Hamburg. Paul Behren bekam im Thalia den Boy-Gobert-Preis der Körber-Stiftung für den Hamburger Nachwuchsschauspieler des Jahres.

Er keucht. Er schwitzt. Paul Behren arbeitet Theater. Immer wieder läuft er eine auf dem Kopf stehende Halfpipe hoch, doch die Füße finden keinen Halt und rutschen ab. Keine Möglichkeit hinaufzukommen. Die Rampe bleibt unüberwindlich. „No Words“ nennt Behren die Performance. Der Schauspieler spielt stumm. Das entspricht dem jungen Darsteller, der am Sonntagvormittag während einer Matinee im Thalia Theater mit dem Boy-Gobert-Preis geehrt worden ist. In ihrer Laudatio nennt Sascha Rau den Preisträger später einen „Textfeind“. Behren liebt das körperliche Spiel, die Choreografie. In seiner für die Verleihung entworfenen Performance demonstriert er dem Publikum 45 Minuten lang, was ihn am Theater fasziniert: Körpersprache, Rhythmus, Akrobatik, Ausdruckstanz.

Zwei Jahre lang war der in Tübingen geborene Schauspieler Ensemblemitglied am Deutschen Schauspielhaus. Dort konnte er vor allem in Frank Castorfs Inszenierung von O’Neills „Der haarige Affe“ seine Qualitäten – auch im Umgang mit Sprache – zeigen. Die körperlichen Anstrengungen, die Castorf seiner Truppe auferlegt, entsprachen Behrens Naturell und seiner Auffassung von Theater. „Das ist für mich ein Ort, an dem ich herumhampeln kann“, sagt er in einem Filmporträt des NDR, das während der Preisverleihung gezeigt wird. Der 27-Jährige hat auch in Michael Thalheimers Inszenierung von Kleists „Der zerbrochne Krug“, in „Junk“ von Ayad Aktar oder in Karin Beiers Buñuel-Adaption „Hysteria – Gespenster der Freiheit“ mitgespielt, wo er sich vom Dach eines Glasbungalows fallen lässt – ohne Weichbodenmatte natürlich, aber mit der Fertigkeit des perfekten Abrollens. Fast wie ein Stuntman.

Paul Behren kommt aus dem Zirkus

Schon mit zehn Jahren besuchte er eine Zirkusschule und lernte dort alle möglichen Kniffe und Tricks. Als Kind und Jugendlicher probierte er sich bereits als Clown aus. Als 20-Jähriger ging er dann an die Folkwang-Schule in Essen und studierte dort Schauspiel. Lothar Dittmer, Vorstandsvorsitzender der Körber-Stiftung, die den mit 10.000 Euro dotierten Preis vergibt, lobt in seiner Rede den Mut von Paul Behren. Den Mut, bei dieser Matinee eine Vorstellung ohne Sprache zu geben, ebenso wie das Wagnis, eine Festanstellung an einer Bühne wie dem Schauspielhaus aufzugeben und einen neuen künstlerischen Beginn zu starten. Behren hat sein Engagement am Haus an der Kirchenallee gekündigt, um sich in Zukunft mehr dem Tanz zu widmen und zusammen mit seinem älteren Bruder Tim ein Stück zu schreiben. Einer seiner Träume ist es, vielleicht einmal eine eigene Theater- und Tanz-Compagnie zu gründen. Mit „No Words“ macht Behren bereits einen ersten Schritt.

Nachdem er in den ersten zwei Dritteln dieses Bewegungsstückes allein die Erklimmung der Halfpipe versucht und einen virtuosen rhythmischen Tanz mit zwei Trommelstöcken in der Hand gezeigt hat, kommt für den abschließenden Teil der aus Burkina Faso stammende Tänzer Sayouba Sigué auf die Bühne, mit dem Behren beim Stück „Assem­blàge“ zusammengearbeitet hat. Gemeinsam loten sie Möglichkeiten eines Tanz-Duetts aus. Auch drei Musiker wirken bei „No Words“ mit: Rosemary Hardy spielt Akkordeon und singt, Juri Nitzling sitzt hinterm Schlagzeug, und die in Hamburg lebende Musikerin TinTin Patrone erzeugt mit Posaune und Effektgeräten ungewöhnliche Sounds, die an das durch einen Sequenzer gejagte Trompeten einer Elefantenherde erinnern. „No Words“ wird so zu einem furiosen Akt aus Bewegung und Musik.

Sascha Rau recherchierte für ihre Laudatio sehr sorgfältig

Als „spielenden Theaterüberdenker“ würdigt die Jury des Boy-Gobert-Preises unter Vorsitz des Schauspielers Burghart Klaußner auch den diesjährigen Preisträger. Der bekommt neben dem Scheck und einer Urkunde auch noch eine sehr persönliche Laudatio seiner Kollegin Sascha Rau geboten, die, so verrät sie, sogar ein paar Wochen bei ihm gewohnt hat, um ihn für die Rede besser kennenzulernen. Kultursenator Carsten Brosda ehrt Behren sehr persönlich und macht sich außerdem Gedanken zum Verhältnis von Politik und Theater, die er aus dem Stegreif präsentiert. Brosda ist ein Meister der improvisierten Rede. Kluge Gedanken zum Beruf des Schauspielers steuert auch Hausherr und Thalia-Intendant Joachim Lux bei. Das Theater nennt er einen Ort der Verführung und einen scheinbaren Ort der Freiheit.

Den Boy-Gobert-Preis, der 1981 von Kurt A. Körber zum ersten Mal ausgelobt wurde und den Schauspieler und Schauspielerinnen wie Susanne Lothar, Ulrich Tukur, Fritzi Haberlandt, Maren Eggert, Martin Wuttke und zuletzt 2017 Steffen Siegmund erhielten, lobt Lux auch für sein Konzept: „Wir feiern die Jugend und ehren nicht eine Lebensleistung; und es fehlt hier der Früher-war-alles-besser-Sound.“ Am Theater dürfe man auch scheitern. Auf Paul Behren und „No Words“, von ihm selbst ausdrücklich als „Versuch“ deklariert, trifft das nicht zu. Behren geht (hoffentlich) einer erfolgreichen Karriere als Tänzer entgegen. Auch ohne das sichere Netz einer Festanstellung.