Hamburg. Die Pfarrer Björn Kranefuß und Johannes Peter Paul kümmern sich um Passagiere, Mitarbeiter und Besucher.

Kapelle, Kreuz, Altar – alles da. Aber: Eine Kirche am Flughafen? Mit Blick aufs Rollfeld? Wer braucht sowas? Und wer geht da hin? Gar nicht mal so wenige, wie die beiden Hamburger Airport-Pfarrer Björn Kranefuß (evangelisch) und Johannes Peter Paul (katholisch) sagen. Kranefuß ist seit 18 Jahren Flughafen-Pastor, Paul seit knapp einem halben Jahr. Im Gespräch erzählen sie, warum ihre Gemeinden flüchtig sind, was sie bei Flugangst unternehmen und warum ihre Arbeit auch traurig machen kann.

Herr Kranefuß, Herr Paul, mal ehrlich: Was machen Sie hier, als Geistliche am Flughafen?

Björn Kranefuß: Wir arbeiten hier, als eigener Stadtteil mit 16.000 Mitarbeitern braucht man eben auch mal eine Kirche. Dabei orientiert sich mein Aufgabenfeld an drei Gruppen: den Reisenden, den Mitarbeitern und den jährlich acht Millionen Besuchern des Airports. Ich habe also einerseits eine sehr flüchtige Gemeinde – die Reisenden und die Besucher, andererseits eine feste Gemeinde – die Mitarbeiter.

Johannes Peter Paul: Ich bin ja erst seit sechs Monaten hier. Bei der ersten Urlaubsvertretung für Herr Kranefuß hatte ich natürlich gehofft, dass es keine Notfälle gibt. Und dann strandete eine Frau aus Oslo hier.

Mit welchem Problem?

Paul: Sie wollte nach Neapel, konnte sich nicht verständigen, hatte Plastiktüten unterm Arm. Mit dem Roten Kreuz mussten wir versuchen, sie zu beruhigen. Ich kam schnell an den Airport und habe geholfen so gut es ging.

Passiert das öfter, dass Menschen mit profanen weltlichen Problemen geistigen Beistand suchen?

Paul: Religion kann auch verbinden. Als die Frau hörte, dass ich katholisch bin, sagte sie: Ich auch. Das half.

Kranefuß: (lacht) Es ist wie anderswo auch: Wenn den Leuten sonst nichts mehr einfällt, wird der Pastor gerufen. Im Ernst: Wir sind besonders gefragt, wenn Menschen am Flughafen in eine schwierige emotionale oder soziale Lage geraten und Unterstützung brauchen.

Sind Sie den ganzen Tag vor Ort?

Kranefuß: Nein, ich bin offiziell 20 Stunden in der Woche hier, der Andachtsraum ist von 6 bis 22 Uhr offen. Die entscheidenden Kontakte kommen aber oft über Anrufe.

Paul: Bisher ist Herr Kranefuß als Frühaufsteher morgens hier, ich nachmittags. Nächstes Jahr werde ich von Dienstag bis Freitag vom Mittag bis Abend hier sein.

Sie haben eine flüchtige Millionengemeinde, wer kommt denn tatsächlich?

Kranefuß: Die meisten kommen natürlich einzeln in den Andachtsraum, es gibt aber auch Reisegruppen. Und dann haben wir eine spezielle Gruppe, die Geo-Cacher. Etwa 1000 dieser Verstecksucher kommen pro Jahr, weil wir hier im Andachtsraum einen Cache haben. Der ist total beliebt, wurde sogar schon zum Versteck des Jahres gewählt.

Gibt es einen besonders religiös aufgeladenen Flug?

Kranefuß: Wenn Passagiere nach Israel reisen, kommen sie vorher gerne in den Andachtsraum.

Und welche Themen verhandeln Sie hier?

Kranefuß: Menschen bitten um einen Segen vor einer Reise, Großeltern, die gerade ihre Enkel verabschiedet haben, möchten ein Gebet sprechen. Aber gefragt sind oft auch die großen T’s: Taufen, Trauungen, Trauerfeiern. Letztere vor allem für Mitarbeiter. Manchmal kommen Menschen aber mit Flugangst zu uns.

Was erzählen Sie denen?

Kranefuß: Flugangst hat nichts mit dem Kopf zu tun, rationale Erklärungen wie: „Es ist das sicherste Verkehrsmittel“ haben die Leute selbst. Grundsätzlich gibt es bei Flugangst keinen Quick Fix, keine schnelle Heilung. Es ist eine symptomatische Angst, man hat keine Kontrolle, keinen Halt, keinen Boden unter den Füßen. Immerhin erleben es viele als hilfreich, wenn ich mit ihnen spreche. Praktisch spreche ich Ihnen meist einen Segen aus und habe einen Reisenegel dabei, den ich verschenke.

Paul: Ich war kürzlich in Rom und neben mir hatte jemand alles eingeworfen, was man gegen Flugangst bekommen kann. Trotzdem war er verkrampft. Das zeigt auch: Es lässt sich nicht beherrschen. Man fühlt sich ausgeliefert.

Kranefuß: Ein Kernthema des Glaubens. Loslassen, sich ausliefern.

Es geht hier aber nicht nur Flugangst, oder?

Kranefuß: Nein, ich bin auch Ansprechpartner bei Krisen bis hin zu Todesfällen oder dem Überbringen der Todesnachricht. Das passiert leider immer wieder. Im Flugzeug, am Airport oder am Urlaubsort. Manchmal sind Angehörige dabei, manchmal wird es ihnen hier gesagt. Das begleite ich.

Halten Sie hier auch Gottesdienste?

Paul: Jeden Sonntag von 11 Uhr an ist unser katholischer Gottesdienst. Seit Juli eine Premiere und bisher ein zartes Pflänzchen. Beim ersten Mal waren zehn Menschen da, wir hatten aber auch schon 36. Zwei Taufen und eine Trauung haben wir auch schon gemacht.

Wer lässt sein Kind hier taufen und, noch abwegiger, wer heiratet hier?

Paul: Die Eltern hatte ich getraut, deshalb wollte sie von mir hier auch ihr zweites Kind taufen lassen. Die Hochzeit war eine Vermählung von einem Langstreckenflieger, die musste allerdings nach Blankenese ausgelagert werden, die Gäste hätten hier gar nicht alle reingepasst. Die Frau war Stewardess, entsprechend viele Luftfahrer waren dabei.

Gibt es auch einen evangelischen Gottesdienst?

Kranefuß: Ich mache eine Andacht am Mittwochmorgen. Wir überlegen gerade, einen ökumenischen Gottesdienst zu etablieren.

Kommen eigentlich mehr Katholiken oder mehr Protestanten? Gibt’s eine Strichliste?

Paul: Bei mir nicht. Ich möchte Seelsorger nicht Zählsorger sein. Führen Sie eine?

Kranefuß: Nein. Viel wichtiger als diese Unterscheidung ist, dass wir hier nach dem Prinzip der Gastfreundschaft verfahren. Ich habe sowohl mit Muslimen als auch mit Menschen zu tun, die gar nichts glauben. Wir sind hier nicht konfessionsbezogen unterwegs. Wer Hilfe braucht, bekommt sie.

Paul: Die Kapelle ist nicht katholisch oder evangelisch, sondern ökumenisch.

Haben Sie mal andere Airportkapellen besucht?

Kranefuß: Ich persönlich mag den Andachtsraum in München sehr gerne

Was sind hier die größten Unterschiede zum gewöhnlichen Kirchendienst?

Paul: Es ist sehr spannend. Am Anfang war mir der Ort fremd. Ich habe auch in meiner Kirche davor versucht, über den Tellerrand zu gucken. Als in der DDR geborener Katholik wusste ich, was es bedeutet, in einer säkularisierten Welt zu leben. Und nun der Flughafen im vermeintlich „gottlosen“ Hamburg? Aber: Es ist eine Stadt voller Sehnsucht! Und das hier ist ihr Brennglas. Hier begegne ich Menschen mit Fragen, Sorgen, Kritik. Die Leitfrage ist doch: Was kostet Menschsein? Es kostet mich selbst.

Kranefuß: Der größte Unterschied ist, dass ich hier nicht Hausherr bin. Ich bin aus Sicht des Flughafens ein Serviceanbieter. Auch der Rahmen ist anders: Während im Dorf die Kirche immer im Zentrum steht, sind wir hier doch etwas ab von Schuss, was andererseits die gesellschaftliche Stellung der Kirche in der Großstadt gut abbildet. Wir sind als Geistliche hier am Flughafen schon in einer besonderen Situation.

Inwiefern?

Kranefuß: Religion am Flughafen ist ja nicht unumstritten. Der Airport ist bemüht, seine weltanschauliche Neutralität zu wahren. Umgekehrt werden kirchlicherseits Themen wie Abschiebung, Ökologie oder Arbeitsbedingungen in einigen Bereichen kritisch gesehen. Ich bin hier Grenzgänger und es ist ein bisschen wie Militärseelsorge: Als Kirche segnet man hier auch ein bisschen das „Unreine“, das ist jedenfalls die Sorge mancher Kirchenleute. Andererseits bin ich nah dran am Alltag der Menschen und an ihren Ausnahmesituationen. Das genieße ich sehr, das Direkte und Spontane. In der Kirche ist Religion das Hauptthema, hier ist es eines von vielen.

Fehlt Ihnen etwas?

Kranefuß: Naja, es gibt keine kirchliche Infrastruktur, deshalb reise ich hier buchstäblich mit leichtem Gepäck. Büro, Computer, sonst nix. Aber auch hier dominieren drei große Themen eines Pastors in der Gemeinde: Gutes tun, Tod und Glaube/Spiritualität. Der Flughafen ist auch religiös aufgeladen.

Ach wirklich?

Kranefuß: Nur ein Beispiel: Die Sehnsucht nach dem Paradies, von der auch die Bibel spricht, ist hier lebendig als Sehnsucht nach dem Urlaubsparadies. Wir bereden hier Themen wie Sehnsüchte, Paradies und eben auch Gestrandete. Das sind einerseits Reisende, die nicht weiter wissen. Andererseits gibt es hier auch Obdachlosigkeit, nicht so ausgeprägt und öffentlich wie am Bahnhof, aber es gibt sie. Auch hier fallen Leute durch Systeme. Wir hatten eine Kroatin, die hat fünf Wochen im Terminal gelebt. Da muss man Lösungen finden, denn erst mal fühlt sich niemand zuständig. Weder Bundespolizei noch Rotes Kreuz, aber der Frau muss ja geholfen werden.

Was war ihr eindrücklichstes Erlebnis in all den Jahren?

Kranefuß: Ich habe mal über mehrere Stunden eine Muslima begleitet, die am Telefon erfahren hatte, dass ihr Vater in Marokko bei einem Autounfall gestorben war. In Panik ist sie aus ihrem Wohnort sofort zum Flughafen gefahren, weil für sie klar war: Ich muss da jetzt hin. Aber das geht natürlich nicht so einfach. Stundenlang mit dieser tieftraurigen Frau zusammen zu sein, sie auch zum Gate zu bringen, das steckt an.

Paul: Ich habe kürzlich die Begleitung von einem meiner ehemaligen Jugendlichen mit seiner Beerdigung abgeschlossen. Sehr traurig.

Wo bleiben da die schönen Momente?

Kranefuß: Mit unserem Mitarbeiterchor, den HAM-Singers, treten wir ein Mal pro Jahr im Michel auf. Und wir singen auch kurz vor Weihnachten im Terminal. Das ist richtig toll.

Paul: Vor 14 Tagen brachte ein Vater seinen wenige Wochen alten Benno mit zum Gottesdienst in die Kapelle. Alle 14 Anwesenden haben den kleinen Benno gesegnet, das war toll. Natürlich war auch die erste Taufe hier etwas besonderes.

Nehmen Sie hier auch die Beichte ab?

Paul: Wenn Pastor Kranefuß beichten will – ich habe eine Stola im Büro, er kann gern kommen. Aber im Ernst: na klar. Hier werden seelsorgerische und Beichtgespräche geführt, allerdings in meinem Büro bei geschlossenen Türen. Und nur im leisen Ton. Es ist sehr hellhörig in den Büros.

Kranefuß: In der katholischen Kirche ist die Beichte ein Sakrament, aber auch in der evangelischen kann gebeichtet werden. Wir hängen das nur nicht so hoch, machen es hier aber auch.

Paul: In manchen evangelischen Kirchen wird das gerade neu entdeckt.

Reisen Sie wegen Ihrer Tätigkeit lieber oder weniger gern mit dem Flugzeug?

Kranefuß: Ich mag den Flughafen lieber als das Fliegen. Ich finde den Airport gesellschaftlich enorm spannend. Urbanität, Mobilität, den Spirit hier finde ich spannender als den Spirit des Fliegens, das ist für mich emotionslos. Zuhause haben wir aber auch die Diskussion, ob wir ökologisch überhaupt noch fliegen sollten. De facto tun wir es.

Wohin zuletzt?

Kranefuß: Portugal.

Schön. Herr Paul?

Paul: Ich war in Rom und der Schweiz.

Welches Verhältnis haben Sie zum Fliegen?

Paul: Ich würde es als normal bezeichnen. Es ist ein Verkehrsmittel. Auch ich finde den Airport spannender, vor allem in seiner Art der Säkularisation. Theologisch gesehen wird katholische Kirche immer mehr zum pastoralen Großraum. Aus der Hubschrauberperspektive sehe ich aber nicht, was an der Basis vorgeht. Jetzt habe ich hier eine Pfarrei, die Millionen übertrifft. Ich muss manchmal richtig lachen. Am nicht von mir ausgesuchten Ort habe ich die größte Gemeinde. Arbeit ist für mich immer, Beziehungen zu ermöglichen und das geht hier erstaunlich gut.

Jetzt sind wir ganz ohne Dem-Himmel-so-nah-Plattitüden ausgekommen.

Kranefuß: Im Englischen gibt es ja nicht grundlos den Unterschied zwischen Heaven und Sky. Der physische Himmel, der Sky, ist nicht der, den wir als Theologen vor Augen haben. Dennoch ist der Himmel, der Heaven, hier anwesend, als Imagination in Form von Wünschen und Gedanken der Leute.

Paul: Wie das Bild hier an der Wand sagt: „Das Himmelreich ist in euch.“

Airport Hamburg: Seelsorge

Flughafenseelsorge, auch Airportchaplaincy, ist das Angebot der Kirchen für Reisende und Flughafenmitarbeiter. In Deutschland gibt es zwölf Flughäfen, die über eine Airportseelsorge verfügen, und zwar in Berlin, Leipzig, Dresden, München, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf, Münster, Hannover, Bremen und Hamburg.

Seit 1999 gibt es am Hamburger Airport den „Ort der Stille“ im Terminal 1. Die ökumenische Kapelle steht zum Nachdenken, Trostfinden, Beten, Danken oder Empfangen des göttlichen Segens zur Verfügung.

Björn Kranefuß (59) hat nach dem Theologiestudium sechs Jahre in Atlanta als Krankenhausseelsorger und Pastoralpsychologe gearbeitet. Neben dem Flughafen betreut er die Weiterbildung und Begleitung von Laien, die Gottesdienste in der evangelischen Kirche leiten. Er ist leidenschaftlicher HSV-Fan, liebt Sport (Laufen, Schwimmen, Fitnesstraining) und Musik (von Bach über Santiano bis Billy Talent). Außerdem liest er gern und viel.

Johannes Peter Paul (68) ist dem Generalvikariat des Erzbistums Hamburg angegliedert und besitzt neben dem Flughafen Beauftragungen zur Begleitung von Fernstudenten in Theologie in Rostock und Hamburg sowie die Beauftragung für Sinti, Roma und Jaenische im Norden. Als Beauftragter (vicarius substitutus) für Helgoland ist er zu den Hochfesten Weihnachten, Ostern und Pfingsten dort.