Hamburg. Ermittlung gegen Afghanen wegen angeblichen Übergriffs auf 14-Jährige an Mönckebergstraße eingestellt. Er ist trotzdem untergetaucht.
Der Fall, der keiner war, hat Mitte August deutschlandweit für Schlagzeilen gesorgt. Eine Boulevardzeitung widmete der angeblichen Vergewaltigung einer 14-Jährigen an der belebten Mönckebergstraße durch einen afghanischen Asylbewerber fast eine ganze Seite, Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) kündigte danach zügigere Abschiebungen bei notorischen Straftätern an. Andererseits klang die Geschichte so unfassbar, dass sie nicht wahr sein konnte. Jetzt ist es amtlich: Sie ist es auch nicht.
Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen Mansor S. (30) eingestellt. „Dem Beschuldigten konnte kein strafbares Handeln nachgewiesen werden“, sagt Carsten Rinio, Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft. Es bestünden vielmehr „massive und durchgreifende Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin“. Auch wenn von den Vergewaltigungsvorwürfen nichts mehr übrig bleibt – Mansor S. leidet weiter unter Repressalien aus seinem näheren Umfeld und dem Bruch mit seiner Familie. Sie hatte sich nach Bekanntwerden der Vorwürfe von ihm abgewendet.
14-Jährige muss nicht mit Verfahren rechnen
„Als ich ihm in der Haft die Zeitungsausschnitte zeigte, war er am Boden zerstört“, sagte sein Verteidiger Kaihan Galanawi dem Abendblatt. Obgleich die Ermittler schon kurz nach der „Tat“ keinen dringenden Tatverdacht mehr sahen und Mansor S. deshalb am sechsten Tag auf freien Fuß kam, hatten die Mitbewohner in seinem Flüchtlingsheim den Stab über ihn gebrochen. Sie hätten ihn als Kinderschänder beschimpft und aus der Unterkunft vertrieben, so Galanawi. Sein Mandant habe sich dann als Obdachloser auf der Straße durchschlagen müssen.
Der 30-Jährige hat nun Anspruch auf eine Entschädigung für die zu Unrecht erlittene Haft – 25 Euro pro Tag. Rechtliche Schritte gegen die 14-Jährige werde er aber nicht einleiten. Sie lebt in Ahrensburg, stammt aus schwierigen Verhältnissen, büxte immer wieder von zu Hause aus. „Er will das Ganze nicht erneut aufrollen, das Mädchen hat in seinem Leben schon genug durchgemacht“, sagt Galanawi. Auch könnte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen „falscher Verdächtigung“ einleiten. Derzeit sieht diese jedoch keinen Anfangsverdacht, so ihr Sprecher Rinio.
Am 12. August machte die Polizei den Fall öffentlich
Die Geschichte, die das Mädchen den Ermittlern aufgetischt hatte, ging so: Am Morgen des 11. August habe Mansor S. sie am Hauptbahnhof angesprochen, sie dann verfolgt und in einem rückwärtigen Eingang des Saturn-Marktes an der Mönckebergstraße vergewaltigt. Nach der Tat sei sie in eine U-Bahn ein- und an der Hoheluftbrücke wieder ausgestiegen – weiterhin verfolgt von Mansor S. Nachdem sie sich in einer Tankstelle einem Mitarbeiter anvertraute, ließ sich der betrunkene Mann von Polizisten ohne Gegenwehr festnehmen. Dem Haftrichter erschienen die Angaben der 14-Jährigen so glaubhaft, dass der Afghane am selben Tag in U-Haft kam. Am 12. August machte die Polizei den Fall öffentlich.
Dass sich das Geschehen so nicht abgespielt haben kann, fanden die Ermittler schnell heraus. Zweimal vernahmen sie die 14-Jährige, zweimal machte sie widersprüchliche Angaben. So behauptete sie: Weil sie High Heels getragen habe, habe sie am Hauptbahnhof nicht wegrennen können. Die Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigten sie aber nur in Turnschuhen. Auch sei ein sexueller Übergriff auf keinem Video zu sehen, sagt Anwalt Galanawi. Mansor S. hat eine Vergewaltigung stets bestritten: Er habe das Mädchen an jenem Tag in der S-Bahn kennengelernt. Es habe erzählt, es habe sein Handy verloren. Um ein Neues zu kaufen, seien sie zu Saturn gegangen. Dabei seien sie sich nähergekommen, hätten sich schließlich einvernehmlich geküsst.
Mansor S. ist seit 2011 neunmal verurteilt worden
Mansor S. ist kein Vergewaltiger – auch wenn er stahl und andere verletzte. Kurz vor dem Vorfall bei Saturn hob er vom Konto eines flüchtigen Bekannten 850 Euro ab. Der hatte ihn zuvor mit seiner EC-Karte und seiner PIN zum Bierholen geschickt. Vor zwei Wochen verurteilte ihn ein Hamburger Gericht deshalb zu acht Monaten Haft. Es war die neunte Verurteilung nach seiner Einreise vor sieben Jahren. Seit mindestens vier Jahren ist er ausreisepflichtig.
Zunächst nur geduldet, erhielt er nach der Heirat mit einer Deutschen 2012 einen Aufenthaltstitel – den verlor er nur zwei Jahre später wieder, nach der Scheidung. 2016 verletzte Mansor S. einen anderen Mann schwer, bekam ein Jahr Haft auf Bewährung. Monate später überfiel er einen Flüchtling mit einem Messer. Das Landgericht verurteilte ihn zu drei Jahren und zwei Monaten Gefängnis, der Bundesgerichtshof hat den Fall aber nach Hamburg zurückverwiesen. Eine Abschiebung scheiterte bisher am Einverständnis der Staatsanwaltschaft – sie will erst zustimmen, wenn das Urteil rechtskräftig geworden ist. „Eine Rückführung kann somit bis auf Weiteres nicht erfolgen“, sagt Florian Käckenmester von der Ausländerbehörde. Sie ist wohl ohnehin nicht möglich – Mansor S., heißt es, sei inzwischen untergetaucht.