Hamburg. Stefanie von Berg kann die Doppelbelastung von Beruf und Bürgerschaft nicht mehr schultern. Sie plädiert für ein Vollzeit-Parlament.

Kompetent, streitbar und durchsetzungsfähig – so kennen nicht nur die Abgeordneten der Bürgerschaft die Grünen-Politikerin Stefanie von Berg, schul- und religionspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Doch jetzt zieht die 54-Jährige, die als Leiterin des Studienseminars Stade für das Lehramt an berufsbildenden Schulen tätig ist, einen Schlussstrich. Im Gespräch mit dem Abendblatt erläutert die leidenschaftliche Politikerin, warum sie ihr Bürgerschaftsmandat zum 1. November nach siebeneinhalb Jahren niederlegt.

Doppelbelastung mit bis zu 80 Stunden

„Ich kann meinen Beruf und die politische Arbeit nicht mehr unter einen Hut bringen“, sagt von Berg. Trotz einer Reduktion ihrer beruflichen Tätigkeiten auf 75 Prozent kommt die Grüne, die eine der profiliertesten Abgeordneten ihrer Fraktion ist, zusammen mit ihren Aktivitäten im Parlament und im Wahlkreis auf 60 bis 80 Arbeitsstunden pro Woche. Lange hatte die Pädagogin diese Doppelbelastung geschultert – nicht zuletzt auch mit erheblichen Einschränkungen für ihre Familie.

Ein zentraler Faktor für von Bergs Entscheidung ist der Beschluss der Bürgerschaft, den Beginn der Plenarsitzungen am Mittwoch von 15 auf 13.30 Uhr vorzuverlegen. „Das hat mein Arbeitsmodell zum Kippen gebracht“, gibt Stefanie von Berg zu. Ausgerechnet der Mittwoch – die Bürgerschaft tagt im Durchschnitt alle zwei Wochen – ist für von Berg ein wichtiger Präsenztag mit Seminaren und Dienstbesprechungen.

„Ich muss spätestens um 12 Uhr oder 12.30 Uhr meinen Arbeitsplatz verlassen, wenn ich rechtzeitig zum Beginn der Bürgerschaftssitzungen im Rathaus sein will“, sagt die Abgeordnete. Das sei auf Dauer nicht zu vertreten gewesen. „Ich habe als Chefin von 45 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auch eine Vorbildfunktion.“ Eine weitere Absenkung der Arbeitszeit sei nicht möglich.

Großes Arbeitsgebiet

Hinzu komme, dass der Standort Stade ausgebaut werde und in einem ersten Schritt die Ausbildungskapazitäten zum 1. November von 25 auf 40 Referendare im berufsbildenden Bereich ausgeweitet würden. Insgesamt werden dann rund 100 Nachwuchslehrer an Berufsschulen zeitgleich auf den Schuldienst vorbereitet. Die Standorte der Schulen, an denen die angehenden Lehrer erste praktische Erfahrungen sammeln und die von Berg mehrfach besucht, verteilen sich auf ein Gebiet, das von Cuxhaven über Lüchow-Dannenberg bis Walsrode und Celle reicht.

Arbeit verdichtet

„Mein Beruf ist nicht skalierbar, ich kann meine Arbeitszeit nicht beliebig verkürzen. Das ist mit einer herausgehobenen Funktion in der Politik nicht vereinbar“, sagt von Berg, die auch Vorsitzende des Schulausschusses ist. Die Grünen-Politikerin zieht aus ihren Erfahrungen der Doppelbelastung eine sehr grundsätzliche Schlussfolgerung: „Es wäre ehrlicher und professioneller, wenn die Bürgerschaft ein Vollzeit-Parlament wäre.“ Die Arbeit der Abgeordneten habe sich in den vergangenen Jahren verdichtet. Wer die Ausübung seines Mandats ernst nehme, der müsse sich auf Ausschusssitzungen und Plenarsitzungen gründlich vorbereiten, umfangreiche Drucksachen lesen sowie sich auf Fachtagungen fortbilden. „Das ist für die Abgeordneten gerade der kleinen Fraktionen nicht immer möglich.“

Der Verzicht auf die Politik fällt Stefanie von Berg sehr schwer. „Für mich ist das Abgeordnetenmandat Dienst an der Gesellschaft. Wie die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen geht es mir darum, die Gesellschaft ein bisschen besser zu machen“, sagt von Berg. Als Erfolge ihres Engagements sieht die Grüne die Reform der Lehrerbildung mit der Schaffung des einheitlichen Lehramtes an Gymnasien für alle weiterführenden Schulen an. Die Einigung mit der Volksinitiative „Guter Ganztag“ über den Ausbau der Nachmittagsangebote schreibt sie sich ebenso mit auf ihre Fahnen wie die Verbesserung der Qualität des Schulessens. „Aber es gibt auch relativ kleine Erfolge wie die Einführung der Gebärdensprache als Wahlpflichtfach“, sagt von Berg.

Ihre Abgeordnetenzeit ist mit einem Ereignis verbunden, das bundesweit Wellen schlug. Nachdem sie 2015 in einer Rede vor der Bürgerschaft gesagt hatte, dass es in 20 Jahren in Hamburg keine ethnischen Mehrheiten mehr geben werde und das auch gut sei, stellte die AfD den Redeausschnitt ins Netz. Über Stefanie von Berg brach ein Shitstorm ausländerfeindlicher und rechtsextremer Äußerungen herein. Sie wurde beleidigt, verunglimpft und bedroht. „Davon habe ich mich noch nicht erholt“, sagt von Berg, die noch heute pro Woche zehn bis 30 Hassmails bekommt. „Ich wünsche mir für die Zukunft, dass die demokratischen Parteien gegen die AfD gegenhalten“, sagt sie.

Bedauern von Anjes Tjarks

„Ich bin sehr traurig, dass wir Stefanie von Berg als Abgeordnete verlieren. Sie ist eine engagierte, zugewandte und streitbare Politikerin, die die Schulpolitik in den vergangenen Jahren entscheidend mit geprägt hat“, sagt Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks. Von Bergs Entscheidung zeige, dass die zeitaufwendige Arbeit in einem „vermeintlichen Teilzeitparlament“ kaum mit einem anspruchsvollen Führungsjob vereinbar sei. „Es ist an der Zeit, über die Struktur des Parlaments grundsätzlich einmal nachzudenken“, sagt Tjarks.