Neustadt. Radfahrer und Autofahrer gehen im Straßenverkehr nicht immer respektvoll miteinander um. Ein 34-Jähriger wurde sogar handgreiflich.
Er nennt ihn „der nette Herr“. Immer wieder benutzt Daniel L. (alle Namen geändert) diese Bezeichnung. Doch was oberflächlich höflich klingt, trieft in Wahrheit von Sarkasmus. Denn so viel wird deutlich: „Nett“ findet der 37-Jährige den Mann, der im Juni dieses Jahres seinen Weg kreuzte, ganz und gar nicht. Was wohl daran liegt, auf welche Art er seinen Weg kreuzte: forsch, rücksichtslos – und womöglich auch handfest, in seiner unerfreulichsten Variante.
Radfahrer und Autofahrer im Straßenverkehr: Da ist gegenseitige Rücksichtnahme gefordert, ein respektvolles Miteinander. Schließlich wollen alle gesund und pünktlich an ihrem Ziel ankommen, reibungslos. Und doch sind Konflikte an der Tagesordnung, wenn etwa einzelne Radfahrer rote Ampeln ignorieren oder Autofahrer einen ausgewiesenen Radweg benutzen, um schneller voranzukommen oder wenn sie auf solchen Wegen parken und Radler damit behindern oder gefährden. Und dann ist da ein Mann wie Andreas S., der sein Auto mitten auf einem Radweg stoppte und damit dem Zweiradverkehr im Weg stand. Eine Situation, die eskalierte und den 34-Jährigen auf die Anklagebank vor dem Amtsgericht brachte. Denn der Hamburger habe dem Familienvater zwei Faustschläge ins Gesicht versetzt, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor.
Angeklagter hat für das Opfer nur überhebliches Grinsen übrig
Alles nicht so wild, ist der Tenor der Einlassung des Kneipiers, einem Mann mit gegeltem Haar und Nerd-Brille. „Ich war zusammen mit einem Kollegen in einem Supermarkt einkaufen. Als wir vom Parkplatz fuhren, war da so ein dichtes Gebüsch, das hat uns die Sicht genommen.“ Deshalb habe er bis auf den Fahrradschutzstreifen vorfahren müssen, um den Verkehr überblicken zu können. Ein Radfahrer habe ihm daraufhin den Mittelfinger gezeigt und ihn außerdem als „Bastard“ tituliert. Da ließ Andreas S. seinen Wagen mitten auf dem Weg stehen, verfolgte den Radler bis zur Eingangstür des Discounters. „Ich fragte ihn: Was sollte das?“
Da habe sich ihm der andere einen Schritt genährt. „Ich machte eine Abwehrbewegung und schubste ihn etwas weg. Dabei habe ich ihn wohl im Gesicht getroffen.“ Ob es wirklich ein Schubser zur Verteidigung war oder ob er den Mann mit der Faust getroffen habe, möchte die Amtsrichterin wissen. Der Angeklagte hält das für eine durchschaubare Finte: „So was erzählt man, wenn man jemandem eins reinwürgen will“, wehrt er ab.
Für die Aussage von Radfahrer Daniel L. hat der Angeklagte nur ein überhebliches Grinsen übrig. Der Zeuge erzählt von seiner kleinen Tochter, die er im Anhänger dabei hatte, von dem Auto, das mitten auf dem Radweg hielt, sodass er nicht habe vorbeifahren können, und von dem „netten Herrn“. Nachdem er dem Mann am Steuer den Mittelfinger zeigte, so der Zeuge weiter, „lief der mir hinterher und fing an, mich ohne Vorwarnung zu schlagen. Er landete zwei Treffer an meinem Kopf.“ Er sei in der Situation „praktisch wehrlos“ gewesen, schildert der Zeuge. „Wenn ich die Hände zur Abwehr hochgenommen hätte, wäre das Rad wohl umgefallen, und dann wäre meine Tochter im Anhänger beeinträchtigt worden.“ Auch so habe die Zweieinhalbjährige schon zu viel Böses mitbekommen. „Sie war erstarrt. Und den ganzen Rest des Tages war sie nicht die, die sie sonst ist.“ Direkt nach dem Disput fuhr Daniel L. zum Arzt, der zwei Schwellungen an dessen Kopf diagnostizierte.
Nahm ein Gebüsch dem Angeklagten die Sicht?
Ein Mann, der zufällig den Streit auf dem Parkplatz beobachtete, berichtet von einem kurzen verbalen Disput. „Dann schlug der eine Mann mit der Faust zu.“ Es sei schon „ein ordentlicher Schwinger gewesen. Das Opfer versuchte sich wegzuducken.“ Als der Zeuge die Kontrahenten aufforderte, einander in Ruhe zu lassen, habe sich die Situation für einen Moment beruhigt, „aber dann schaukelte es sich noch mal hoch“. Schließlich sei der Autofahrer zu seinem Fahrzeug gegangen. Und Opfer Daniel L. erstattete Anzeige. Ein Verfahren wegen Beleidigung gegen ihn wegen des gestreckten Mittelfingers ist mittlerweile gegen Zahlung von 100 Euro eingestellt worden.
Ein weiterer Zeuge, ein Kumpel des Angeklagten, bestätigt dessen Schilderung von einer missglückten Abwehrbewegung. Auch er erwähnt das Gebüsch, das ihnen die Sicht genommen habe, den angeblichen Schubser. Der 29-Jährige erzählt, er sei den Vorfall mit seinem Bekannten „noch mal durchgegangen“. „Das merkt man“, kommentiert die Vorsitzende. Denn die Darstellungen ähneln sich inhaltlich, der Zeuge benutzt auch nahezu identische Worte wie der Angeklagte.
Am Ende verurteilt die Richterin Andreas S. wegen Körperletzung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu acht Euro. Auf die Verhängung eines Fahrverbotes, wie die Staatsanwaltschaft es beantragt hat, verzichtet sie. „Ich bin überzeugt, dass es einen Faustschlag gab“, sagt sie über die Auseinandersetzung. Der unbeteiligte Zeuge vom Parkplatz sei sehr überzeugend gewesen. „Aber der Faustschlag kam nicht ohne Vorwarnung, der Streit hat sich hochgeschraubt. Auch der Radfahrer hat sich aufgeregt. Und dann“, sagt sie mit Blick auf den Angeklagten, „ist bei Ihnen die Sicherung durchgebrannt.“