Hamburg. Initiative gegen Bebauung der früheren KZ-Außenstelle Sasel. Mitstreiterin der Initiative hat selbst dort gebaut.
Plant die Stadt eine Folgeunterkunft für Flüchtlinge auf einem ehemaligen KZ-Gelände in Sasel? Oder verortet eine Anwohnerinitiative die Außenstelle des Konzentrationslagers nur dort, um ihren grundsätzlichen Bedenken gegen eine Flüchtlingsunterkunft mehr Gewicht zu verleihen? Um diese Fragen geht es bei den Plänen für 160 Wohnungen auf einem Saseler Grünstreifen zwischen Feldblumenweg und Mellingburgredder. Im Streit liegen die Stadt und die Initiative „Gedenkstätte KZ Hohensasel“.
Die Initiative, die den Wohnungsbau für Flüchtlinge und Obdachlose ablehnt, beruft sich bei ihren Darstellungen auf eine 37 Jahre alte Untersuchung des Gymnasiums Oberalster und eigene Befragungen.
Initiative fordert Planungsstopp
Demnach haben sich während der NS-Zeit zunächst Teile einer Flakhelfer-Unterkunft, später ein Kriegsgefangenenlager und seit 1944 das Arbeitsaußenlager Sasel des KZ Neuengamme auf dem heutigen Grünstreifen befunden. Die Initiative fordert mit Rücksicht auf die Geschichte einen Planungsstopp für das aus ihrer Sicht belastete Areal. „Stattdessen wäre eine Gedenkstätte wünschenswert, die an die historische Bedeutung der Fläche erinnert“, sagte die Sprecherin der Initiative, Beatrice Traineau, dem Abendblatt.
Allen „Protesten und Eingebungen“ der Initiative zum Trotz habe die Stadt aber schon im Juni 2017 einen Bauvorbescheid für das Gelände erlassen. In ihrer Argumentation gegen eine Bebauung stützt sich die Initiative zudem, wie berichtet, auf eine Aussage von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der kürzlich gesagt habe, dass „Orte des Grauens des Nazi-Regimes schützenswerte Areale“ seien. Deshalb werde seitens der Initiative nun ein Antrag für eine Gedenkstätte erarbeitet.
Kulturbehörde: Gelände keine KZ-Außenstelle
Dieser Darstellung widerspricht allerdings die Kulturbehörde. Das fragliche Gelände sei nie Teil der KZ-Außenstelle gewesen. Auswertungen von Luftbildern und die Befragung von Überlebenden durch Wissenschaftler der KZ-Gedenkstätte Neuengamme hätten das ergeben. Vielmehr habe sich das Arbeitslager weiter östlich, an der Ecke Feldblumenweg/Aalkrautweg, befunden und sei inzwischen wieder bebaut.
Sprecher Enno Isermann: „Auf der Grundlage dieser ausführlicher Recherchen ist die Gedenkstätte zu dem Ergebnis gekommen, dass sich das Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers Sasel nicht auf dem Areal befand, für das gegenwärtig die Bebauung geplant ist.“ Es bedürfe zudem keiner zusätzlichen Orte des Gedenkens. „Die Geschichte des KZ-Außenlagers Sasel wird seit Jahren auch zusammen mit Initiativen vor Ort intensiv von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme aufgearbeitet.“ Vor Ort gebe es einen Gedenkstein, auch in der Gedenkstätte Plattenhaus Poppenbüttel werde an die Geschichte erinnert.
Für die Grünen und die Linken im Bezirk Wandsbek ist die Darstellung der Initiative eine Farce. Der Bezirksabgeordnete der Linken, Rainer Behrens, bezeichnet das Anzweifeln der Rekonstruktionen durch die KZ-Gedenkstätte als absurd. Er sei nach wie vor der Überzeugung, dass Flüchtlingsunterkünfte gerecht über die Stadt verteilt werden sollten. Das gelte auch für Stadtteile wie Sasel und Poppenbüttel. Die Gründe der Initiative seien vorgeschoben.
Gutachten zu Fledermäusen
Der zuständige Bezirk Wandsbek, dessen Bauvorbescheid zwei Jahre gültig ist, sieht laut Sprecher Jacob Löwenstrom „keine Verdachtsmomente, dass im zu bebauenden Bereich Überreste der KZ-Außenstelle liegen könnten“. Der Zentrale Koordinierungsstab Flüchtlinge und der Bauherr „f&w fördern und wohnen“ halten deshalb an den Planungen fest. Ein faunistisches Gutachten zu Fledermäusen auf der Fläche soll Ende November vorliegen. Danach werde „über den weiteren Umgang mit der Fläche entschieden“.
Die Initiative will eigenem Bekunden nach in Zusammenarbeit mit der Universität eigene biophysikalische Bodenanalysen zur historischen Rekonstruktion herstellen. Dass sich Anwohnerin Gudrun Bischoff, die für die Initiative den Schriftwechsel mit der Stadt führt, erst vor Kurzem selbst ein Haus an der umstrittenen Fläche bauen ließ und damit gewissermaßen selbst gegen die eingeforderte Erinnerungskultur verstoße, sieht Traineau nicht. „Wir wollen nur das letzte Stück des Erinnerungsortes schützen.“
Laut Gedenkstätte Neuengamme haben zwischen September 1944 und dem Kriegsende Hunderte Frauen unter unmenschlichen Bedingungen in dem 300 mal 200 Meter großen Saseler Außenlager gelebt und gearbeitet. Sie wurden zum Bau von Behelfsunterkünften gezwungen oder mussten bei der Verarbeitung von Betonplatten auf dem Heiligengeistfeld helfen.
Am 7. April 1945 ließ die SS die Frauen in das KZ Bergen-Belsen transportieren, danach wurde es nochmals mit Frauen aus einem Helmstedter Lager belegt. Mindestens 35 Frauen sind demnach in Sasel gestorben. Sie sind auf dem Bergstedter Friedhof beigesetzt worden. Insgesamt hatte das KZ Neuengamme mehr als 85 Außenlager, in 24 davon waren 13.600 Frauen inhaftiert. Mindestens 95 von ihnen kamen ums Leben.