Hamburg . Es ging bei dem Prozess um eine Tat aus nichtigem Anlass. Einem Opfer hat vermutlich sein Smartphone das Leben gerettet.
Der Tag, der für Bilal M. (alle Namen geändert) mit einer Katastrophe endete, hätte eigentlich ein guter Tag werden sollen. Mit einem fröhlichen unbeschwerten Abend, an dem der Hamburger sich mit Freunden im Fernsehen ein Fußballspiel ansieht. Doch seit diesem Tag sind von seinem Leben, wie er es kannte, nur noch Trümmer übrig. Der 46-Jährige wurde niedergestochen und lebensgefährlich verletzt. Ein weiterer Mann hat die Folgen eines Messerstichs mit viel Glück überlebt.
Nach Überzeugung des Gerichts, vor dem sich ein Angeklagter nun wegen des Geschehens vom 24. Februar verantworten musste, hat der Messermann mit seinen Taten einen möglichen Tod der beiden Opfer billigend in Kauf genommen. Zehneinhalb Jahre muss Rafiki E. deshalb ins Gefängnis. Als der 47-Jährige das Strafmaß realisiert, schüttelt der Verurteilte fassungslos den Kopf, dann poltert er los, wild gestikulierend und mit empört aufgerissenen Augen: „Zehn Jahre – für nichts!“ Für nichts? Das ist eine sehr eigenwillige Einschätzung angesichts der Folgen seines Handelns. Was ist mit den Opfern, ihren Ängsten und ihrem Leid? Zumindest für einen der Männer hat der Angeklagte mit dem grauen Ziegenbart nur Verachtung übrig: „Lüge! Du kriegst die Strafe von Allah!“, giftet er in dessen Richtung.
Eine Ehrengeschichte?
Es ist der hoch emotionale Abschluss eines drei Monate dauernden Prozesses, in dem der Angeklagte argumentierte, er habe in einer Notwehrsituation gehandelt, als er ein Taschenmesser gegen zwei vermeintliche Angreifer gerichtet habe. Die Männer hätten ihn zuvor geschlagen und getreten, er habe sich lediglich verteidigen wollen. In seinem Urteil erkannte das Gericht indes unter anderem auf versuchten Totschlag sowie gefährliche Körperverletzung. Rafiki E. habe erkannt, dass seine Stiche potenziell tödlich sein könnten, sagt die Vorsitzende Richterin. „Es war eine Tat aus nichtigem Anlass. Vermutlich ging es um eine Ehrengeschichte.“
Rafiki E. und die beiden Männer, mit denen der 47-Jährige schließlich in Streit geriet, waren sich in einer Sportbar in Altona begegnet. Dort hatte Rafiki M. in den Waschräumen einen Deal mit Marihuana abgewickelt, hatte dann auch einem der beiden Kumpels Drogen angeboten. Dieser hatte energisch abgelehnt und dabei den Dealer am Arm berührt. Daraufhin versetzte Rafiki M. dem anderen einen Faustschlag und verließ das Lokal, wenig später sein Kontrahent und dessen Kumpel. Doch Rafiki M. hatte die beiden Männer draußen erwartet: Mit einem Taschenmesser bewaffnet, so die Überzeugung des Gerichts, trat er ihnen entgegen und stach zu. Der Angeklagte hatte indes behauptet, er habe seine Waffe hin und her bewegt, um zu drohen. Die Opfer seien in das Messer „reingelaufen“.
Schwerste Hirnverletzungen erlitten
Doch rechtsmedizinische Sachverständige hatten diese Einlassung widerlegt. Eine simple Fuchtelbewegung sei ausgeschlossen, weil einer der Geschädigten seitlich und mit Wucht am Kopf getroffen wurde. Das Messer verursachte bei dem 46-Jährigen schwerste Hirnverletzungen. Das Opfer ist seitdem halbseitig gelähmt und wird den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen müssen, hat der Bruder des Verletzten als Zeuge erzählt.
Das Opfer werde seinen Beruf als Handwerker, mit dem er bislang seine Familie mit drei Kindern ernährt hat, wohl nie wieder ausüben können. „Und psychisch ist es eine Katastrophe.“ Der 46-Jährige leide unter Schlaflosigkeit und Heulanfällen.
Smartphone rettet Opfer
Das zweite Opfer hatte Glück im Unglück: Der 42-Jährige erlitt lediglich leichte Verletzungen an den Händen; ein weiterer Messerstich war an seinem Handy, das er in der Brusttasche seiner Daunenjacke getragen hatte, abgeprallt und hatte das Gerät erheblich beschädigt. Sehr wahrscheinlich hat das Smartphone dem Opfer dabei das Leben gerettet. Rechtsmediziner haben in aufwendigen Versuchen und mit maschinellen Messungen ermittelt, wie viel Kraft notwendig ist, um vergleichbare Beschädigungen an einem Smartphone hervorzurufen.
Dafür müsse man „heftig zustechen“, so der Sachverständige im Prozess. Hätte das Handy nicht den Messerstich abgemildert, „wäre die Waffe sieben bis acht Zentimeter“ weit in den Körper des 42-Jährigen eingedrungen. Je nachdem, ob das Opfer zu diesem Zeitpunkt die Hände erhoben hatte oder nicht, wäre es zu lebensbedrohlichen Verletzungen in Brust- oder Bauchraum gekommen, „im Extremfall ein Herzstich“, hat der Sachverständige erklärt. So hat es auch das Opfer selber zusammengefasst: „Wenn das Ding nicht gewesen wäre, wäre ich heute nicht hier.“