Hamburg. Experten warnen nach Giftfunden beim NDR und in einer Reinbeker Schule. Vorsicht bei Wohnungsrenovierung!
Vor einigen Wochen musste das NDR-Hochhaus in Lokstedt geräumt werden, vor wenigen Tagen eine Schule in Reinbek: Ein lange verdrängtes und fast vergessenes Gesundheitsrisiko ist plötzlich zurück in der öffentlichen Diskussion – Asbest.
Seit 1993 ist die Herstellung und Verwendung des gefährlichen Dämmmaterials verboten. Asbest war damals nach Expertenschätzungen in jedem vierten Gebäude zu finden, auch in Hamburg. Andre Grundmann vom Hamburger Regionalverband der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) spricht derzeit immer noch von Zehntausenden Objekten. Allerdings ist nirgendwo registriert, wo einmal Asbest verbaut wurde.
Erkrankungen der Lunge
Asbest liegt etwa als Kleber unter Küchenfliesen, in Dachplatten, Fensterbänken oder in Form von Zementplatten in Wänden. In dieser sogenannten gebundenen Form kann er keinen Schaden anrichten. Durch Bauarbeiten oder andere mechanische Einwirkungen allerdings verändert er seine Struktur, zerfällt in spitze kleine Fasern, die über die Atemwege in die Lunge gelangen und zu schwerwiegenden Erkrankungen – zum Beispiel Krebs – führen können.
Vorsicht ist etwa bei Wohnungsrenovierungen geboten. „Der Laie erkennt das oft nicht, fängt an, die Wohnung zu renovieren, und merkt nicht, dass er sich dabei einer Gefahr aussetzt“, warnt Grundmann. Bei großflächigen Sanierungen stünden die Hausbesitzer in der Verantwortung, so der IG-Bau-Experte. Bestehe Grund zur Annahme, dass Asbest verbaut wurde, müssten Spezialfirmen beauftragt werden. „Das kann allerdings schnell teuer werden“, so Grundmann. Die Gewerkschaft fordert deswegen eine Art Abwrackprämie für Hausbesitzer, damit diese ihrer Pflicht nachkommen.
Erst Jahre später
Das Tückische ist, dass die Asbest-Folgen in der Regel nicht unmittelbar, sondern viele Jahre später auftreten. Der Lungenfacharzt Dr. Klaus Rabe sagt, die Spitze der Neuerkrankungen sei noch nicht erreicht. „Wir rechnen damit, dass die Fälle bis in die 2020er- Jahre hinein weiter ansteigen werden.“
An Asbestose erkrankt
Harald Niemann ist Mitte 20, als er bei einer bekannten Hamburger Werft seinen neuen Job antritt. Meist muss er Kabel verlegen oder installieren, eine staubige Angelegenheit. Manchmal kann er in den nur wenige Quadratmeter großen Schiffskabinen die Hand vor Augen kaum noch sehen. Der Staub ist überall, er entsteht, wenn er in Wände bohrt oder wenn Bauarbeiter ein paar Meter neben ihm diese Isolierplatten zuschneiden. Angenehm ist das nicht, aber wohl nicht zu ändern, glaubt er. Bis er erfährt, dass er sich damit in Lebensgefahr gebracht hat, sollten viele Jahre vergehen.
Heute ist Harald Niemann 77 Jahre alt und an Asbestose erkrankt. Eine Lungenerkrankung, die durch den Kontakt mit dem Baustoff Asbest entsteht. Dass dieser hochgradig krebserregend ist, ist seit vielen Jahren bekannt. Dennoch ist Asbest nach Experten-Schätzungen immer noch in vielen Gebäuden zu finden. Auch in Hamburg.
Die Sorge ist groß
Das Problem: Der Laie erkennt nicht, wenn sich Asbest freisetzt. Oft werden Messungen erst im Zuge von anstehenden Baumaßnahmen durchgeführt, und nicht selten kommt es dann zu bösen Überraschungen – wie kürzlich beim NDR-Hochhaus in Lokstedt oder einer Schule in Reinbek im Kreis Stormarn. Die Sorge der betroffenen Schüler und Mitarbeiter ist entsprechend groß.
Folgen treten erst viele Jahre später auf
Das Tückische ist, dass die Folgen in der Regel nicht unmittelbar, sondern viele Jahre später auftreten. Welche Auswirkungen Asbest haben kann, erklärt Klaus Rabe, Chefarzt an der LungenClinic in Großhansdorf: „Asbestfasern spalten sich der Länge nach immer weiter auf, wie sehr kleine Nadeln mit spitzen Enden. Sind diese erst mal in die Lunge gelangt, reizen sie dort dauerhaft das Gewebe.“ Das könne zu Narben führen, die Lungenfunktion beeinträchtigen und auch Krebs verursachen. „Besonders, wenn dieser das Lungen- oder Brustfell betrifft, ist der Verlauf meist tödlich“, so Rabe weiter.
Bei der Berufsgenossenschaft BG Bau in Hamburg zählen asbestbedingte Erkrankungen noch immer zu den am häufigsten gemeldeten Berufskrankheiten.“ Wer in den 1960er- und 1970er-Jahren z.B. im Baubereich, auf Werften oder in der Metallerzeugung tätig war, ist besonders gefährdet. Die Spätfolgen sind bis heute zu spüren. Das Amt für Arbeitsschutz in der Gesundheitsbehörde nimmt Anzeigen für das Arbeiten im Zusammenhang mit Asbestsanierungen entgegen, veranlasst Kontrollen an Baustellen und bietet Beratungsgespräche an für Firmen, die von Asbestfunden betroffen sind. Auch wird es über Berufskrankheitenverfahren von den entsprechenden Unfallversicherungen informiert. In den vergangenen zwei Jahren sind 671 Fälle gemeldet worden.
Die Spitze ist noch nicht erreicht
Und ein Ende ist nicht in Sicht. Nach dem Kontakt mit Asbest können mehrere Jahrzehnte vergehen, bis die Folgen sichtbar werden. Lungenfacharzt Klaus Rabe bestätigt: „Dadurch, dass die Latenz so groß ist, gehen wir davon aus, dass wir die Spitze der Neuerkrankungen noch gar nicht erreicht haben. Wir rechnen damit, dass die Fälle bis in die 2020er-Jahre hinein weiter ansteigen werden.“
In wie vielen Gebäuden in Hamburg Asbest verbaut wurde, wird nirgendwo registriert. Klar ist aber, dass Asbest in den 60er- und 70er-Jahren standardmäßig als Dämmmaterial eingesetzt wurde. Andre Grundmann vom Hamburger
Regionalverband der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) schätzt, dass in Hamburg noch immer Zehntausende Gebäude betroffen sind. Die Gewerkschaft fordert eine Abwrackprämie, damit Hausbesitzer Spezialfirmen beauftragen könnten.
Gebundener Asbest ungefährlich
Aber was ist mit Schulen? Auch hier liegt Asbest in gebundener Form noch massenhaft vor, zumindest bei älteren Schulgebäuden. Claas Ricker, Sprecher der für den Schulbau zuständigen Finanzbehörde, bestätigt, dass Asbest in gebundener Form noch in vielen Schulgebäuden verbaut sei, etwa in Wand- und Deckenputz. Handlungsbedarf bestehe allerdings nicht. „Gebundener Asbest wird als ungefährlich eingestuft und deshalb in den Bauten belassen.“
Man habe schon vor vielen Jahren alle Schulgebäude auf Asbest hin untersucht, um zu erfassen, in welchen Gebäuden der Stoff tatsächlich verbaut wurde. „Zusätzlich wurden eigene Verfahren entwickelt, die es Handwerkerfirmen oder Hausmeistern erlauben, auch bei Asbestvorkommen Löcher zu bohren oder Steckdosen zu erneuern, ohne dass Asbest freigesetzt wird“, so Ricker. Anders bei größeren Sanierungsarbeiten, da würden ausschließlich zertifizierte Unternehmen beauftragt werden. „Die Schutzmaßnahmen reichen je nach Ausmaß der Arbeiten vom Schutz der Arbeiter bis hin zur vollständigen quarantäneartigen Einhausung der Bauabschnitte.“