Hamburg . Digitalisierung revolutioniert das Lernen: Einige Schulen sind auch ohne Geldsegen vom Bund weit im Umgang mit Tablets und Software.

Mit Papier und herkömmlichen Stiften arbeitet Zahra kaum noch, weder im Unterricht noch zu Hause. Stattdessen fährt die 17-Jährige mit einem speziellen Stift über die Oberfläche ihres Tablets und macht dort ihre Notizen, handschriftlich zwar, aber eben auf einem Computer. „Das ist einfacher als mit Papier und Stift. Wenn ich Fehler mache, brauche ich kein Tipp-Ex mehr, und ich spare Papier“, sagt sie. Die Oberstufenschülerin zeigt, was die Digitalisierung des Unterrichts bereithalten kann: Schulhefte hat Zahra kaum noch, sie verwaltet sämtliche Notizen digital. Schwere Bücher schleppt sie auch nicht mehr, weil diese in digitaler Form auf ihrem Tablet sind. Willkommen in der neuen Schulwelt.

Zahra und die übrigen Oberstufenschüler am Kurt-Körber-Gymnasium in Billstedt arbeiten mit Tabletcomputern, die sie auch mit nach Hause nehmen. Teilweise sind es ihre eigenen, teilweise finanziert und ausgeliehen von der Schule. Nicht jede Schule ist so fortschrittlich. Geht es nach den Plänen der Kultusminister, soll sich das in den kommenden fünf Jahren aber ändern. Fünf Milliarden Euro hat der Bund den Ländern im Digitalpakt Schule zugesagt. Dier würde allein Hamburgs Schulen 125 Millionen bescheren. Zurzeit stocken die Pläne allerdings, weil der Bundesrat einstimmig beschlossen hat, die vom Bund angestrebte Grundgesetzänderung für Finanzhilfen zur Schul-Digitalisierung vorerst auf Eis zu legen. Der Bundesrat will den Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag für eine „grundlegende Überarbeitung“ anrufen. Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) ist zuversichtlich, dass die offenen Fragen in den kommenden Wochen geklärt werden können.

Zwei Schulen sind weiter als andere

Der Digitalpakt sieht unter anderem vor, Schulen mit zusätzlichen Computern, Tablets oder Laptops auszustatten und vor allem das WLAN auszubauen, ein kleiner Teil der Gelder soll in die Lehreraus- und Fortbildung investiert werden. Was aber bedeutet Digitalisierung? Das Abendblatt hat zwei Vorreiter-Schulen in Hamburg besucht.

Der Klassenraum von Zahra und ihren Mitschülern ist wie jeder andere, nur dass hier alle Schüler vor Tablets sitzen. Heute steht Differentialrechnung auf dem Stundenplan, aber wo ist die Lehrerin? Mathelehrerin Fanny Graeff ist irgendwo bei einem Schüler im Zweiergespräch, statt vor der Klasse zu stehen und zu erklären. Man muss sie fast suchen, denn Frontalunterricht ist eher die Ausnahme. Gibt es Erklärungen für alle, wirft ein Beamer die entsprechende Stelle aus dem klasseninternen Blog an die Wand. Dieser Blog ist die Grundlage für Schüler und Lehrer. Digitalisierter Unterricht bedeutet für die 65 Oberstufenschüler am Kurt-Körber-Gymnasium, nach einer neuen Unterrichtsmethode zu lernen: Flipped classroom nennt sich diese. Hausaufgaben und Wissensvermittlung werden dabei vertauscht. Die Schüler eignen sich Neues zu Hause an und vertiefen das in der Schule. So funktioniert es im Unterricht von Fanny Gräff: Im Blog, den eine Kollegin erstellt hat, hat Frau Gräff außerdem Lernvideos eingebettet und weiterführende Links, die den Schülern Themen erklären.

„Wir gucken uns das zu Hause an. Solange, bis man es verstanden hat“, sagt Zahra. Wie das so ist mit Hausaufgaben, nicht jeder macht sie. Das ist in der digitalen Welt nicht anders. „Man merkt gleich, wer es sich nicht angeguckt hat“, sagt Zahra und lacht. Flipping classroom ist nicht für jeden Schüler optimal, das weiß auch Lehrerin Fanny Gräff: „Die Methode erfordert von den Schülern eine hohe Kompetenz an eigenverantwortlichem Lernen.“ Denn die Lehrerin ist mehr Mentor statt reine Wissensvermittlerin – die Rolle des Lehrers, sagt OECD-Bildungs­direktor und Pisa-Koordinator Andreas Schleicher, werde sich ändern. „Lehrer werden keinesfalls überflüssig, sondern noch wichtiger: denn soziale Kompetenzen werden in der digitalen Welt wichtiger.“ Die größte Heraus­forderung, sagte Schleicher kürzlich, liege in der Entwicklung einer neuen Pädagogik im Zuge der Digitalisierung.

Einige Mitschüler lassen sich ablenken

Zahras Mitschüler Oliver, 17, mag die Arbeit mit dem Tablet, sagt aber, dass die Ablenkung verführerisch sein kann. Einige Mitschüler würden hin und wieder während des Unterrichtes spielen oder chatten.

Dass die gesamte Oberstufe mit Tablets ausgestattet ist, ist Schulleiter Christian Lenz und engagierten Lehrern zu verdanken, die sich bereits vor sieben Jahren auf den Weg Richtung Digitalisierung gemacht haben mit ihrem Projekt „Paducation“. Die Schule hat einen kompletten Jahrgang sowie die Lehrer mit Tablets ausgestattet, außerdem wurde ein funktionierendes flächendeckendes WLAN an der Schule installiert. Letzteres ist noch keine Selbstverständlichkeit an Hamburgs Schulen, aber unabdingbar für die Digitalisierung. Gelder gab es zum Teil von der Behörde, zum Teil von einer Stiftung.

Das haben Schulen, die neue Wege gehen, gemeinsam: Ohne das Engagement von Schulleitung und Lehrern geht es nicht. „Wir wollen unsere Schüler fit machen für die zukünftige Gesellschaft“, sagt Schulleiter Lenz. Das treibt ihn an. Dazu braucht es Pädagogen, die offen und neugierig sind. „Digitalisierung geht nur, wenn der Wunsch aus dem Kollegium kommt“, sagt Lenz’ Kollege Carsten Heinrich. Er ist stellvertretender Schulleiter an der Stadtteilschule Am Heidberg in Langenhorn.

Ohne das Engagement der Lehrer geht gar nichts

Die Stadtteilschule arbeitet seit fünf Jahren nach und an dem Medienkonzept „Digitale Schule“, dazu gehören unter anderem zwei Ipad-Klassen in Jahrgang 5, verpflichtender Informatikunterricht, es gibt vier Ipad-Klassensätze, jede Klasse ist mit einem digitalen Smartboard ausgestattet, und die Lehrer sind verpflichtet, sich entsprechend fortbilden zu lassen.

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Digitaler Unterricht an STS Am Heidberg

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    Hier ist aus dem Interesse einzelner Kollegen etwas Größeres entstanden. So leidenschaftlich, wie Carsten Heinrich über digitalen Unterricht erzählt, scheint herkömmlicher Unterricht fast veraltet. Ein Beispiel: Bestimmte Plattformen wie „Bettermarks“ („bessere Zensuren“) bieten dem Lehrer die Möglichkeit, noch differenzierter und ohne viel Aufwand auf jeden einzelnen Schüler einzugehen. „Das Programm zeigt mir anhand der Antworten eines Schülers auf einen Blick, wo der jeweilige Schüler Schwächen hat. Ich bekomme direkte Rückmeldung“, so Heinrich. Genau und zeitsparend ist das.

    Elfjährige erstellen im Unterricht einen Podcast

    Auch für Schüler kann die Arbeit am Ipad mit Lernapps mehr Spaß machen. „Ich lerne meine Vokabeln gern am Ipad“, sagt Lukas aus der 5f an der Stadtteilschule am Heidberg. In seiner Klasse hat jeder Schüler ein Ipad. Was schon Elfjährige wie Lukas damit auf die Beine bringen, ist beeindruckend. Gerade erstellen alle Schüler ein Podcast anlässlich des Lesefestes an der Schule. Sie haben Interviews geführt und untermalen diese mit Musik. Damit es nicht zu laut wird, hat sich jeder Kopfhörer eingestöpselt. Richtig professionell hören sich die Podcasts an.

    So viele Chancen die Digitalisierung bietet, einiges bleibt zu beachten. „Es macht keinen Sinn, wenn die Behörde mit einem Mal 120 Millionen Euro verteilt“, sagt Vize-Schulleiter Heinrich. Gelder über einen längeren Zeitraum zu verteilen, sei sinnvoller. Denn mit der Anschaffung der Geräte sei es nicht getan. Sie müssten gewartet, die Lehrer fortgebildet werden. Wichtig: Ohne die richtige Lernmethode geht gar nichts. Carsten Heinrich: „Die Pädagogik muss zuerst kommen und dann die Geräte.“

    Das sieht die Schulbehörde nicht anders. Sprecher Peter Albrecht: „Es geht nicht primär um das Erlernen von Powerpoint, sondern um die Möglichkeiten, die ich mit Powerpoint habe, wie man Powerpoint im Fachunterricht sinnvoll einsetzt.“ Das wird auch die Lehreraus- und Fortbildung prägen.

    Schulleiter Christian Lenz in Billstedt ist in Gedanken einen Schritt weiter: Nicht nur der Unterricht wird sich ändern, auch das Prüfungssystem. „Abiturprüfung und Internetnutzung können sich langfristig nicht mehr ausschließen. Die Schüler werden das Internet selbstverständlich in Prüfungen nutzen können.“ Es geht um nichts weniger als die Zukunft des Lernens.