Hamburg. Marcus von Amsberg dreht Videos für den Unterricht und stellt sie ins Netz. 7000 regelmäßige Nutzer hat er.
Der Klassenlehrer ein YouTube-Star? Könnte peinlich sein. Ist es den Schülern der 10d an der Julius-Leber-Stadtteilschule in Schnelsen aber nicht. Ihr Lehrer stellt ja auch keine Schminktipps ins Netz, er singt und tanzt auch nicht. Der 38-Jährige veröffentlicht auf seinem YouTube-Kanal Erklärvideos. Mehr als 7000 Abonnenten hat er, seine Videos wurden mehr als 700.000-mal angeschaut.
In seinen Erklärvideos geht es viel um Grammatik, um den Unterschied von erzählter Zeit und Erzählzeit, um Satzglieder oder um Virusvermehrung. Eben um alles, was der Deutsch-, Bio- und Psychologielehrer unterrichtet.
Suchmaschine Nummer eins bei Schülern
Am ersten Video vor drei Jahren hat er 40 Stunden gesessen, denn alles war neu. In alles hat sich von Amsberg hineingearbeitet – mithilfe von YouTube-Videos. Heute braucht er für ein fünfminütiges Video höchstens die Hälfte der Zeit. „Alle Schüler haben Smartphones, und YouTube ist die Suchmaschine Nummer eins bei den Jugendlichen“, sagt er. Dass Jugendliche sich über Videos im Internet schlaumachen, hat er sich einfach abgeguckt.
Der Vorteil: Die Schüler können sich seine Videos überall und immer wieder ansehen, bis sie alles verstanden haben. Und sie erstellen auch selbst Erklärfilme, so wie Scharah. Die 17-Jährige hat ihren Mitschülern und allen, die es in der weiten Welt des Internets wissen wollen, den Indikativ nähergebracht. Zwei Tage lang hatte sie sich damit beschäftigt. Eins steht fest: Der Indikativ sitzt jetzt bei der Zehntklässlerin. Die Videos seien abwechslungsreicher und hilfreicher als normaler Unterricht, sagt sie. „Vor meiner Prüfung habe ich mir die Videos einfach noch einmal angeschaut.“
Seine Rolle als Lehrer, sagt von Amsberg, habe sich durch die Filmerei verändert: „Ich bin nicht mehr der Erklärbär, sondern kann im Unterricht praktischer arbeiten.“ Denn Grammatikregeln lernen seine Schüler zu Hause per Video – mit einem Lehrer, der endlos Geduld hat. Im Unterricht fragt Marcus von Amsberg seine Schüler dann nach dem Inhalt des Videos ab. Jetzt, sagt er, machen seine Schüler viel lieber Hausaufgaben.
Kollegen für Englisch und Mathematik fehlen
Die Schüler können auch gezielter nachfragen, so in etwa: „Den Teil bei Minute 2:56 habe ich nicht verstanden.“ Marcus von Amsberg ist begeistert: „Das ist perfekt, weil ich Fragen besser beantworten kann.“ Überflüssig sei er natürlich nicht: „Ich lagere den Input nur aus. Argumentieren und erötern, das kann ein Video den Schülern auch nicht abnehmen.“ Manche Klassen, gibt er zu, können mit seiner Methode nicht umgehen. Dann machen Erklärvideos keinen Sinn. 140 YouTube-Videos hat von Amsberg bislang erstellt und ein Unterrichtskonzept entwickelt: „Ivi-Education“ (www.ivi-education.de).
Zeitintensives Hobby
Dort veröffentlicht er die Videos und selbst erstellten Lern-Apps und Arbeitsblätter. Per QR-Code auf den Arbeitsblättern finden die Schüler das passende Video. Und noch mehr: Von Amsberg hat sich mit Kollegen anderer Fächer vernetzt. So ist Arne Sorgenfrei von der Stadtteilschule Winterhude für die Naturwissenschaften zuständig. Wichtig ist ihm, dass dahinter kein kommerzielles Interesse steckt: „Alle medialen Inhalte sind kosten- und werbefrei sowie ohne Anmeldeprozess nutzbar“, sagt Amsberg. Überraschenderweise gucken sich viele Flüchtlinge, die Deutsch lernen möchten, von Amsbergs Videos an.
Was fehlt, sind Kollegen, die Mathematik, Latein und Englisch erklären – gerade in der Unterstufe fehlt es an Videos. Allerdings: Solch ein YouTube-Kanal ist ein zeitintensives Hobby. „Ich kann es niemandem übel nehmen, wenn er dafür keine Zeit hat.“ Im Urlaub, das hat er seiner Frau und Tochter (4) versprochen, bleibt der Rechner aus. Das ist schwer, denn es gibt noch so viele Themen abzudecken.