Hamburg. Das „Weißbuch Kinderglück“ von SOS-Kinderdorf zeigt auf, welche Faktoren entscheidend sind. Je nach Stadtteil ist das unterschiedlich.
Was braucht ein Kind in Hamburg, um glücklich aufzuwachsen? Das SOS-Kinderdorf Hamburg ist der Frage nachgegangen, welche Faktoren dafür wichtig sind. „Eine entscheidende Antwort ist sicherlich: gute Eltern, Eltern, die ihren Job gut machen. Die nicht so belastet sind, dass sie sich nur mit sich selbst beschäftigen und ihre Kinder Gefahr laufen, mit ihren Bedürfnissen zu kurz zu kommen“, sagt Torsten Rebbe, Leiter des SOS-Kinderdorfs Hamburg.
Im „Weißbuch Kinderglück“ legt die Organisation den Blick vor allem auf drei Aspekte: die Einkommenssituation der Familien, die Anzahl der Gewaltdelikte in den jeweiligen Stadtteilen und den Zugang zu Bildung, also die Anzahl von Kitas und Schulen. Datenbasis für die Berechnung waren die statistischen Daten des Statistikamts Nord zu den 104 Hamburger Stadtteilen (Berichtsjahr 2016) sowie die polizeiliche Kriminalstatistik des Landeskriminalamts 2016. Die Agentur Faktenkontor wertete die Daten aus und setzte sie zueinander in Beziehung.
Armut, Gewalt und Arbeitslosigkeit prägen Kinder
„Schon seit 40 Jahren unterstützen wir Familien in Hamburg und sind schon da, bevor Schlimmeres passiert“, sagt Torsten Rebbe. SOS-Kinderdorf Hamburg betreibt seit fünf Jahren ein Familienzentrum in Dulsberg. „Mit dem ,Weißbuch Kinderglück‘ wollen wir zeigen, wo Kinder in Hamburg bereits gute Bedingungen für ein glückliches Aufwachsen vorfinden.“ Die Auswertung zeige, dass sich negative Faktoren wie Armut, Gewalt und Arbeitslosigkeit besonders prägend auf die Kinder und ihre Lebensumstände auswirkten. Auch wenn der Zugang zu Bildung und Teilhabe durch genügend Kindertagsstätten und Schulen in der Umgebung gegeben sei, überstrahlten die negativen Faktoren das Kinderglück.
Besonders deutlich zeigt sich das am Stadtteil Dulsberg – er landet an letzter Stelle des Kinderglücksindex. Mit 1,2 Quadratkilometern ist es der kleinste Stadtteil Hamburgs, mit 17.442 Einwohnern ist er aber sehr dicht besiedelt. Das durchschnittliche Jahreseinkommen zählt mit 21.239 Euro zu den niedrigsten in der ganzen Stadt. 39,5 Prozent, also mehr als jedes dritte Kind unter 15 Jahren, ist in Dulsberg von staatlicher Hilfe abhängig, die Arbeitslosigkeit ist mit 8,9 Prozent hoch. Fast jedes zweite Kind unter 18 Jahren lebt mit einem alleinerziehenden Elternteil im Haushalt. All diese Faktoren werden nicht aufgewogen durch die gute Kita-Versorgung, zwei staatliche Stadtteilschulen (darunter die Eliteschule des Sports am Alten Teichweg) sowie viele Spielplätze, Grünflächen und Sportvereine.
Wilhelmsburg auf einem der letzten Plätze
Auf den letzten zehn Plätzen vor Dulsberg landen Horn, Steilshoop, Harburg, Moorfleet, Wilhelmsburg, Hamburg-Altstadt, Rothenburgsort, Veddel, Billstedt und Billbrook. Mehrere Stadtteile wurden dabei wegen einer geringen Anzahl von Kindern rausgerechnet, um das Ergebnis nicht zu verfälschen, beispielsweise Altenwerder, Moorburg und Steinwerder.
Angeführt wird das Ranking von den Stadtteilen Eimsbüttel, Rotherbaum, Ochsenwerder, Nienstedten, Harvestehude, Othmarschen, Barmbek-Süd, Wohldorf-Ohlstedt, Ottensen und Groß Borstel. Spitzenreiter Eimsbüttel sei ein interessantes Beispiel dafür, dass sehr viele Faktoren zusammenspielen, wenn es um Kinderglück geht, sagt Rebbe. Auch Eimsbüttel zählt mit rund 57.000 Einwohnern auf 3,2 Quadratkilometern zu den am dichtesten besiedelten in Hamburg. Mit 12,6 Prozent liegt der Anteil der Kinder und Jugendlichen im Stadtteil unter dem Hamburger Durchschnitt von 16,2 Prozent, und mit 37.536 Euro liegt auch das durchschnittliche Jahreseinkommen knapp unter dem Hamburger Schnitt (39.054 Euro). Allerdings leben in Eimsbüttel nur sieben Prozent der unter 15-Jährigen von Mindestsicherung, und auch die Arbeitslosenquote liegt mit vier Prozent unter dem Durchschnitt. Zudem gibt es wenig Gewaltkriminalität – im Jahr 2016 wurden nur 120 Taten registriert.
Gerade Alleinerziehende bräuchten ein gutes Netzwerk
„Wenn Eltern finanzielle Sorgen haben, geben sie diese unweigerlich an ihre Kinder weiter“, so Rebbe. Unsichere Arbeitsverhältnisse belasteten im Endeffekt auch ihre Kinder. Alleinerziehende etwa stünden rund um die Uhr in der Verantwortung und müssten immer alles allein entscheiden. Gerade sie hätten es im Alltag oder bei Krankheit schwerer als Familien, in denen Eltern zusammenleben. „Deshalb ist es wichtig, dass man die Menschen zusammenbringt“, so der SOS-Kinderdorf-Leiter. „Es geht darum, Eltern zu stärken und ihnen Hinweise zu geben, wie sie etwas besser machen können.“ Besonders wichtig sei es, Netzwerke zu fördern für den Fall, dass das eigene Netzwerk nicht trägt. „Wir möchten die Menschen zusammenbringen und vernetzen“, sagt Rebbe. Genau das versuche man mit dem Familienzentrum in Dulsberg. Kinder und Eltern können sich dort im Familiencafé treffen, auch zum Kinderkleiderladen habe jeder Zutritt, ohne Stigmatisierung, „da darf jeder rein“.
2021 eröffnet die Organisation ebenfalls in Dulsberg ein Familienzentrum, in dem auch drei Kinderdorf-Familien mit je sechs Kindern Platz finden werden.