Hamburg. Ausländerbehörde sieht keine andere Möglichkeit. Dabei werden händeringend geeignete Auszubildende gesucht.

Hinter der Bäckertheke ist er in seinem Element. Wenn andere in seinem Alter morgens früh noch im Bett liegen, tütet Abdelmoneim schon Brötchen ein, schneidet Brot in mitteldicke Scheiben und verpackt vorsichtig Kuchenstücke. „Ich mag es, im Verkauf zu arbeiten“, sagt der 19-Jährige. Das Angebot der Bäckerei-Kette Junge kann er auswendig hersagen, mit Preisen. „Nur jetzt vor Weihnachten haben wir so viele neue Artikel im Sortiment, da muss ich manchmal noch nachschauen“, sagt er fast entschuldigend.

Viele Kunden der Filiale im Einkaufszentrum Quarree am Wandsbeker Markt kennen den jungen Mann mit den schwarzen Haaren, dem freundlichen Lächeln und der Vorliebe für Franzbrötchen. Als das Unternehmen Abdelmoneim einen Ausbildungsplatz als Fachverkäufer in der Bäckerei anbot, hat er vor Freude geweint.

Ein knappes Jahr später kämpfte er wieder mit den Tränen, dieses Mal aus Angst um seine Zukunft. Statt seit dem 1. August als Azubi im Verkauf zu arbeiten, droht Abdelmoneim die Abschiebung. Im Juli hatte die Ausländerbehörde seinen Antrag auf eine sogenannte Ausbildungsduldung, die Voraussetzung für den Antritt der Lehrstelle, abgelehnt. „Das war ein Riesenschock“, sagt der Jugendliche in fast fehlerfreiem Deutsch.

„Ich will nichts Falsches machen“

Jetzt sitzt er in der Wohn­küche seines Privatvormunds Thomas Montiel Castro. Der junge Ägypter hatte lange überlegt, ob er einem Treffen mit dem Abendblatt zustimmen soll. „Ich will nichts Falsches machen“, sagt Abdelmoneim. Das ist sein Rufname, bei den Behörden waren kurz nach seiner Flucht nach Deutschland 2015 Vor- und Nachname vertauscht worden. In den vergangenen Monaten hat sich eine Unterstützergruppe um ihn gebildet. „Er hat gut gelernt, ist sehr zuverlässig und hält sich immer an die Regeln“, sagt Vormund Montiel Castro. Die Bäckerei, bei der er im Rahmen eines Praktikums arbeitet, hält ihm den Ausbildungsplatz seit Monaten frei.

Die Sache klingt paradox. Da haben nach jahrelangem Streit alle Parteien eingesehen, dass Deutschland ein Einwanderungsgesetz braucht. Mit der sogenannten 3+2-Regelung wurde bereits zuvor die Möglichkeit für Arbeitgeber geschaffen, Ausländern einen Platz für eine dreijährige Ausbildung anzubieten und sie danach zwei Jahre weiterzubeschäftigen – unabhängig, über welchen Aufenthaltsstatus sie verfügen.

Aber der junge Ägypter Abdelmoneim mit einem guten Hauptschulabschluss und Ausbildungsplatz in der Tasche muss Deutschland möglicherweise schon in den nächsten Tagen mit einem Ticket ohne Wiederkehr verlassen. Auch in Hamburg fordern Unternehmen immer nachdrücklicher, die Bleibeperspektiven von gut integrierten Flüchtlingen und Migranten zu verbessern und bürokratische Hürden abzubauen. „Wir brauchen diese Menschen in Zukunft, um den wachsenden Fachkräftemangel zu decken“, sagt etwa Heinz Essel, Geschäftsführer der Bäcker- und Konditorenvereinigung Nord, die inzwischen selbst Qualifizierungsprogramme durchführt.

2018 knapp 2400 Lehrstellen nicht besetzt

Zwar ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Flüchtlinge nach Angaben der Arbeitsagentur innerhalb des vorigen Jahres auf 10.500 deutlich gestiegen. Oftmals ist eine Ausbildung die Voraussetzung, um in Deutschland Arbeit zu finden. Trotzdem konnten 2018 knapp 2400 Lehrstellen in Hamburg nicht besetzt werden.

Besonders mies ist die Lage bei den Fachverkäufern im Lebensmittelhandel. Gerade mal 26 Bewerber hatten sich auf 169 Stellen gemeldet. „Die Betriebe suchen händeringend“, sagt der Sprecher der Arbeitsagentur, Knut Böhrnsen. Und obwohl die Stadt Hamburg in offiziellen Informationsblättern offensiv mit der 3+2-Regelung wirbt, hat die Ausländerbehörde nach eigenen Angaben in diesem Jahr bis zum Stichtag 10. November gerade mal 204 Ausbildungsduldungen für Flüchtlinge ausgegeben.

Wie so oft ist die Lage kompliziert, wenn es um Ausländerrecht geht. Das gilt auch für Abdelmoneim, der laut deutscher Aktenlage Mohammad Moussa Abdu Wadi Abdelmoneim heißt, und nach dem Tod seiner Eltern 2015 mit 15 Jahren als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen war. „Ich dachte, ich könnte hier etwas lernen, eine Ausbildung machen und mir ein Leben aufbauen“, sagt er. Weil er minderjährig war, durfte er zunächst bleiben.

Seit drei Jahren lebt er in einer Jugendunterkunft des Landesbetriebs Erziehung und Beratung in Farmsen, besuchte die Schule und machte im Sommer 2018 seinen ersten Bildungsabschluss mit guten Noten. Nach dem 18. Geburtstag im November 2017 kam routinegemäß eine Ausreiseaufforderung. Ein Antrag auf Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen war kurz zuvor abgelehnt worden. Weil er noch die Schule besuchte, bekam er eine Duldung – mit Aussicht auf eine Ausbildungsduldung.

Bei erstem Abschiebeversuch nicht zu Hause

Ende vorigen Jahres beantragte Abdelmoneim noch als Schüler die für die Passerstellung erforderliche Geburtsurkunde in seinem Heimatort. Er legte das Dokument aber erst im März bei den deutschen Behörden vor. Die Ausländerbehörde wertet das als „fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung entsprechender Identitätspapiere“. Sein Vormund sagt: „Die Urkunde sollte von Bekannten nach Deutschland gebracht werden, weil er kein Vertrauen in die Post hat. Letztlich kam die Urkunde erst im März bei ihm an.“

Kein Einzelfall, bei Abdelmoneim löste es eine Kettenreaktion aus: Ohne Geburtsurkunde kein Pass, ohne Pass keine Ausbildungsduldung, ohne Ausbildung kein Aufenthaltsrecht. Inzwischen ist die Entscheidung der Ausländerbehörde in zweiter Instanz gerichtlich bestätigt. „Wir haben keinen Ermessensspielraum“, sagt Sprecher Matthias Krumm. Der Betreffende sei vollziehbar ausreisepflichtig, die Gründe habe er selbst zu vertreten. In der vorigen Woche gab es bereits einen Abschiebeversuch, doch Abdelmoneim war nicht zu Hause.

Das ist die bürokratische Seite, praktisch absolviert der junge Mann seit Herbst ein Berufsvorbereitungsjahr. Den Praxisanteil absolviert er an drei Tagen in der Woche in der Bäckerei Junge im Wandsbek Quarree. „Ich kenne wenige junge Leute, die ein so liebenswertes Naturell haben“, sagt die zuständige Gebietsverkaufsleiterin, Regine Bobrick. „Er wird von seinen Kolleginnen und Kollegen sehr geschätzt und springt gern auch für andere ein.“

Eingabe wird heute von Bürgerschaft behandelt

Der Betrieb hat sogar zugesagt, die Praktikumszeit, die er im Rahmen der Schule absolviert, auf die Ausbildung anzurechnen. Auch von den Lehrern dort gibt es viel Lob für den „Vorzeigeschüler.“ „Es wäre sehr schade, wenn er gehen müsse“, sagt der zuständige Abteilungsleiter Jürgen Wünnecker.

Inzwischen hat Abdelmoneim eine Petition an den Eingaben der Bürgerschaft gerichtet und damit ein paar Tage aufschiebende Wirkung erreicht. „Deutschland ist meine Heimat geworden. Ich möchte hier leben und arbeiten, etwas zurückgeben“, sagt er, und seine Stimme zittert. In Ägypten stände er vor dem Nichts, fürchtet wegen unerlaubten Grenzübertritts eine Gefängnisstrafe. Am heutigen Montag soll die Eingabe behandelt werden. Es ist seine letzte Chance, in Deutschland zu bleiben und seinen Traumjob auszuüben. Hinter der Bäckertheke in der Junge-Filiale würde er sehr fehlen.