Hamburg . Nicht nur der Streit um die Grundsteuer zeigt, dass Bürgermeister Tschentscher und Genossen sich vom einstigen Übervater abnabeln.

Die Schiffstaufe könnte ein Beispiel sein – wenn man denn nach Unterschieden sucht. Britta Ernst, Ehefrau von Olaf Scholz, selbst seit Jahren politische Führungskraft und derzeit Ministerin in Brandenburg, hätte wohl niemals in der Rolle einer „First Lady“ ein Feuerlöschschiff feierlich mit einer Flasche beworfen – wie es Eva Maria, Gattin des Scholz-Bürgermeister-Nachfolgers Peter Tschentscher, am Montag tat. Da pflegt das Ehepaar Ernst-Scholz ein anderes Rollenverständnis. Aber das sind stilistische Feinheiten.

Tschentscher muss Härte zeigen - gegen Scholz

Acht Monate, nachdem Labormediziner Tschentscher das Amt vom Juristen Scholz übernommen hat, lassen sich mittlerweile gravierendere Unterschiede zwischen den beiden Spitzengenossen feststellen. Längst bekannt ist, dass Tschentscher einen kommunikativeren Stil pflegt als sein Vorgänger. Während der Alt-Bürgermeister Einwände gegen seine politischen Vorstellungen in internen Sitzungen schon mal als „pubertären Quatsch“ abgetan haben soll, hört sich der Neue auch Gegenentwürfe zu eigenen Ideen geduldig an.

Dass er nicht nur freundlich zuhören kann, sondern im Zweifel auch über die nötige Härte verfügt, die Olaf Scholz für eine der wichtigsten Qualitäten eines guten Politikers hält, muss Tschentscher nun ausgerechnet im Konflikt mit seinem Vorgänger beweisen. Der hat in seiner neuen Rolle als Bundesfinanzminister in dieser Woche gleich zwei Gesetzesvorhaben lanciert, die Hamburger Interessen zuwiderlaufen. Erst legte er Vorschläge zur Reform der Grundsteuer vor, die die Belastungen für Hauseigentümer und Mieter in attraktiven Ballungsräumen wie Hamburg massiv nach oben treiben könnten. Dabei wich Scholz von dem ab, was er als Bürgermeister noch gefordert hatte. Für Freude sorgte dieses Vorgehen bei den Genossen (und Grünen) nicht gerade, dafür aber bei Hamburgs CDU, die bei Facebook fragte: „Herr Scholz, haben Sie vergessen, wo Sie herkommen?“

Zwei Gesetze gegen Hamburger Interessen

Auch in einem zweiten, bisher wenig beachteten Punkt, schüttelte man in Rathaus und Finanzbehörde den Kopf über den einst als „König Olaf“ verehrten und gefürchteten Scholz. Der hatte nämlich als Finanzminister in das Gesetz über Bundesinvestitionen in Schulen einen Passus aufgenommen, der Hamburg nicht gefallen kann. Die Länder sollen nun plötzlich die Hälfte der Investitionen selbst aufbringen. Das sei so nicht besprochen gewesen und kaum leistbar, hieß es von führenden Hamburger SPD-Politikern. Dass Hamburg und der Bundesrat dem zustimmen könnten, sei ganz und gar nicht klar.

Natürlich weiß man bei der SPD, dass es keinen Treueschwur eines Ex-Bürgermeisters zu seiner Stadt geben kann. Nun habe Scholz eben eine andere Rolle und am Ende bestimme immer das Sein das Bewusstsein, sagen die einen. Der frühere Scholz-Intimus und heutige Hamburger Finanzsenator An­dreas Dressel formuliert es etwas anders, macht aber auch klar, dass die Hamburger zur Not auch mit ihrem alten Vorturner in den Clinch gehen werden: „Jeder hat seine Funktion und Position und muss diese selbstbewusst vertreten“, sagt Dressel. „Und das passiert auch.“

Neue Töne in Klima- und Bodenpolitik

Unabhängig von den Unterschieden im Stil und Konflikten durch Rollenwechsel sehen manche Beobachter aber auch eine Neuausrichtung der Hamburger SPD-Politik unter Scholz-Nachfolger Tschentscher – und konstatieren eine vorsichtige Bewegung nach links und in Richtung der Grünen. Der neue Senatschef äußere sich klarer zur Bedeutung von Klima- und Umweltschutz, freuen sich nicht nur Grüne, sondern auch manche Sozialdemokraten. Scholz habe immer gehofft, dass Ingenieure mit neuen Techniken ihm die Probleme vom Hals hielten – und die unbequeme Aufgabe, sich politisch für Umwelt und Gesundheit einzusetzen. Tschentscher setze den Rückkauf des Fernwärmenetzes trotz Unwägbarkeiten und gegen Widerstand um – wie es Scholz vielleicht nicht getan hätte, heißt es.

Die angekündigte Wende in der Bodenpolitik könnte man ebenfalls als Linksschwenk deuten. Wie SPD-Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt im Abendblatt ankündigte, will die Stadt weniger Grundstücke zum Zwecke des Wohnungsbaus an Investoren verkaufen – und oft nur noch in Erbpacht vergeben. Damit will die Stadt ihren Einfluss erhalten und Grundstücksspekulation auf Kosten von Mietern verhindern. Dazu passt es, dass der Senat jetzt auch sein Vorkaufsrecht nutzt, wenn Investoren sich nicht an stadtentwicklungspolitische Vorgaben halten. Die nach Tschentschers Amtsübernahme ausgeweiteten Hamburger Staatsausgaben passen ebenfalls ins Bild – wenngleich diese vor allem mit dem Wachstum der Stadt zusammenhängen.

Der eine oder andere verweist mit Blick auf diese Politik darauf, dass Tschentscher Chef des links verorteten SPD-Kreises Nord war. Damit galt der evangelische Christ als Parteilinker – anders als Atheist oder Agnostiker Scholz, der seine linke Vergangenheit spätestens mit der Mitarbeit an Hartz IV vergessen gemacht hat. Auch der Wechsel im Maschinenraum der Macht könnte zur Linksruck-These passen: Als Nachfolger des Bergedorfer Scholz-Vertrauten Christoph Krupp kürte Tschentscher den Ex-Chef des linken SPD-Kreises Eimsbüttel, Jan Pörksen, zum Chef der Senatskanzlei. Eimsbüttel und Nord bildeten einst die Achse des linken Flügels.

Klaes Profil als Überlebensfrage für die SPD

Von einem Kursschwenk will Pörksen, zuletzt Staatsrat der früher als Linken-Trutzburg geltenden Sozialbehörde, nichts wissen. „Wir sind nicht dieselben Menschen“, sagt der nach dem Bürgermeister vielleicht wichtigste Mann im Rathaus, der jetzt das gesamte Regierungsgeschäft koordiniert. „Tschen­tscher ist ein anderer Typ als Scholz, und ich bin anders als Krupp. Wir sehen uns in der Kontinuität, machen aber nicht immer dasselbe.“ Alte Links-rechts-Muster taugten schon lange nicht mehr.

Ohnedies wissen die Genossen: Ihre Erfolge hatte Hamburgs SPD nie linker Politik zu verdanken – sondern der Nähe zu Wirtschaft und liberalem Bürgertum. Eine klare Positionierung scheint gleichwohl eine Überlebensfrage. Hauptproblem der SPD bei den jüngsten Wahldebakeln war bekanntlich: Kaum jemand wusste noch, wofür sie steht. Dass bei den Bezirksversammlungswahlen 2019 und der Bürgerschaftswahl 2020 angesichts des miesen Bundestrends auch in Hamburg Dutzende Abgeordnete um Mandate bangen müssen, sorgt nicht gerade für Gelassenheit. Einige in der Partei fordern nun, das linke Profil weiter zu schärfen.

„Wir diskutieren schon länger, ob wir Schwimmbad-Preise sozialer gestalten, Menschen mit geringeren Einkommen Möglichkeiten geben, gratis in Museen zu kommen, oder ein HVV-Jahres­ticket für 365 Euro einführen – also Öffentlichen Nahverkehr für einen Euro pro Tag ermöglichen“, sagt etwa der frühere Parteichef Mathias Petersen. Wenn solche Punkte im Wahlprogramm stünden, könne die SPD deutlicher machen, „dass wir für soziale Politik stehen“.