Norderstedt/ Hamburg. Viele Grundschüler erfüllen nicht die Mindeststandards. Hamburg, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg greifen ein.
In Orthografie hinken Grundschüler in Hamburg kräftig hinterher. Mehr als ein Viertel kann nach vier Jahren noch nicht einmal die Mindestanforderungen in Rechtschreibung erfüllen. Das ergab eine Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) aus dem Jahr 2016. In Schleswig-Holstein sind es demnach mit einem guten Fünftel etwas weniger – doch immer noch so viel, dass die Kieler Bildungsstaatssekretärin Dorit Stenke von einem „für eine hoch entwickelte Industrie- und Wirtschaftsnation fast schon beschämendem Befund“ spricht. Ein ähnliches Bild bietet sich in Baden-Württemberg, wo rund 22 Prozent der Schüler unter dem Mindeststandard liegen.
Vor diesem Hintergrund haben die drei Länder beschlossen, gemeinsam mit der Bund-Länder-Initiative BiSS und dem Kölner Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache eine gemeinsame, länderübergreifende Fortbildungsinitiative zu starten. Das verkündeten Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD), Bildungsstaatssekretärin Stenke und die baden-württembergische Ministerialdirektorin Gerda Windley im Rahmen der Fachtagung und Auftaktveranstaltung zum Thema „Orthographie lehren und lernen an Grundschulen“, zu der das Institut für Qualitätssicherung an Schulen (IQSH) geladen hatte.
Warum man sich für die Schreibweise „Orthographie“ entschieden habe (die der Duden zwar zulässt, aber die Schreibung „Orthografie“ empfiehlt), erklärte Michael Becker-Mrotzek vom Kölner Mercator-Instituts so: „Es gibt sympathische regionale Unterschiede.“ Da sei es sinnvoll, nicht alles zu regeln.
Künftig sollen klare Regeln gelten
Für die Orthografie-Vermittlung sollen künftig aber klare Regeln gelten. „Die Vermittlung von Rechtschreibung erfordert umfassende didaktische Konzepte“, sagte Michael Becker-Mrotzek, Direktor des beratenden und begleitenden Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Durch eine Kooperation, die zunächst auf eineinhalb Jahre angelegt ist, sollen die Grundschullehrer in Hamburg, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg für die Relevanz von Orthografie sensibilisiert werden.
Gleichzeitig sollen sogenannte Webinare eingeführt werden: interaktive und hochwertige Fortbildungen für Lehrer aller beteiligten Länder, die mithilfe eines Computers und eines Internetanschlusses an den Web-Seminaren teilnehmen können – „in einfacher und Fahrzeiten sparender Weise“, betont Thomas Riecke-Baulecke vom IQSH. Zunächst solle die Auftaktveranstaltung Grundlagen vermitteln, etwa in Praxisworkshops. „Doch unser Ziel ist die Exzellenz in der Lehrerfortbildung. Und diese ist nur mit neuen Technologien möglich“, sagte Riecke-Baulecke.
„Wir wollen die Sensibilität bei den Lehrern wecken, dem Thema Orthografie im Unterricht mehr Zeit und Raum zu geben. Zudem sollen sie von Anfang an auf richtige Rechtschreibung achten. Das ist in der Vergangenheit vernachlässigt worden“, bekräftigte Schulsenator Ties Rabe.
Digitale Medien könnten helfen
Schüler, die keine Basiskompetenz in der Rechtschreibung erlangten, hätten dauerhaft Schwierigkeiten, Zugang zu Bildungsangeboten zu bekommen. „Wir müssen also bei den Schlüsselkompetenzen Lesen und richtiges Schreiben ansetzen.“
Neben den verschiedenen Methoden zum Erlernen der Rechtschreibung sei die Diagnose wichtig, ob der Schüler Unterstützung brauche. Diese könne ein Computer übernehmen. Digitale Medien könnten im Orthografie-Unterricht von Nutzen sein, sagte auch Riecke-Baulecke. „Wenn das Pilotprojekt seine Tragfähigkeit beweist, sollten wir weitergehen und auch künstliche Intelligenz nutzen.“
Tatsächlich steht es schlecht um die Kenntnisse der Grundschüler in Orthografie. Laut der IQB-Studie erfüllen in Hamburg 27,4 Prozent der Grundschüler nach vier Jahren nicht die Mindeststandards, in Schleswig-Holstein sind es 21,8 Prozent, in Baden-Württemberg 22,2 Prozent. Dort habe das schlechte Ergebnis dazu geführt, dass alle Schulen gebeten wurden, den Fokus auf Rechtschreibung zu legen und darauf zu achten, dass Kinder nicht über einen längeren Zeitraum falsch schrieben, berichtete Ministerialdirektorin Windley. „Dadurch ist das Bewusstsein schon gewachsen. Durch die Kooperation wollen wir noch weiterkommen.“
Früher eingreifen
„Lehrkräfte müssen an Grundschulen früher eingreifen, wenn Kinder falsch schreiben“, fordert auch Dorit Stenke. In Schleswig-Hostein sei daher vor einigen Jahren das erfolgreiche Präventivprojekt „Niemanden zurücklassen“ eingeführt worden, das die Lesekompetenzen stärke. Rund 170 Grundschulen beteiligten sich mittlerweile an dem „Leuchtturmprojekt“, so Stenke. Zu dem Projekt gehörten verschiedene Lernmaterialien für Schüler sowie Unterrichtsmaterialien und Fortbildungen für Lehrer. Durch die länderübergreifende Kooperation könne man „voneinander lernen, sich austauschen und gemeinsam handeln“, sagte sie.
„Wir können bei den anderen abgucken“, fasste Rabe zusammen. Statt in jedem Bundesland „das Rad neu zu erfinden“, sei es klug, durch eine länderübergreifende Kooperation „Synergien zu schmieden und zu nutzen“. Anfang Februar ist eine zweite Orthografie-Tagung geplant. In Hamburg.