Hamburg. Die Einrichtung in Volksdorf beherbergt seit zehn Jahren sterbende Hamburger. Ein Ortsbesuch zwischen Leiden und Lachen.

Manchmal ist es kurz so, als wäre da nur Frieden. Keine Schmerzen, die Sonne flutet herein, Dörte Metscher (54) trinkt ein Glas Rotwein, geht spazieren, liest ein Buch, scherzt herum, ihre blassgrünen Augen glänzen. „Man denkt ja, dass es in so einem Haus furchtbar traurig zugehen muss. Das stimmt aber überhaupt nicht“, sagt sie. Sie trägt ein Lächeln; es ist ihre Rüstung in dem Kampf, ein letztes Mal zu leben. Manchmal ist die Realität so, wie sie eben ist. Dann meldet sich der Krebs schon morgens mit Macht, er wird Dörte Metscher töten. Und am Eingang flackert ein Windlicht, das Zeichen, dass wieder jemand gestorben ist. Natürlich mache der Anblick etwas mit ihr.

Am Ende gehe es nur um eines: „Dass die Gäste selbstbestimmt leben können“, sagt Andreas Hausberg, sich wohlfühlen, bis zum Ende. Oder das Leiden wenigstens erträglich wird. Der Geschäftsführer führt schnellen Schrittes durch den Flachbau des Albertinen-Diakoniewerks, der heute sein zehntes Jubiläum begeht. Für die „Gäste“, wie sie hier im Hospiz beharrlich sagen, ist jede Hoffnung auf Heilung erloschen. Die Hälfte von ihnen stirbt innerhalb der ersten 14 Tage im Hospiz. Hausberg und seine Mitarbeiter sind die Begleiter im Schlusskapitel eines Lebens, 1780 Schicksale waren es bislang. Jedes stellt auch sie vor Fragen, manchmal schwere Entscheidungen. Wie viele Wünsche kann man Todkranken noch erfüllen? Wie viel Nähe kann man zulassen?

Wie ein Kloster gestaltet

Viele Gäste sehnten sich erst einmal nach Ruhe, sagt Andreas Hausberg. In einem Hinterzimmer gibt eine Badewanne Massagen im Takt von Musik aus Lautsprechern. Sie haben das Hospiz wie ein Kloster gestaltet, ein quadratischer Gang um ein Atrium. Die Türen sind dort extrabreit. Bei gutem Wetter schieben sie Patienten mit ihrem Bett in den Hof. „Wer später frühstücken will, darf das immer“, sagt eine Mitarbeiterin. In einem Schränkchen bewahren sie Eierlikör und Hochprozentiges auf. Auch rauchen ist erlaubt.

Dörte Metscher hockt auf ihrem Bett, sie trägt eine randlose Brille und kurzes Haar. „Eine Currywurst mit Pommes gönnt man sich schon mal“, sagt sie, dann organisieren die Mitarbeiter das. Sie ringt seit zehn Jahren mit ihrer Krankheit, hat überlegt vor dem Gang in das Hospiz, „weil man da zuerst an ein Pflegeheim denkt“.

Hospiz ist auf Spenden angewiesen

Dörte Metscher war aber immer eine Frau der Tat, Buchhalterin von Beruf, alleinerziehend, über Jahrzehnte. Am Ende, sagt sie, „war es die Entscheidung, die starken Stunden noch damit verbringen zu wollen, die Wäsche oder so etwas zu machen“. Es gab eine Warteliste, aber sie wagte den Schritt.

Ins Hospiz zu gehen, dagegen gibt es noch immer Vorbehalte, bei Betroffenen wie bei Angehörigen. „Als der damalige Vorstandsvorsitzende des Albatinen-Diakoniewerks Fokko ter Haseborg die Idee zu der Einrichtung in Volksdorf hatte, bedeutete das für Albertinen auch ein finanzielles Risiko“, sagt Andreas Hausberg. Per Gesetz erstatten die Krankenkassen nicht die vollen Kosten, die Einrichtung braucht Spenden. „Bislang sind insgesamt 3,2 Millionen Euro aus 19.646 Einzelüberweisungen eingegangen. Dafür sind wir sehr dankbar“, sagt Hausberg. Sein Alltag ist der Versuch, Zahlen und Menschlichkeit zu vereinen.

„Alles, was geht, wird auch gemacht“

Meistens kümmern sich vier Pflegekräfte um die 15 Gäste, sie tragen zivile Kleidung, am frühen Nachmittag reicht die Mitarbeiterin Birgit Severin das Essen an. „Für mich ist dies ein Haus des Lebens, in dem nun einmal auch gestorben wird“, sagt sie bestimmt. Nicht immer kann jeder Wunsch sofort erfüllt werden; der Personalschlüssel in Hospizen ist besser als in anderen Pflegeeinrichtungen, aber auch hier wird es schwieriger, Pflegekräfte zu gewinnen, so Hausberg.

„Aber wirklich alles, was geht, wird auch gemacht.“ Da war ein Gast, der bis in die letzte Zelle seines Körpers HSV-Fan war; eines Tages standen drei der Fußballprofis in seinem Zimmer, es war für ihn ein erhabener Moment. Eine andere Patientin wollte noch einmal nach Helgoland reisen, um die Verstreuung ihrer Asche über der Nordsee vorzubereiten. Kurz nach ihrer Rückkehr starb sie.

Kraft der Psyche

Manchmal scheint die Zeit im Hospiz ein Leben noch etwas zu verlängern, sagt Andreas Hausberg. „Wer in seinem Leben nicht viel Aufmerksamkeit bekommen hat, blüht häufig auf. Es ist erstaunlich, welche Kraft die Psyche haben kann.“ Aber nicht alle Gäste leben noch mit der Klarheit von Dörte Metscher, können ihre Situation richtig einschätzen. „Es kommt vor, dass Gäste viel Krankengymnastik haben wollen, damit sie wieder fit werden und auf die Beine kommen“, sagt Birgit Severin. Sie bekommen dann ihren Willen.

Seelsorger und Ehrenamtliche sprechen zusätzlich mit den Gästen, auch die erwachsenen Söhne von Dörte Metscher sind oft vor Ort; es gibt glückliche Besuche und weniger glückliche. Die Mitarbeiter achten darauf, dass Angehörige nicht rund um die Uhr bei den Gästen sind. Es ist Teil des Prozesses, langsam Abschied zu nehmen.

Einmal im Monat kommt ein Psychologe

Manchmal geht es schnell, sagt Birgit Severin, ein Patient wird aufgenommen und stirbt noch während der Schicht. Fast alle Mitarbeiter sind erfahren, achten auf eine „distanzierte Nähe“, die sie gegenüber den Gästen pflegen. „Natürlich gibt es Schicksale, die wehtun. Wenn etwa Eltern sterben und junge Kinder zurückbleiben“, sagt Birgit Severin. Einmal im Monat kommt ein Psychologe zur Supervision, auch beim Schichtwechsel sprechen sie unter­einander, um die Last tragen zu können.

Wenn ein Leben im Hospiz zu Ende gegangen ist, kleben sie einen Schmetterling an die Zimmertür, um das Gedenken einzuleiten. Es vergehen in der Regel 24 Stunden, ehe ein Zimmer neu belegt wird; bis dahin müssen auch Birgit Severin und ihre Kollegen wieder bereit sein, sich auf einen weiteren, neuen Menschen einzulassen.

Für jeden wird eine Kerze entzündet

Der Verstorbenen gedenken sie wöchentlich in der Kapelle des Hospizes. Für jeden wird eine Kerze entzündet, manchmal sind es nur zwei, manchmal sechs Windlichter. Die Namen werden verlesen, dann gebetet. Dörte Metscher sagt, zum ersten Mal seit Langem habe sie jetzt das Gefühl, dass sie es geschafft hat, ihre Krankheit „aus dem Mittelpunkt“ zu bekommen. Es geht jetzt wieder um sie. Wenn ein anderer Gast stirbt, das Windlicht flackert und eine neue Seite im Kondolenzbuch steht, fragt sie sich selbst noch nach der Zeit, die ihr noch bleibt. „Aber das Gedenken ist auch etwas Gutes“, sagt sie. „Man erinnert sich daran, dass es eine Person wirklich gegeben hat. Dass sie da war.“