Hamburg . Die Halterin wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Ihr Hund hatte eine Schülerin ins Gesicht gebissen.

Sie hat sich gründlich umgesehen. Dann fiel die Wahl von Sandra L. (alle Namen geändert) auf Hugo: ausdrucksstarkes Gesicht, kräftiger Körper – die Englische Bulldogge, die im Tierheim gelandet war, sollte bei ihr und ihrem Lebensgefährten ein gutes Zuhause bekommen. Doch das Glück währte kaum mehr als eine Woche – und endete in einer Katastrophe. Hugo hat ein kleines Mädchen gebissen und schwer verletzt. Wäre das Unglück zu verhindern gewesen? War es womöglich sogar vorhersehbar?

Nein, findet Sandra L. Die Lehrerin hat sich gleichsam einen Rettungsanker aus einer Fülle von Argumenten gebastelt, warum sie nicht habe ahnen können, dass ihr Hund einem Kind gefährlich werden könnte. Und das Mädchen tue ihr unglaublich leid. Mit verweintem Gesicht sitzt die Dreißigjährige vor dem Amtsgericht, wo sie sich wegen fahrlässiger Körperverletzung verantworten muss. Obwohl die Lehrerin wusste, dass der Hund schon mal geschnappt hatte, so die Anklage, nahm sie Hugo mit in die Schule und gestattete dort der acht Jahre alten Carlotta, den Hund zu streicheln. Das Kind erlitt an Mund und Wange Bissverletzungen.

Beim Rangeln ihren Freund gebissen

Als sie Hugo im Tierheim adoptieren wollte, erzählt die Angeklagte, habe sie den Pflegern explizit gesagt, dass sie den Hund mit in die Schule nehmen wolle. Die Tierheim-Mitarbeiter hätten bei einigen anderen Exemplaren ausdrücklich gewarnt, dass diese sich nicht dafür eignen, „weil sie beißen. Aber bei Hugo sagten sie nur, er habe beim Spielen mal geschnappt.“ Das habe sie nicht als Warnung aufgefasst. Und auch als das Tier einmal beim Rangeln ihren Freund gebissen hat, habe sie Hugo nicht als gefährlich eingeschätzt. „Mein Partner hatte den Hund am Gesicht gezerrt und damit etwas gemacht, das er nicht machen sollte.“

Eine Art Bewährungsprobe habe Hugo bestanden, als sie ihn zu einem Schüler-Sportturnier mitnahm. „Er hat überhaupt nicht auf die Kinder reagiert.“ Schließlich entschied Sandra L., dass ihr neuer Gefährte mit in die Schule kommen könne. „Das ist erlaubt, es ist eine private Schule“, erklärt die Pädagogin. Sie saß im Lehrerzimmer, Hugo war an der langen Leine unter dem Tisch, als Schülerin Carlotta fragte, ob sie den Hund streicheln dürfe. Sandra L. gestattete es. „Ich hatte am Computer gearbeitet, und als ich wieder hinguckte, lag das Mädchen auf dem Rücken, und der Hund war über ihr. Sie blutete“, erzählt die Angeklagte unter Tränen. Dass das Tier zugebissen hat, habe sie überrascht. „Ich habe kein Bellen und kein Knurren gehört. Nur ein Ahhh!“ Carlotta habe geweint. „Aber sie war so tapfer.“ Sandra L. gab Hugo zurück ins Tierheim.

Autorin Bettina Mittelacher
Autorin Bettina Mittelacher © Privat

Die Richterin verliest aus einem Schreiben des Tierheims, in dem es heißt, der Vorbesitzer habe Hugo zurückgegeben, nachdem dieser viermal geschnappt hatte. „Wir haben das so verstanden, dass es nur kritisch wird, wenn man dem Hund im Gesicht rumfummelt“, schluchzt Sandra L. „Ich wollte doch nicht, dass jemand verletzt wird“, versichert die Angeklagte.

Regelmäßige Träume

Die Erinnerungen an den Vorfall sind bei Carlotta noch nicht verblasst, und auch die Wunden im Gesicht sind noch nicht verheilt. Das Kind muss nach wie vor einen Verband tragen und hat Schmerzen, erzählt die Mutter der Grundschülerin. Darüber hinaus leidet ihre Psyche: Carlotta hat eine Therapie gemacht, um ihre Angst vor Hunden zu überwinden. „Bei kleinen Tieren geht es jetzt“, sagt ihre Mutter. „Aber sie träumt noch regelmäßig, dass ein großer Hund ihr ins Gesicht beißt.“

Hugo ist nach Aussage einer Pflegerin „eigentlich ein nettes Tier, aber etwas distanzlos“, sagt die Zeugin. „Wenn Menschen ihn umarmen wollten, hat er halt geschnappt. Das steht auch in seinem Steckbrief.“ So eine Beschreibung hänge stets am Zwinger, sodass sich ein Interessent sofort ein Bild von dem Tier machen könne. „Und ich bin sicher, dass es auch gesagt wurde“, meint die 50-Jährige. Hugo mit in die Schule zu nehmen „halte ich für äußerst schwierig“. Und dass es einen Zwischenfall geben könne, „war programmiert, und es war vermeidbar“.

"Fatale Fehlentscheidung"

Eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 60 Euro verhängt die Amtsrichterin schließlich. Ferner muss Sandra L. 5000 Euro Schmerzensgeld an Carlotta zahlen. „Jeder weiß, dass Hunde letztlich unberechenbar sind“, sagt die Vorsitzende. „Und Ihr Hund hatte ja schon mal geschnappt“, redet sie der Angeklagten ins Gewissen. Spätestens als Hugo den Freund gebissen hatte, „hätten Sie wissen müssen, dass der Hund in der Grundschule nichts zu suchen hat“. Dass die Lehrerin gewissermaßen „sehenden Auges“ das Tier mitgenommen und einem Kind gestattet hatte, Hugo zu streicheln, „war eine fatale Fehlentscheidung mit schweren Folgen für das Mädchen“.