Hamburg. Ob Dirty Dancing oder Game of Thrones: Andrea David besucht die Originalschauplätze. Ihre Fotos sind bei Instagram zu Hits geworden.
Am besten sind die Plätze, die man ganz für sich allein hat. Das ist wie in jedem anderen Urlaub auch. Der dösige Felsen im Pazifik, die rostige Schrottbrücke im amerikanischen Niemandsland oder, wie neulich, das ranzige Wohnhaus im San Fernando Valley. Ein mittelschönes Haus unter Hochspannungsmasten in der Hochburg der amerikanischen Pornoindustrie. Aber für Andrea David ein Ort, an dem sie sentimental wird.
Weil sie mehr sieht als dieses Haus, weil ihr Kopfkino anspringt, weil ihr Lieblingsfilm läuft. Heute: „Zurück in die Zukunft“. Die Hollywood-Produktion mit Michael J. Fox wurde vor mehr als 30 Jahren in diesem Wohnhaus im Speckgürtel von Los Angeles gedreht – im Kinohit von 1985 ist es das Wohnhaus der Familie McFly. „Und wenn ich heute davorstehe, hat das Haus für mich eine Aura.“
Andrea David macht so was öfter. Steht an banalen Orten und sieht den Film. Hat plötzlich Szenen im Kopf: Dialoge, Schießereien, feuchte Küsse. Denn die Hamburgerin reist dorthin, wo andere gedreht haben. An die Originalschauplätze. Budapest, Bahamas, Bad Tölz, egal – als Filmtouristin, Drehortreisende oder, wie sie es nennt: Setjetterin, nimmt man die Orte, wie sie im Drehbuch standen. Und oft sind das ja auch nicht die schlechtesten Ecken der Welt.
Der See aus „Dirty Dancing“? Enttäuschend
An Drehorten gebe es so etwas wie eine eingebaute zweite Ebene, sagt David, mit der man wahlweise nostalgisch, euphorisch oder, das kommt auch vor, enttäuscht werden kann. Als Filmtourist sieht man jedenfalls mehr, sagt die Wahl-Hamburgerin beim Kaffee in Eimsbüttel. Gemessen an dem Hype um ihre Reisebilder wirkt ihre süddeutsche Mundart und die nüchterne Geste fast zu unglamourös und jetsetfern für jemanden, der dauernd den Stars hinterherfliegt. Sie wirkt eher aufgeräumt und strukturiert. Wie man eben wirkt, als 40-Jährige und Mutter, die Partner, Familie und reiselastigen Beruf in Einklang bringen muss.
Ausgebildet wurde sie in einem Reisebüro, hat danach Tourismus studiert und währenddessen das Nischenthema Filmtourismus entdeckt. Für ihre Diplomarbeit untersuchte sie die Wechselwirkung zwischen Drehorten und touristischer Vermarktung, ergründete, ob „Lost in Translation“ in Tokio und die Produktion „Troja“ auf Malta Spuren hinterlassen hatten. Bei einer Schottlandreise erwischte es sie dann selbst – sie verfiel dem Filmtourismus.
Seit elf Jahren kombiniert sie die beiden Leidenschaften Film und Reisen, um weltweit Kulissen und Landschaften zu besuchen, die jeder irgendwie schon mal gesehen hat, aber selten weiß, woher. Jordanien in „Star Wars“, Edinburgh in „Trainspotting“, das Baskenland in „Game of Thrones“, die Strandperle in „Der amerikanische Freund“ und, natürlich, Los Angeles. Manchmal weltbekannte Plätze, oft abseitige Gegenden. 14 Tage Strandurlaub kann ja jeder.
Mehr als 500 Drehorte
Inzwischen sind auf ihrer Internetseite Filmtourismus.de mehr als 500 Drehorte gelistet. Auf Instagram folgen ihr mehr als 200.000 Fans. Denn dort veröffentlicht sie witzige Bilder von Filmszenen vor der Originalkulisse. Harry Potter vor schottischem Burgportal, Captain Kirk im Vasquez Rocks Park. Die Bild-in-Bild-Kompositionen sind ihr Markenzeichen geworden. Dabei war es anfangs nur leichter, mit den Filmfotos vor Ort nach dem Weg zu fragen. In Kambodscha, am „Tomb Raider“-Drehort, inszenierte sie das erste dieser Bilder – Fiktion und Wirklichkeit verschmolzen.
Seither sucht Andrea David in North Carolina nach dem Hotel aus „Dirty Dancing“, dem Kellerman’s Resort, nach der Brücke aus „Forrest Gump“ an der Ostküste oder nach der Straßenkreuzung, an der „Kevin allein in New York“ war. „Manchmal kommt man auch nicht zu Drehorten, weil sie abgerissen wurden oder in Privatbesitz sind, manchmal ist man auch enttäuscht“, sagt David. „Der See aus ,Dirty Dancing‘ etwa ist nur noch ein Rinnsal.“ Meistens aber sei es fast magisch, an einem Ort zu stehen, den man nicht nur sieht, sondern auch wiedererkennt. Dann sei es tatsächlich „wie im Film“. Je mehr Nostalgie desto intensiver. Besonders emotional wurde sie in der Kleinstadt Hope, in der „Rambo“ einen Krieg mit dem Sheriff führte, und auf der Southfork Ranch aus „Dallas“.
Da Bloggerin David ihr Hobby zum Beruf gemacht hat und von Reiseartikeln, Vorträgen oder Partnerlinks auf ihrer Seite lebt, gestaltet sich die Recherche nicht mehr ganz so schwierig. Tourismusämter oder Reiseveranstalter vermarkten die Filmschauplätze offensiv. Manchmal gleiche die Recherche jedoch immer noch der Detektivarbeit vom Anfang. „Bei Kinofilmen bleibe ich oft bis zum Ende des Abspanns sitzen, weil dann den Ländern und Städten gedankt wird, in denen gedreht wurde.“ Vor den Reisen gleicht sie Standbilder mit dem Streetview-Dienst von Google ab, sucht in Szenen markante Hinweise oder fragt, voll altmodisch, Leute vor Ort.
Welche Dynamik große Filme an Orten entwickeln können, lasse sich nicht nur am „Overtourism“ in Dubrovnik durch „Game of Thrones“ (und die Kreuzfahrtindustrie) oder an der für Touristen inzwischen gesperrten thailändischen Maya Bucht aus „The Beach“ bestaunen. Auch Neuseeland tauge als Beispiel. Schon vor der „Herr der Ringe“-Trilogie stand das Land auf der Sehnsuchtsliste vieler Reisender. Nach den Filmen aber setzte ein Hype ein, der darin gipfelte, dass eine ehemalige Schafweide zu den größten Sehenswürdigkeiten des Landes avancierte: das Set von Hobbingen. „Das zeigt“, sagt Andrea David, „wie Drehorte auf den Tourismus wirken – positiv wie negativ.“
Auch eine Weltreisende hat Träume
Manche Orte haben sich nach dem Dreh auch komplett verändert. Hamburg biete da gutes Anschauungsmaterial. Wo 1977 im Wenders-Klassiker „Der amerikanische Freund“ noch ein Rahmengeschäft auf St. Pauli war, wird heute Schmuck verkauft. „Und wenn man sich ,Absolute Giganten‘ anschaut, denkt man, der Film spielt in einer anderen Stadt“, sagt David. Dagegen sind das Eimsbütteler Kaifu-Gymnasium, das in „Die Lümmel von der ersten Bank“ eine tragende Rolle spielte oder die Strandperle, auch aus „Der amerikanische Freund“, fast unverändert.
Bei der Auswahl interessanter Orte hat Andrea David eine Drei-Teile-Regel. Entweder, Serien gefallen ihr nach drei Folgen, und sie zieht eine Reise in Erwägung – oder eben nicht. „Eigentlich mag ich keine Zombie-Sachen, aber ,The Walking Dead‘ fand ich spannend.“ Inzwischen gehören die morbiden Drehorte in verlassenen Industrielandschaften Georgias zu ihren Lieblingszielen. Skurril werde es immer, wenn Orte erst durch eine Serie oder einen Film bekannt werden oder, wenn düstere Fantasielandschaften wie „Drachenstein“ aus „Game of Thrones“ sich schlicht als Nordspanien entpuppen.
Mann und Sohn kommen gern mit
Wann immer es geht, nimmt Andrea David ihren Mann und ihren Sohn mit. In den Herbstferien war die ganze Familie für zwei Wochen in Los Angeles. „Das war natürlich der absolute Wahnsinn, weil dort schon an jeder Ecke irgendwas gedreht wurde.“ Die Studiotouren in Hollywood noch gar nicht mitgerechnet. Aber ab und an brauche selbst ein Film-, Serien- und Reisejunkie wie sie eine Pause. „Dann lege ich mich auch mal an den Strand oder gehe wandern.“
Was soll noch kommen? „Nun ja, tatsächlich ist ,Zurück in die Zukunft‘ einer meiner absoluten Lieblingsfilme, weshalb die Drehorte in L.A. schon die Erfüllung eines Traums waren.“, sagt David. Mittelerde, also Neuseeland, stehe noch ganz oben auf ihrer Liste der Wunschreisen. Auch Tunesien, wo einige „Star Wars“-Drehorte liegen, klinge reizvoll. Und selbstverständlich: Hawaii.
Andrea David könnte jetzt die Cineastin heraushängen lassen, milde nicken und erzählen, dass sie wegen George Clooney in „The Descendants“ auf die Inselkette im Pazifik möchte. Doch die Filmkennerin ist sich nicht zu schade für Blockbuster und sagt. „Ich würde gern die Drehorte von ,Jurassic Park‘ sehen.“