Hamburg. 100 Jahre Novemberrevolution – rund 400 Schüler diskutieren über politisches Engagement im Hamburger Rathaus.

Wer mitunter denkt, dass sich die heutigen Jugendlichen nicht besonders für Politik und die demokratischen Institutionen interessieren, der wäre im Großen Festsaal des Rathauses eines Besseren belehrt worden: Rund 400 Schülerinnen und Schüler diskutierten knapp zwei Stunden lang lebhaft und engagiert mit Elke Büdenbender, der Frau des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) – Thema: „Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit“.

Moderator Michel Abdollahi gab gleich zu Beginn die Richtung vor. „Alle, die vor 1990 geboren sind, haben hier heute nichts zu melden“, sagte Abdollahi zur Freude der Schülerinnen und Schüler mit Blick auf Lehrer und andere Erwachsene. „Wir feiern heute einen neuen Aufbruch in die Demokratie.“ Abdollahi spielte damit auf den Anlass der Diskussion an – die Novemberrevolution 1918 vor 100 Jahren –, kam jedoch schnell auf die Gegenwart: „Noch ist unsere Demokratie stabil, aber die Situation wird anders. Wir müssen dafür kämpfen, dass die Demokratie stabil bleibt“, sagte Abdollahi, der als Flüchtlingskind mit seinen Eltern Mitte der 80er-Jahre nach Hamburg gekommen war.

Bürgerentscheide und Volksentscheide

Schon die erste Schülerfrage war ein unfreiwilliger Beleg für die Problematik, auf die das Motto anspielte. „Wie wollen Sie uns motivieren, in der Demokratie mitzumachen?“, fragte ein Abiturient. „Politik ist Engagement und nicht Entertainment“, gab Elke Büdenbender zurück. Sie sei als Schülerin Klassensprecherin gewesen und später Jugendvertreterin im Betrieb. „Man muss sich informieren, man muss etwas wollen. Deswegen möchte ich die Frage zurückspielen: Was ist ­euer Ziel?“, fragte die Frau des Bundespräsidenten.

„Wie erklären Sie sich den Abwärtstrend der Demokratie?“, fragte ein anderer Schüler. „Demokratie ist nicht auf dem absteigenden Ast“, gab Tschentscher zurück. Im Gegenteil: Mit Bürgerentscheiden und Volksentscheiden gebe es in Hamburg sogar mehr Demokratie. „Es gibt den sehr großen Wunsch vieler Menschen, bestimmte Fragen selbst und direkt zu entscheiden“, sagte der Bürgermeister.

Schüler hatten sich gut vorbereitet

Die Macht der Lobbyisten, Waffenexporte in Krisengebiete, die Endlagerung des Atommülls, G20 oder die Debatte über das dritte Geschlecht – es war nicht immer einfach für die diskussionserprobten Profis Büdenbender und Tschentscher, auf die Schnelle eine überzeugende Antwort zu geben. Die Schüler hatten sich gut vorbereitet. Ausgewählt auf Vorschlag ihrer Geschichts- und Politiklehrer wurden die 400 jungen Menschen von 30 allgemeinbildenden Schulen und zwölf Berufsschulen eingeladen. Weitere 200 Anmeldungen lagen vor.

Die jüngsten Teilnehmer waren Grundschüler der Schule Grumbrechtstraße in Harburg, die an einer Demokratie-Werkstatt des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung teilgenommen hatten. „Dürfen Leute, die nicht in Deutschland geboren sind, Bürgermeister werden?“, fragte die zehn Jahre alte Hidaya, die in die fünfte Klasse der sechsjährigen Grundschule geht. Da war der Amtsinhaber gefragt. „Ja, entscheidend ist, dass man einen deutschen Pass hat“, antwortete Bürgermeister Tschentscher.

Wichtiges Thema

Ein Thema lag den Schülern besonders am Herzen: der Aufstieg der AfD und der Rechtspopulismus in Europa. „Was sind die Ursachen? Und ist es generell schlecht, wenn mehr national gedacht wird?“, fragte ein Abiturient. „Wir sollten Patriotismus nicht mit Nationalismus verwechseln. Wir können stolz auf unser Land, auf unsere Stadt sein. Aber wir sollten andere Nationen nicht abwerten oder ausgrenzen“, sagte Tschentscher. „Wir verstärken die Bedeutung der AfD, wenn wir immer über sie reden. Im Grunde kann man entspannt sein. Die Partei hat nicht so viele Wähler, dass sie die Regierung stellen könnte“, so der Bürgermeister.

Am Ende war die Novemberrevolution wegen der Aktualität aus dem Blick geraten. „Demokratie muss in jeder Generation neu erlernt werden“, zog Elke Büdenbender Bilanz und gab den jungen Menschen in Sachen Demokratie einen Rat mit auf den Weg: „Ihr müsst das machen! Wenn alle sagen, das läuft schon, dann geht es schief.“