Hamburg. Anthony Jeyakumar flüchtete aus Sri Lanka nach Hamburg. Vor 30 Jahren startete seine Karriere bei Block House.
Die Handgriffe sitzen. Ganz selbstverständlich greift Anthony Jeyakumar nach dem Wasserhahn. „Vieles ist noch wie früher“, sagt er. Jahrelang war sein Platz vor der Spülmaschine. Berge von schmutzigen Tellern, Schüsseln und Bestecken sind durch seine Hände gegangen. Vorspülen, beladen, ausräumen. Acht Stunden lang, fünf Tage die Woche. Kaum sauber, stapelte das benutzte Geschirr sich wieder vor ihm. Es war laut, es war heiß und immer feucht. „Harte Arbeit“, erinnert sich Anton, wie ihn die meisten nennen – und er selbst auch. Als Spüler hat er elf Mark pro Stunde bekommen. Gutes Geld für einen Flüchtling, der nur mit dem, was er am Leib trug, aus Sri Lanka gekommen war. „Ich war dankbar für den Job.“
Knapp 30 Jahre später steht er wieder in dem schmalen Zwischenraum zwischen Edelstahlschränken, Spülbecken und – neuer – Spülmaschine in der Küche des Block-House-Restaurants in Bergedorf. Statt Arbeitsklamotten trägt er Anzug und Krawatte, das Hemd ist blütenweiß. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Tellerwäscher ist er schon lange nicht mehr. Seit drei Jahren führt Jeyakumar das Block House an der Münchener Leopoldstraße im schicken Schwabing, davor war er Restaurantleiter in Westerland auf Sylt.
Er kennt jeden Handschlag im Räderwerk der Block-House-Gastronomie. Das hilft. „Durch meine Erfahrungen schätze ich die Arbeit meiner Leute besser“, sagt er. Er ist bescheiden, der zurückhaltende Typ. Wenn Not am Mann ist, stellt er sich schon mal an den Grill – oder in die Spülküche. „Dann ist es egal, dass ich der Chef bin.“ Bis heute arbeiten dort zwei Freunde aus seiner Heimat, mit denen er 1988 in der Küche angefangen hat.
Auch seine Tochter arbeitet jetzt im Unternehmen
Die erstaunliche Geschichte des Anthony Jeyakumar beginnt vor 35 Jahren. Damals war der junge Tamile vor dem blutigen Bürgerkrieg nach Deutschland geflüchtet. Über Moskau und Ost-Berlin landete er als Asylbewerber im Westen der geteilten Stadt. Hinter sich gelassen hatte Jeyakumar seine Familie, sein Medizinstudium, sein Heimatland. „Es war kalt und ungemütlich in Deutschland“, sagt er. Aber friedlich und sicher. Die Unionsfraktion schrammt bei vorgezogenen Bundestagswahlen mit 48,8 Prozent der Stimmen nur knapp an der absoluten Mehrheit vorbei, das Magazin „Stern“ gibt den Fund der Hitler-Tagebücher bekannt, die sich schnell als Fälschung entpuppen. Im Juli werden bei einem Überfall tamilischer Rebellen auf den srilankischen Militärstützpunkt Four Four Bravo 13 Soldaten getötet. Das Ereignis markiert den Beginn des Bürgerkriegs, in dessen Verlauf 80.000 bis 100.000 Menschen zu Tode kommen und der erst 2009 beendet werden kann. Was für ein Unterschied.
Jeyakumar wurde in einem Flüchtlingsheim in Augsburg untergebracht. „Wir waren froh, dass wir ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen hatten.“ Jeden Monat gab es 47 Mark Taschengeld. Ab und zu bekam er von Bauern aus der Umgebung Gemüse und Obst zugesteckt. „Die Hilfsbereitschaft war groß.“ Der knapp 20-jährige Katholik dockte bei der örtlichen Kirchengemeinde an, besuchte einen Deutschkurs. „Mir ist schnell klar geworden, dass ich meinen Traum, Arzt zu werden, in Deutschland nicht umsetzen konnte“, erinnert er sich. Als Jeyakumar eine Arbeitserlaubnis bekam, suchte er sich einen Job. Es war die Zeit, als Asylbewerber nicht selten ein Schimpfwort war. Auch Jeyakumar mit seiner dunkleren Hautfarbe und den damals tiefschwarzen Haaren wurde angepöbelt. „Aber es war nie richtig schlimm“, verscheucht er die Erinnerung.
So wie ihm ist es Millionen Flüchtlingen ergangen. Jeyakumar wollte vorwärts kommen, sich ein Leben aufbauen, alles richtig machen in der neuen Heimat. Er spülte bei McDonald’s, im berühmten Hofbräuhaus und ab Mai 1988 im gerade eröffneten Münchner Block House. Mrs. Rumpsteak, bis heute sein Lieblingsgericht auf der Block-Karte, kostete 17 Mark. Damals unbezahlbar für ihn. Aber die Arbeit war in Ordnung, wichtiger wurde allerdings eine junge Hamburgerin, die zur Einarbeitung an die Isar gekommen war.
Jeyakumar musste für zwei Tage ins Gefängnis
Vielleicht war es die Liebe, die Pendelei zwischen Augsburg und München oder einfach nur jugendlicher Leichtsinn. Eines Tages standen zwei Kripobeamte im Block House und holten ihn ab. Seine Pläne in Deutschland, so schien es – perdu. Er hatte, wie sich später herausstellte, bei den Behörden zwar seine Arbeitsaufnahme angegeben, aber das Taschengeld nicht wie gefordert anteilig zurückgezahlt. Es ging um 23,50 Mark. „Dafür habe ich für zwei Tage in Stadelheim in einer Zelle gegessen wie später auch Uli Hoeneß“, sagt er. Er meint das witzig, aber auch nach so vielen Jahren klingt immer noch die Kränkung durch. Bei dem späteren Prozess verurteilte ihn der Richter zu einer Geldstrafe in Höhe von 700 Mark. Die konnte Jeyakumar nicht aufbringen. Also zurück in den Knast? Er beichtete seiner damaligen Chefin die Situation, und sein Arbeitgeber übernahm die Kosten für den Aushilfsarbeiter. „Ich musste es nie zurückzahlen“, sagt der heute 54-Jährige.
Das hört sich fast zu gut an, um wahr zu sein. Jeyakumar sagt es so: „Man muss Talent haben, um weiterzukommen, aber auch Glück.“ Wenn er über die Hamburger Restaurantkette spricht, klingt es, als habe er damals eine neue Familie gefunden. Dazu beigetragen hat auch seine erste Begegnung mit Marlies Head, Schwester von Eugen Block und Mitinhaberin des Unternehmens, die eines Tages bei einem Besuch ohne große Worte mit einem Trupp junger Spüler das Restaurant geputzt hatte. Nicht lange danach lernte er auch den Gründer kennen. Das war dann schon in dem Block House in Bergedorf, wohin der junge Mann aus Sri Lanka mit seiner schwangeren Frau gezogen war.
Jeyakumar wechselte von der Spülmaschine an den Grill
Jeyakumar war ehrgeizig. Er wechselte von der Spülküche an den Grill, bei der Steakhaus-Kette so was wie die Königsdisziplin. Danach bekam er das Angebot, am firmeneigenen Head-College eine kaufmännische Ausbildung zu machen. 1997 kam Anthony Jeyakumar zum ersten Mal im Anzug zur Arbeit, als Assistent zum Betriebsleiter in der Filiale am Grindelhof.
„Das Wichtigste für die Integration ist die Sprache“, sagt Jeyakumar. Mehr als zehn Jahre lebte er mit seiner ersten Frau und drei Kindern in Bergedorf, engagierte sich in Schule, Nachbarschaft und arbeitete viel. Sein norddeutscher Zungenschlag ist nicht zu überhören. An diesem Tag sitzt er als Gast in dem denkmalgeschützten Gasthof am Sachsentor, in dem das Block House residiert. Den Kaffee hat er selbst gemacht. Die Handgriffe sitzen. Sich bedienen lassen, wäre gegen die Ehre. Sein einziger Luxus ist eine teure Uhr am Handgelenk. Gerade erst war er zu einem Empfang in der Block-Zentrale in Hummelsbüttel eingeladen, bei dem langjährige Mitarbeiter geehrt wurden. Mit seiner 30-jährigen Firmenzugehörigkeit ist Jeyakumar inzwischen eine Instanz im Unternehmen. Dass sein Arbeitgeber seinen Namen immer noch falsch, nämlich mit Bindestrich Jeya-Kumar, schreibt – geschenkt.
„Die Gäste kamen nicht ins Block House, sondern zum Anton“
Wenn er über seine Zeit als Betriebsleiter in Westerland auf Sylt spricht, schwärmt er geradezu. 2001 war der Mann aus Sri Lanka dort hingegangen, seine zweite Frau Niranjana kam ein Jahr später nach. Mrs. Rumpsteak kostete inzwischen 13 Euro. Unter seiner Leitung wurde das Block House zu einem Treffpunkt für Insulaner und Touristen, auch Prominente wie TV-Moderator Johannes B. Kerner, Fußballlegende Manfred Kaltz oder Hamburgs Ex-Bürgermeister Ole von Beust und Alt-Bundespräsident Christian Wulff kamen zum Essen. Reservierungen nahm Jeyakumar schon mal beim Strandspaziergang entgegen. „Die Gäste kamen nicht ins Block House, sondern zum Anton“, erinnert er sich.
Das ging so weit, dass der ehemalige Flüchtling als Bürgermeister-Kandidat gehandelt wurde. „Das war nicht ganz ernst“, wehrt er bescheiden ab. Und er habe es auch gar nicht gewollt. Aber es zeigt, wie sehr ihm gerade die Insel in der Nordsee zum Zuhause geworden war. Die geografische Lage, erzählt er, konnte aber auch zur Herausforderung werden, etwa, wenn in Urlaubszeiten oder über die Feiertage plötzlich die Vorräte im Block House ausgingen. Dann sei er schon mal mit Kollegen mit der Bahn nach Hamburg gefahren und habe Fleisch, Sour Cream und Knoblauchbrot selbst abgeholt. „Ich wollte auch beweisen“, sagt der Marathonläufer mit Blick auf die anfängliche Skepsis von Gründer Eugen Block, „dass das Block House auf Sylt das ganze Jahr über gut läuft.“
Für Jeyakumar ist das Block House mehr als ein Arbeitsplatz
Für ihn ging es immer nur aufwärts. In München leitet Jeyakumar einen mit 170 Plätzen deutlich größeren Restaurantstandort. Mrs. Rumpsteak kostet jetzt 18,50 Euro. In der bayerischen Landeshauptstadt ist das Geschäft härter, der Name Block House weniger bekannt, die Konkurrenz groß. „Für die Familie ist der Umzug gut“, sagt der Gastronom, inzwischen fünffacher Vater mit einer 15-jährigen Tochter und einem 12-jährigen Sohn aus zweiter Ehe und zweifacher Großvater. Block House, das ist für ihn mehr als ein Arbeitsplatz, sondern auch Familiensache. Das lässt sich durchaus wörtlich verstehen. Inzwischen ist seine zweitälteste Tochter ihm ins Unternehmen gefolgt, sie arbeitet in der Filiale am Grindelberg im Service.
Er selbst kommt selbstverständlich täglich morgens früh in den Betrieb, bleibt oft bis spätabends. Das hat sich nicht geändert. Er hat seinen Platz gefunden. Warum er als Gastronom so erfolgreich werden konnte? „Das hat viel mit Menschenkenntnis zu tun“, sagt der Gästeversteher, der aus der Fremde kam. Und ja, darauf ist er ein bisschen stolz. Dass er anderen Flüchtlingen eine Chance geben möchte, ist Ehrensache. Gerade beschäftigt der Restaurantchef mehrere Mitarbeiter aus Bangladesch und Eritrea. Die fangen wie er als Spüler in der Küche an. Jeyakumar kümmert sich, sucht das Gespräch, schickt sie zum Sprachkurs. „Aber Gas geben müssen sie selbst“, sagt der Mann, der in Deutschland Zuflucht suchte – und einen Traum verwirklicht hat.