Hamburg. Er leitet die soziale Einrichtung für schwer kranke und sterbende Menschen. Dem Abendblatt verrät er seine persönliche Lehre.

Noch ist im Quartier Baakenhafen der HafenCity nur eine große Baugrube zu sehen. Aber im Februar des kommenden Jahres soll auf dem Betondeckel der Tiefgarage der Grundstein für ein wegweisendes und einzigartiges Wohnprojekt gelegt werden, der Grundstein für „Festland“. Geplant sind 27 barrierefreie Wohnungen für jüngere Menschen ab 18 Jahren, die mit chronischen Krankheiten leben müssen, und für die es bisher keinen Platz für ein weitgehend selbstbestimmtes Leben in Hamburg gibt.

9,8 Millionen Euro wird das Haus kosten, das in diesem Jahr bereits für den Deutschen Engagement-Preis nominiert wurde. „Das Projekt wird aus Darlehen, Fördergeldern, staatlichen Zuschüssen und Spendengeldern in Höhe von 3,8 Millionen Euro finanziert“, sagt Ulf Bodenhagen, „davon haben wir bereits 3,2 Millionen zusammen. Das ist wirklich absolut großartig.“

Er macht eine kleine Pause, bevor er noch einmal darauf hinweist, dass noch 600.000 Euro fehlen. Der Geschäftsführer und Vorsitzende der Stiftung Hamburg Leuchtfeuer ist jedoch zuversichtlich, dass diese Spendenlücke schon bald geschlossen werden kann, damit „Festland“ spätestens im Jahr 2020 bezugsfertig sein wird. „Unser Spendenkonto finden Sie übrigens auf unserer Website“, sagt er strahlend. Und das muss er natürlich auch sagen, nicht zum ersten Mal. Er weiß am besten, dass eine soziale Einrichtung wie Hamburg Leuchtfeuer ohne freiwilliges finanzielles Engagement oder ehrenamtliche Mitarbeiter nicht funktionieren würde. Jedenfalls nicht so gut.

Vor 24 Jahren gegründet

Vor 24 Jahren wurde Hamburg Leuchtfeuer gegründet, zunächst als Netzwerk für Menschen mit HIV. Dazu sollten eine psychosoziale Betreuungseinrichtung gehören, ein Hospiz und ein ambulanter Pflegedienst für HIV-positive und Menschen, die an Aids bereits erkrankt waren. „Hamburg Leuchtfeuer verstand sich als Bürgerbewegung, die sich aus den unterschiedlichsten Menschen zusammensetzte – auch viele Prominente waren darunter –, die ein Gedanke einte: Sie solidarisierten sich mit allen, die von der Gesellschaft häufig als ‚Risikogruppe‘ eingestuft wurden“, sagt Ulf Bodenhagen.

Doch zu jenem Zeitpunkt lebte er noch nicht in Hamburg. Ulf Bodenhagen wurde 1969 im niedersächsischen Einbeck in einen durch und durch bürgerlichen Beamtenhaushalt hineingeboren. Sein Vater war bei der Post, die Mutter war in der Herrenmodebranche tätig. Er hat noch eine ältere Schwester, die heute als Unternehmerin arbeitet, „und das von Beginn an straight und erfolgreich“, sagt er, „während ich mich erst einmal anstrengen musste, meine Eltern und meine Lehrer davon zu überzeugen, dass ich kein Abitur – dass ich eben nicht den klassischen Karriereweg über die Uni – machen wollte, sondern Berufserfahrung sammeln, als Krankenpfleger, und das ist mir schließlich mit sanfter Beharrlichkeit auch gelungen.“

Diagnose Krebs betrifft alle Lebensbereiche

Schon während seiner Ausbildung im Krankenhaus habe er gemerkt, dass er sich als Mensch im onkologischen Fachbereich am besten wiedergefunden hätte: „Denn die Betroffenen benötigen immer weitaus mehr als nur pflegerische Unterstützung – die Diagnose Krebs betrifft ja alle Lebensbereiche.“

Vom Krankenpfleger zum Gesundheitsmanager, der heute 63 hauptamtlichen und rund 80 ehrenamtlichen Mitarbeitern vorsteht, die sich Hamburg Leuchtfeuer mit Feuer und Flamme verschrieben haben, war es jedoch ein langer und manchmal auch mühsamer Weg. „Typisches Learning by doing, denke ich“, sagt Ulf Bodenhagen, „aber tatsächlich war es nicht immer einfach, meinen Job und die kontinuierliche Fortbildungen unter einen Hut zu bringen.“

Mit 30 wurde er bereits Leiter eines Hospizes in Göttingen, zehn Jahre später ergriff er die Chance, in Hannoversch Münden ein Hospiz nach seinen Vorstellungen aufzubauen. „Dabei ging es mir immer um die Beantwortung der Frage, wie wir die todkranken Menschen, für die wir voll und ganz da sein möchten, erreichen – wie können wir ihnen eine möglichst gute Perspektive verschaffen und ihnen die bestmögliche pflegerische Versorgung bieten?“

Hohes gesellschaftliches Ansehen

2013 erreichte ihn jedoch die „Strahlkraft“ von Hamburg Leuchtfeuer, „der ich dann sehr schnell erlegen bin.“ Er wurde zum Geschäftsführer von einer der bekanntesten hamburgischen sozialen Einrichtungen berufen, die schon damals ein hohes gesellschaftliches Ansehen genoss. Da gab es „Aufwind“, die psychosoziale Beratungsstelle für HIV-positive Menschen, die als Hilfe zur Selbsthilfe konzipiert ist, damit die Betroffenen ihr Leben trotz der belastenden Umstände weitestgehend in die eigene Hand nehmen können.

Da war das „Lotsenhaus“, das für Bestattung, Bildung und Trauer­begleitung zuständig ist – und das Hospiz mit seinen elf Plätzen gab es ja sowieso. Am Horizont schimmerte damals aber auch schon das „Festland“ – das aktuelle Projekt von Hamburg Leuchtfeuer und ein ehrgeiziges dazu.

Natur und Musik sind seine Kraftquellen

Ulf Bodenhagen ist auf den ersten Blick keiner, auf den sich das Bild des gutmenschelnden Sozialarbeiters projizieren lässt. Mit seinem modischen blau-weiß karierten Hemd, dazu einem farblich passenden, geflochtenen blau-weißen Gürtel und seinem offensichtlichen Faible für ausgefallenes buntes englisches Schuhwerk, könnte man in ihm eher einen Werber vermuten, auf jeden Fall irgendetwas mit Medien. Er spricht mit sanfter Stimme, druckreif, und er vermeidet sorgfältig klischee­hafte Formulierungen.

Andererseits sieht man ihm auch sofort an, dass er zu denjenigen Menschen gehört, bei denen das Glas immer „halb voll“ ist anstatt „halb leer“. Gleichzeitig wirkt er wie ein Mensch, der fest im Leben steht und unerschütterlich von der Richtigkeit seines Tuns überzeugt ist. „Verantwortung zu tragen heißt für mich, Fachwissen zu haben. Um eine so große eigenständige Einrichtung wie Hamburg Leuchtfeuer zu führen, braucht man auch betriebswirtschaftliche Kompetenz. Ich habe einen praktischen, menschlichen Ursprungsberuf, den ich deshalb um das theoretische Wissen im Steuerrecht oder im Gemeinnützigkeitsrecht ergänzen musste.“

Flache Hierarchie

Ihm sei es dabei stets „enorm wichtig“ gewesen, einen Rahmen zu schaffen, in dem alle Mitarbeiter gut arbeiten können, und zwar miteinander. „Wir haben hier ganz bewusst eine flache Hierarchie. Ich sehe meinen Job so, dass ich Orientierung gebe – und um das zu tun, bedarf es Klarheit. Aber dabei muss der Umgang immer fair und menschlich bleiben, da wir schließlich anderen Menschen ein würdiges und besseres Leben ermöglichen wollen. Ohne ein positives Arbeitsklima würden wir das jedoch nicht schaffen – wir müssen daher auch auf uns selbst achten.“

Er selbst tut dies auf seine Weise, indem er an die Dove Elbe in den Vier- und Marschlanden gezogen ist, in die Nähe des Eichbaumsees. „Das ist der große Reiz, den Hamburg für mich ausmacht: Ich kann vom quirligen Kiez hinaus aufs Land fahren und bin trotzdem noch in einer Großstadt mit all ihren Annehmlichkeiten. Und genau so soll es auch bleiben. Am Wochenende bin ich viel auf meinem Fahrrad unterwegs, denn ich bewege mich häufig und gern in der Natur. Das ist meine Kraftquelle.“ Was nicht zu übersehen ist – Ulf Bodenhagen ist auffallend schlank. Doch er winkt lachend ab: „Jetzt einmal ‚off the records‘: Ich habe bloß Glück gehabt. Ich kann tatsächlich essen, was und so viel ich will. Vermutlich bin ich ein schlechter Verwerter.“

Auch Demut

Auch die klassische Musik – vor allem Klavierkonzerte – sowie sein persönliches soziales Netz, die Freunde, nennt Ulf Bodenhagen seine „Kraftquellen“. Wobei er jedoch vor allem sehr glücklich darüber sei, dass er eine Tätigkeit ausüben dürfe, „die mich ob ihrer Sinnhaftigkeit zutiefst erfüllt. Ich glaube wirklich, dass ich in meinem Berufsleben bisher noch nie eine glücklichere Phase erlebt habe.“

Zu diesem Glücksgefühl komme inzwischen auch Demut hinzu, was dem Umstand geschuldet sei, dass die Themen Krankheit, Sterben, Tod und Trauer bei Hamburg Leuchtfeuer in irgendeiner Weise ständig anwesend sind. „Meine Einstellung zum Leben hat sich im Laufe der Jahre, in denen ich Erfahrungen sammeln konnte, daher schon sehr geändert“, sagt er, „so frage ich mich heute nicht mehr, was ich haben möchte, sondern ich sehe das, was ich in diesem Moment besitze. Ich habe außerdem erkannt, dass es keineswegs selbstverständlich ist, wenn ich das Rentenalter gesund erreichen sollte. Dafür habe ich leider schon zu viele junge Menschen sterben sehen. Die Konsequenz, die ich daraus für mich ziehe, lautet: Ich spare nichts auf.“

Nächste Woche: Carmen Korn, Schriftstellerin