Hamburg. Am Dienstag hatte eine Mutter nach einem Streit zweier Kita-Kinder den Notruf gewählt. Nur ein Einzelfall?

Der Polizeieinsatz in einer Winterhuder Kita am Dienstagnachmittag sorgt weiterhin für Irritationen. Beamte waren nach einem Streit zweier Dreijähriger in der Elbkinder-Kita an der Jarrestraße angerückt. Eines der Kinder war während des Streits um ein Dreirad gekratzt worden: Für die Mutter des betroffenen Kindes war das Grund genug, die Polizei zu rufen.

Mehrere Kita-Träger zeigten sich verwundert. „Streit ist ein pädagogisches Grundthema. Deshalb fördern wir Kinder, Streit miteinander auszuleben. Sie sollen dabei lernen zu kommunizieren“, sagt Ulrike Muß, pädagogische Geschäftsführerin der Rudolf-Ballin-Stiftung, die 1900 Kita-Plätze in Hamburg zur Verfügung stellt.

Ganz normales Entwicklungsverhalten

„Das ist eigentlich etwas, das zwischen der Kita-Leitung und den Eltern geklärt werden müsste“, sagt Ralf Inzelmann. Als Geschäftsführer der Agilo-Kitas ist er für die 650 Kinder in Hamburg zuständig. Seiner Ansicht nach ist der Vorfall in Winterhude „ganz, ganz ungewöhnlich“. In der Jugendhilfe sei ein Polizeieinsatz vorstellbar, sagt Inzelmann, aber dreijährige Kinder seien schließlich noch im Krippenalter, im Vergleich zu Jugendlichen könne man sie leichter auseinanderbringen. Streitereien gehörten jedoch zur Tagesordnung in Kitas.

Auseinandersetzungen unter Kindern gehörten zum normalen Entwicklungsverhalten, sagt auch Ulrike Kotthaus von der Hamburger Diakonie. Der evangelische Träger mit rund 11.000 Kita-Plätzen in Hamburg habe deshalb einrichtungsbezogene Kinderschutzkonzepte erarbeitet. Dort lernen die Kinder, an Gruppen zu partizipieren, sich bei Problemen zu beschweren und Grenzen zu setzen. „Die Kinder werden Schritt für Schritt an Konfliktbewältigungsstrategien herangeführt, die anschließend mit ihnen eingeübt werden.“

Erzieherinnen kontaktieren Eltern nur in besonderen Fällen

Sollte ein Streit dennoch eskalieren, würde den Kindern sofort jeglicher Gegenstand weggenommen, mit dem sie sich gegenseitig verletzen könnten, sagt Ulrike Muß von der Rudolf-Ballin-Stiftung. Wird ein Streit trotzdem handgreiflich, „dürfen wir sehr wenig“, sagt Muß. Kleinere Schrammen würden gereinigt und gekühlt, die Kinder getröstet. Häufig reiche schon ein „Placebopflaster“. Medikamente dürften aber keinesfalls verabreicht werden. „Ganz wichtig ist es, immer die Eltern beim Abholen zu informieren“, wenn etwas vorgefallen sei.

Nur in besonderen Fällen würden die Erzieherinnen und Erzieher die Eltern sofort telefonisch kontaktieren: „Wir wissen ja, dass da immer auch ein Arbeitsplatz dahinter hängt“, so Muß. „Wenn es etwas Schwerwiegendes ist, rufen wir natürlich den Krankenwagen“, sagt Ralf Inzelmann. Aber: „Die Polizei hat hier nichts zu suchen.“Das hatte die Mutter in Winterhude offenbar anders gesehen. Als die Polizeibeamten am Einsatzort eintrafen, fanden sie die besorgte Mutter und zwei Kinder mit leichten Schrammen im Gesicht vor. Die Situation konnte in einem anschließenden Gespräch geklärt werden – auf eine Anzeige wurde verzichtet.

Laut Strafgesetzbuch sind Kinder erst ab ihrem 14. Geburtstag strafmündig. „Die Frage ist immer, ob ein Kind unter 14 als schuldfähig erklärt werden kann“, sagt Polizeisprecher Rene Schönhardt. Die Antwort lautet in Deutschland: nein. Es kann bei Kindern nicht zu einer Anklage kommen. Im Falle eines schwerwiegenden Vorfalls seien andere Institutionen wie das Jugendamt zuständig. „Das ist dann nicht mehr Aufgabe der Polizei“, sagt Schönhardt.

Wer muss die Kosten des Einsatzes tragen?

Aus Polizeikreisen heißt es, dass es sehr ungewöhnlich sei, dass die Beamten zu so einem derartigen Einsatz gerufen würden. „Ausschlaggebend war nicht der Streit der beiden Kinder“, sagt Schönhardt. Stattdessen sei der Streit zwischen den Müttern eskaliert. Daraufhin habe eine Mutter die Polizei gerufen. Und wer muss für die Kosten eines solchen Einsatzes aufkommen? Der Standardsatz für einen Fehlalarm bei der Polizei beträgt 220 Euro, kann aber je nach Beamtenzahl und Dauer variieren. In diesem Fall hat die besorgte Mutter aber Glück: „Ein solcher Einsatz wird nicht in Rechnung gestellt. Die Polizei ist auch in diesem Fall als Freund und Helfer zu sehen“, sagt Schönhardt.

Ob ein Polizeieinsatz eine vorbild­liche „Konfliktbewältigungsstrategie“ darstellt, um Kindern zu zeigen, wie ein Streit bestmöglich deeskaliert wird, bezweifeln die Mitarbeiter der Kita-Träger allerdings.