Anlass für die Gründung eines Frauenruder-Clubs vor fast 100 Jahren – die fehlende Möglichkeit, in einem Sportverein zu rudern – jetzt wegen des Ausschlusses von Männern argumentativ gegen sie verwendet wird, ohne Anlass.“ In Hamburg hätten Frauen und Männer in einer großen Vielfalt von Clubs uneingeschränkte Möglichkeiten, im Verein zu rudern. Wenn faktisch keine Diskriminierung vorliege, sei es schwer verständlich, „warum gewollte und tatsächlich schadlose Nischen in der Clubstruktur aus formalen Gründen geschlossen werden sollen“.
Ähnlich sieht es Ruderin Braasch-Eggert. In der Global ActiveCity Hamburg müsse vom Finanzamt die gesamte Sportlandschaft beurteilt werden, nicht nur ein Verein. Das Dekret zu den Freimaurern, deren Angebote regional alternativlos sind, sei nicht eins zu eins auf die Situation in Hamburg zu übertragen. „Wir sitzen zudem bei Mixed-Wettkämpfen auch mal mit Männern in einem Boot, und nur zehn Meter neben uns können Männer bei der SV Polizei uneingeschränkt rudern“, sagt sie.
Verlust der Gemeinnützigkeit existenzgefährdend
Das Vorgehen des Finanzamts zeigt indes erste Wirkung. Dirk Heinike, Vorsitzender des RC Allemannia, will nach Abstimmung mit seinen Vorstandskollegen auf der Mitgliederversammlung im Februar darüber beraten lassen, „wie wir weitermachen“, ob Frauen aufgenommen werden sollen – was allerdings schon die gültige Vereinssatzung nicht ausschließt. 2004 war ein solches Ansinnen noch mit knapper Mehrheit abgelehnt worden. Formal führt der Club über die Kooperation mit der Hamburg School of Business and Administration (HSBA) bereits rund zehn weibliche Mitglieder. Doch Heinike will auf Nummer sicher gehen: „Wir können es uns nicht leisten, die Gemeinnützigkeit zu verlieren, das kann uns unsere Existenz kosten. Dieses Risiko will ich nicht eingehen.“ Fiele ein Großteil der von der Steuer absetzbaren Spenden aus, „müssten wir unseren Jahresbeitrag wohl auf etwa 2300 Euro vervielfachen. Dann wären wir nicht mehr marktfähig.“
Der Hamburger Ruderinnen-Club und der Männerverein Favorite Hammonia wollen dagegen vorerst nicht nachgeben. „Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, um unsere Traditionen zu bewahren“, sagen Braasch-Eggert und Jan Warmke, Vorsitzender des RC Favorite Hammonia. Es sei ein prinzipielles Thema, der Staat dürfe nicht derart tief in die Vereinsautonomie eingreifen. Am Ende, gestehen beide, werden sie es aber nicht so weit kommen lassen, dass ihre Vereine die Gemeinnützigkeit verlieren.
Steuerberater und Anwälte arbeiten momentan Modelle aus, um beides zu gewähren: Das Plazet des Finanzamts und die Fortschreibung der eigenen Geschichte. Angedacht ist eine enge Kooperation, in der beide Clubs jedoch ihre Autonomie behalten.