Hamburg. Bürgermeister Peter Tschentscher gratulierte Lydia Smuda zum Ehrentag. Dafür gab sie ihm ein paar Weisheiten mit auf den Weg.
Wenn Lydia Smuda Geburtstag feiert, dann ist richtig was los in der Seniorenwohnanlage in Osdorf. Denn hier lebt die älteste Frau der Stadt. Und mit jedem Lebensjahr nimmt das öffentliche Interesse an ihr zu. Nur Frau Smuda lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Die zierliche Dame im Rollstuhl sitzt an der festlich gedeckten Tafel, umringt von Kamerateams, Fotografen und Journalisten und genießt die volle Aufmerksamkeit. Es sieht ein wenig so aus, als würde sie Hof halten.
Für ihren großen Tag hat sie sich schick gemacht. Sie war beim Friseur, hat Lippenstift aufgelegt, und sie trägt eine gelbe Bluse unter der leicht schimmernden Weste. Zudem hat sie ihre besten Puschen an. Die Pumps passen ihr nicht mehr so gut. Ein paar Abstriche muss man mit zunehmendem Alter eben machen. So empfängt sie am Dienstagmittag einen Gratulanten nach dem anderen, nimmt Blumen und Geschenke entgegen. „Kinder“, sagt sie. „Ich weiß gar nicht, warum ich so viele Geschenke bekomme. Geburtstag hat doch jeder“, erklärt sie.
Die 112-Jährige, die dem Wein nicht abgeneigt ist
Stimmt. Doch es gibt nur ein paar ganz wenige Menschen, die das fast biblische Alter von 112 Jahren erreichen. In Hamburg ist das einzigartig. Deutschlandweit lässt sich die Zahl der Männer und Frauen in diesem Alter an einer Hand abzählen. „Man hat mir gesagt, wie alt ich bin, nur ich spüre das gar nicht“, erklärte Frau Smuda fröhlich der Zuhörerschar. Da möchte man vor Neid erblassen. Auch Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher, der zum Gratulieren persönlich vorbeischaute, zeigte sich beeindruckt: „Wir sind stolz darauf, dass Sie in Hamburg leben und mit 112 Jahren auch noch so fit sind.“
Dann wurde auf ihren Geburtstag angestoßen. Mit ihrem begeisterten „Prösterchen“ entlockte Frau Smuda auch dem Regierungsoberhaupt der Hansestadt ein Lachen. Ernster wurde er, als ihm die 112-Jährige erläuterte, dass sie dem Wein nicht abgeneigt sei. Jeden Tag ein Glas? Das machte Tschentscher nachdenklich. Aber es wäre nicht Lydia Smuda, wenn sie ihrem Gegenüber nicht schlagfertig Paroli bieten würde. Das Maß zu halten sei wichtig. „Der Wein darf nicht stärker werden als man selbst“, räumte die ehemalige Erzieherin und Hauslehrerin ein. Aber: „Der Wein hat mir nie etwas getan“, sagte sie und fügte mit einem Schmunzeln hinzu: „Ich ihm aber auch nichts.“
Wladimir Klitschko besuchte Frau Smuda vor zwei Jahren
Mit genau solchen Sprüchen hatte die kleine zierliche Dame auch einen anderen großen Mann schier umgehauen. Wladimir Klitschko besuchte die älteste Hamburgerin vor zwei Jahren und erfüllte ihr so einen Herzenswunsch. Denn Smuda ist leidenschaftlicher Boxfan und besonders von den Klitschko-Brüdern angetan – vielleicht weil sich die in Remscheid geborene Elisa Emma Lydia Berger öfter einmal durchs Leben boxen musste. Am Ende des einstündigen sehr herzlichen Treffens der Jahrhundert-Lady und des ehemaligen Weltmeisterboxers hatte Smuda einen Fan mehr. Und der Eindruck trog nicht. Denn Klitschko kam sie tatsächlich noch einmal besuchen. Ganz ohne Presse, wie Fitnat Soyka verriet.
Sie und ihr Mann Dr. Andreas Soyka haben die kinderlose Frau Smuda, die nur noch eine Nichte in Remscheid hat, in ihrer Familie aufgenommen. Soyka ist der langjährige Arzt von Frau Smuda. Mit den Jahrzehnten lernten sie sich kennen und schätzen. Frau Smuda, die nicht nur beruflich gern mit Kindern zu tun hatte, wurde zur Adoptivoma. Deshalb durften die Soykas beim Besuch Klitschkos am 18. April dabei sein und ein paar Erinnerungsfotos machen. Es sei ein schönes Treffen gewesen, bei dem viel gescherzt wurde.
Die Jahrhundert-Lady isst gern Chinesisch
All das erzählen die Soykas am Vorabend zu Frau Smudas Geburtstag. Das Abendblatt, das die älteste Hamburgerin seit Jahrzehnten liest, darf mit am Tisch sitzen. Es gibt Essen vom Chinesen. Das mag Frau Smuda so gern. Dazu natürlich ein Glas Wein. Die Jahrhundert-Lady ist ausgesprochen guter Laune. Über Besuch freut sie sich und kommt sie in Fahrt, erzählt sie gern von ihrem langem Leben.
Als Tochter einer Fabrikantenfamilie besuchte sie das Internat, mit 19 bestand sie ihr Examen zur Erzieherin und Lehrkraft. Ihr familiärer Hintergrund öffnete ihr die Türen zu guten Häusern. Sie kam viel herum. Nach Hamburg verschlug es sie der Liebe wegen. 1942 heiratete sie ihren Hans, der 1982 verstarb. Hans war Koch und fand nach dem Krieg Arbeit in der Hansestadt.
Lydia Smuda ohrfeigte einen NS-Mann
Prägend war für Lydia Smuda die Erfahrung, als sie einen NS-Mann ohrfeigte und deshalb ihre Stelle in einem Kinderheim in Thüringen aufgeben und fliehen musste. Davon erzählt sie oft. Genauso wie davon, als sie kündigte, weil eine Hausherrin verlangte, mit „gnädige Frau“ angesprochen zu werden. „Gnädig ist nur Gott“, befand Smuda und verlangte ihre Papiere.
Die streng erzogene Frau Smuda ist resolut und gottesfürchtig. „Manchmal sagt sie morgens: Gott hat schon wieder vergessen, mich abzuholen“, berichtet Fitnat Soyka. Und auch der Medienschar erklärt die 112-Jährige an ihrem Geburtstag auf die ewige Frage nach ihrem Rezept für ein langes Leben nur achselzuckend: „Das hat der liebe Gott gewollt. Ich habe dafür nichts getan.“