Hamburg. Letzte Zuflucht gegen Kälte: Nach dem Tod einer Obdachlosen öffnen neue Schlafunterkünfte. Einige sind besonders beliebt.

Auch für das kommende Wochenende sagt der Deutsche Wetterdienst Bodenfrost voraus. Das Wetter wird lebensgefährlich für Obdachlose in Hamburg: Eine 43-Jährige war am vergangenen Sonntag leblos auf einer Parkbank in Niendorf gefunden worden, sie starb im Krankenhaus – wahrscheinlich ist die Wohnungslose an Unterkühlung gestorben. Der Frost kam überraschend, das Winternotprogramm der Stadt startete erst am Donnerstag.

Mehr als 700 Schlafplätze gibt es vom 1. November bis zum 30. März im Stadtgebiet. Fördern und Wohnen betreibt im Auftrag der Stadt zwei Unterkünfte: In der Friesenstraße in Hammerbrook finden bis zu 400 Menschen einen Schlafplatz. Neu in diesem Jahr sind weitere 250 Container-Schlafplätze die in der ehemaligen Flüchtlingsunterkunft in der Kollaustraße in Lokstedt angeboten werden. Dort werden zusätzlich 100 Plätze in Reserve vorgehalten.

Busshuttle verteilt Obdachlose auf zwei Standorte

Diese Unterkunft ist als Ersatz für den bisherigen zweiten Standort im Schaarsteinweg gedacht. Der Mietvertrag für die Fläche unweit des Michels war abgelaufen. Zwischen der zentrumsnahen Friesenstraße und der weiter außerhalb gelegenen Kollaustraße bietet die Stadt einen Busshuttle an, der die Menschen am Abend nach Lokstedt und am Morgen zurück Hammerbrook bringt.

Dass nun auch ein Standort des Winternotprogramms außerhalb des Innenstadtbereichs liegt, sieht Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter bei "Hinz und Kunzt", positiv: Das Beispiel der verstorbenen 43-Jährigen zeige, dass das Problem der Obdachlosigkeit nicht auf den Stadtkern begrenzt sei. Schon insofern sei es begrüßenswert, dass "wir wieder so ein großes Winternotprogramm anbieten".

Diakonie vergibt Plätze im Losverfahren

Neben den von Fördern und Wohnen verwalteten Plätzen vergibt das Diakonische Werk knapp 110 Schlafplätze, die über das Stadtgebiet verteilt sind. Wie „Hinz & Kunzt“ berichtet, sind diese Plätze besonders begehrt, jedes Jahr gebe es deutlich mehr Bewerber als Betten. Denn diese Unterkünfte haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Standorten von Fördern und Wohnen, wie Karrenbauer dem Abendblatt erklärt: „Wer dort einen Platz hat, bekommt einen Schlüssel und kann selbst entscheiden, wann er die Unterkunft am Morgen wieder verlässt.“

In der Friesen- und der Kollaustraße hingegen gibt es feste Öffnungszeiten: Beide Unterkünfte öffnen um 17 Uhr und schließen um 9.30 Uhr – das wird seit Jahren von „Hinz & Kunzt“ kritisiert. Auch wurden mehrere Petitionen bei der Stadt eingereicht, um eine ganztägige Öffnung des Winternotprogramms zu erreichen; zuletzt im Februar diesen Jahres, als Initiator Jörg Petersen fast 95.000 im Internet gesammelte Unterschriften dem Senat übergab.

Zur Verteilung ihrer Plätze, bei denen die Obdachlosen selbst entscheiden, wann sie kommen und gehen, setzt die Diakonie in diesem Jahr auf ein Losverfahren. An den bisher durchgeführten Auswahlgesprächen und einer individuellen Zuteilung im Vorhinein hatte es im vergangenen Jahr Kritik gegeben, weil auch die deutschen Sprachkenntnisse der Menschen bei der Vergabe berücksichtigt worden waren. Peter Ogon, der Leiter des Fachbereichs Existenzsicherung des Diakonischen Werks, sagte „Hinzt & Kunzt“, Wohnungslosigkeit habe „sich verändert“, Sprachkenntnisse könnten „kein Kriterium mehr sein“.

Zahl der Obdachlosen in Hamburg stark gestiegen

Tatsächlich ist die Zahl der nicht deutschsprachigen Obdachlosen in Hamburg zusammen mit der Gesamtzahl stark angestiegen: Wurden 2009 noch 1029 Menschen ohne festen Wohnsitz in Hamburg gezählt, waren es bei einer erneuten Befragung in diesem Jahr 1910 obdachlose Menschen. Die Werte gelten aufgrund der Art der Erhebung als Mindestzahlen, wahrscheinlich sind sie deutlich höher. Karrenbauer appelliert an die Stadt: „Jetzt ist die Politik gefordert: Die Zielmarke muss sein, diese Zahl innerhalb von fünf Jahren zu halbieren.“ Zudem müsse vom Prinzip des Winternotprogramms zu dem der ganzjährigen Versorgung übergegangen werden: „Wir müssen Obdachlosen ganzjährig eine gesicherte Unterkunft anbieten.“

Die Sozialbehörde weist darauf hin, dass alle Nutzer des Winternotprogramms Beratungsgespräche in Anspruch nehmen können. Senatorin Melanie Leonhard (SPD) erklärt, man helfe bei der Überwindung von Obdachlosigkeit: „Die Sozialberatung in den Unterkünften wurde erstmalig schon 2016 verstärkt. Dadurch können wir immer mehr Menschen erreichen und dabei helfen, das Leben auf der Straße hinter sich zu lassen.“ Während im Winter 2015/2016 135 Presonen in die sozialen Hilfesysteme vermittelt worden waren, ist die Zahl derer, die nicht mehr auf das Winternotprogramm angewiesen sind, im vergangenen Winter auf 331 Menschen angestiegen.