Hamburg. Vorbild Schleswig-Holstein? Die Rückkehr zum G9-Abitur wird als einer der Gründe für den CDU-Wahlerfolg von Daniel Günther gesehen.
Schleswig-Holstein hat es wieder, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ebenfalls: In den meisten westdeutschen Ländern ist die Rückkehr zum neunjährigen Bildungsgang (G9) am Gymnasium längst Realität. Nach der Euphorie der Schulzeitverkürzung auf G8 zu Beginn des Jahrtausends ist vielerorts Ernüchterung eingekehrt. Die bildungspolitische Rolle rückwärts zum alten System legten die Landesregierungen vielfach auf Druck von unzufriedenen Eltern hin.
Hamburg bietet dagegen flächendeckend beide Geschwindigkeiten zum Abitur an: G8 an allen Gymnasien und G9 an allen Stadtteilschulen. Ähnlich ist die Lage an den Gymnasien in Bremen, dem Saarland sowie den ostdeutschen Ländern und Berlin. Das sogenannte „Turbo-Abitur“ an den Hamburger Gymnasien hatte die damalige Koalition von CDU, FDP und Schill-Partei 2002 eingeführt.
In der Hamburger Union ist sehr sorgfältig registriert worden, dass der überraschende Erfolg des CDU-Spitzenkandidaten Daniel Günther bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Mai 2017 mit der Folge seiner Wahl zum Ministerpräsidenten auch darauf zurückgeführt wurde, dass eine der zentralen Wahlaussagen der Nord-CDU die Rückkehr zu G9 war.
G9-Abitur könnte zum Wahlkampfthema werden
„In ganz Deutschland wird die Debatte um längeres gemeinsames Lernen an den Gymnasien geführt, in manchen Bundesländern, so auch in Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfallen waren die letzten Wahlen ja quasi eine Volksabstimmung für G9“, sagt CDU-Bürgerschafts-Fraktionschef André Trepoll. Immer wieder sprächen ihn Eltern und Schüler auch in Hamburg auf die Frage G8/G9 an.
Dass die oppositionelle Elb-Union nach monatelangen Diskussionen nun erste Schritte in Richtung auf eine Rückkehr zu G9 an Gymnasien unternimmt, hat daher auch mit dem Blick auf die Bürgerschaftswahl im Februar 2020 zu tun. „Wir brauchen für die Kampagne ein bildungspolitisches Thema“, sagt ein einflussreicher CDU-Politiker.
Der Landesparteitag wird kommende Woche abstimmen
Die CDU-Delegierten des Landesparteitages werden am kommenden Dienstag ein elfseitiges Grundsatzpapier unter der Überschrift „Qualitätsoffensive für Bildung und Erziehung!“ des CDU-Landesfachausschusses Bildung diskutieren und darüber abstimmen. Dort findet sich zwar kein Wort zur Frage G8 oder G9. Brisant ist aber ein Ergänzungsantrag, der im Landesvorstand einmütig beschlossen wurde.
„Der nachvollziehbare Wunsch vieler Eltern und Schüler, die Schulzeit auch an den Gymnasien zu entzerren, darf von verantwortungsvoller Politik nicht ignoriert werden“, heißt es in dem Antrag, dessen Annahme als sicher gilt. Viele andere Länder hätten auf diese Stimmungslage bereits reagiert. Die Umstellung auf G8 habe „neben Vorteilen auch Nachteile gebracht“, etwa in Bezug auf das außerschulische Engagement in Sportvereinen und der Musik, die ausreichende Vertiefung des Lernstoffs und die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder. „Dass Hamburger Universitäten viele Hamburger Abiturienten erst mit Eingangskursen fit für das Studium machen müssen, kann nicht richtig sein“, schreibt der Landesvorstand.
Fraktionschef Trepoll verweist auf Bremer Stimmungsbild
Dann der entscheidende Satz: „Für die Lösung des Problems gibt es neben notwendigen qualitativen Maßnahmen auch die unterschiedlichen Möglichkeiten der Lernzeitverlängerung, wie Y-Gymnasien mit beiden Zweigen, eine einmalige Wahlmöglichkeit für die Hamburger Gymnasien oder eine individuelle Lernzeitverlängerung bis zum Abitur.“ Ob und in welcher Form die CDU tätig werde, soll auf einem Landesparteitag im CDU-Programm zur Wahl 2020 festgelegt werden.
Das heißt: Es geht der Union nicht zwingend um eine flächendeckende Rückkehr zu G9 am Gymnasium. Laut Antrag sollen die Hamburger Schulstruktur mit dem Zwei-Säulen-Modell und die Schullandschaft insgesamt bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Andererseits verweist Trepoll auf eine Meinungsumfrage der Bremer Christdemokraten, nach der 83 Prozent von 1015 im August telefonisch befragten Bremern die Rückkehr zur längeren Schulzeit gut fänden. Besonders hoch war die Zustimmung bei Grünen- und Linke-Wählern mit 91 und 90 Prozent.
SPD, Grüne und FDP waren bisher gegen die Rückkehr
SPD, Grüne und FDP haben eine Rückkehr zu G9 an Gymnasien bislang stets abgelehnt, weil sie eine deutliche Schwächung der Stadtteilschulen als Konsequenz befürchten. Im „Schulfrieden“ (siehe unten) hatten CDU, SPD und Grüne 2010 vereinbart, die Schulstruktur aus Stadtteilschulen und Gymnasien zehn Jahre lang nicht anzutasten. Trepoll hatte Rot-Grün bereits vor einem Jahr Gespräche über eine Verlängerung des Schulfriedens angeboten, viel geschehen ist seitdem nicht.
Eine Hinwendung der CDU zu G9 am Gymnasium, was einen Eingriff in die Schulstruktur bedeuten würde, könnte zum Scheitern der Gespräche führen. „Jetzt ist Rot-Grün am Zug, endlich eine gemeinsame Haltung zum Schulfrieden zu finden“, sagt Trepoll, der begrüßt, dass Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks die Verhandlungen für Rot-Grün führen soll.
Der Hamburger Schul(struktur-)friedenIm Februar 2010 vereinbarten CDU, Grüne und SPD ein aufsehenerregendes Stillhalteabkommen. Zehn Jahre lang sollte die Schulstruktur aus Grundschule, Gymnasium und der damals neuen Stadtteilschule unangetastet bleiben. Die Klassen sollten deutlich verkleinert und entsprechend erheblich mehr Lehrer eingestellt werden. Die Einführung der sechsjährigen Grundschule (Primarschule) konnte so zwar nicht durchgesetzt werden – die Hamburger lehnten sie per Volksentscheid ab –, dennoch hielt sich die ungewöhnliche Kenia-Koalition an ihre Abmachungen. |