Mit der Diagnose eines bösartigen Tumors ändert sich von heute auf morgen alles. Sabine Dinkel weiß selbst am besten, wovon sie redet und worüber sie schreibt. Ein Mutmacher für kranke Menschen
Was soll man zu jemandem sagen, den man irgendwo trifft und von dem man weiß, dass er schwer an Krebs erkrankt ist und daher mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit nicht an Altersschwäche sterben wird? „Häufig steht dann ein großer Elefant im Raum, aber der wird ganz bewusst übersehen – totgeschwiegen“, sagt Sabine Dinkel (51). Sie weiß um diese Sprachlosigkeit, denn sie hat Krebs. Sie kennt aber auch die Alternative, diese schrecklichen Floskeln wie „Du musst einfach positiv denken!“ oder „Du darfst dich jetzt bloß nicht hängen lassen!“ Oder gar der leise Vorwurf: „Warst du denn nicht zur Vorsorge?“ Sabine Dinkel lächelt und tätschelt ihre beiden Basset-Hündinnen Wilma und Frieda, die sich auf dem Ponton des Cafés Entenwerder I schnaufend in der Sonne räkeln. „Abgesehen davon, dass es nicht Vorsorge sondern Früherkennung heißt, haben viele Menschen verständlicherweise Schwierigkeiten, wenn sie mit Krebskranken kommunizieren sollen“, sagt sie, „denn allein beim Wort ‚Krebs‘ kommt doch fast jedem automatisch der Tod in den Sinn.“ Ihr sei es nach der Schock-Diagnose nicht anders ergangen. „So, habe ich gedacht, das war’s dann wohl: Du wirst jetzt früher sterben“, sagt sie. Ihr Mann Alexej fügt hinzu: „O ja, unsere erste Reaktion war schon eine gesunde Portion Verzweiflung.“
Denn Sabine Dinkel hatte ja nicht „irgendeinen Krebs“, sondern ein „Ovarialkarzinom“. Diese tückische Tumorerkrankung der Eierstöcke wird in der Regel erst spät entdeckt, zumeist viel zu spät, da sie zunächst keine größeren Beschwerden verursacht. Selbst in fortgeschrittenen Stadien treten oft nur Symptome auf, die als Anzeichen für harmlose Probleme im Magen-Darmbereich gedeutet werden, wie etwa Verdauungsbeschwerden. Dann hat der Tumor jedoch meistens schon seine Metastasen gestreut, nicht selten bis hinauf in die Lunge.
Die Wertheim-Meigs-Operation wurde bereits 1898 erfunden
Ihrer aufmerksamen Hausärztin war im November 2015 während einer Routineuntersuchung der geschwollene Bauch ihrer Patientin aufgefallen. Sie vermutete eine akute Bauchwassersucht (Aszites) und überwies sie in die Notaufnahme der KMG Klinik in Güstrow. Hierzu sollte man erwähnen, dass Sabine Dinkel, gebürtige Hamburgerin, auf der Uhlenhorst aufgewachsen und ihr Mann Alexej Lachmann, ein selbstständiger Glasermeister, geboren in Bergedorf, zeitweise in ihrem Wochenenddomizil bei Sternberg in Mecklenburg-Vorpommern leben. Mehrere Untersuchungen später hatte sich der Verdacht auf Eierstockkrebs in einem fortgeschrittenen Stadium erhärtet.
Doch einen genauen Aufschluss über den Schweregrad ihrer Erkrankung würde erst ein radikaler Eingriff geben können – die Wertheim-Meigs-Operation, die schon 1898 erfunden wurde und seitdem stetig weiterentwickelt wird. Spätestens von diesem Moment an war im Leben von Sabine Dinkel nichts mehr so, wie es eben noch war. Es gab (und es gibt) nur noch ein einziges Thema.
Dabei hätte die ehemalige Personalreferentin in einem großen Hamburger Unternehmen, die inzwischen fast ein Jahrzehnt als selbstständige Business-Coachin und Existenzgründungs-Beraterin arbeitete, eigentlich die Druckfahnen ihres ersten Buches „Hochsensibel durch den Tag“ (Hannover, 2016) korrigieren müssen. Und sie hätte den großen Haushalt ihrer Eltern weiter auflösen sollen; ihr Vater hatte als Tischler und Restaurator gearbeitet, „doch selbst nach unserem ersten privaten Flohmarkt, der super gelaufen war, sah es noch immer so aus wie in einem Möbelmuseum“, sagt Sabine Dinkel und rutscht auf der Holzbank ein Stückchen aus der Sonne heraus. Ihre Haut ist durch die Chemotherapien sehr empfindlich geworden, sie sieht aus wie Pergamentpapier. „Soll ich mal den Rettungsschirm aufspannen“, fragt Alexej Lachmann.
„Noch geht’s, glaube ich“, entgegnet Sabine Dinkel. Für einen kurzen Moment grinsen sich die beiden an und sehen nun aus wie frisch verliebt. Seit 2001 gehen sie zusammen durchs Leben, durch gute wie auch durch diese schlechten Zeiten. Seit jenem Sonntag, an dem sie sich auf der Eimsbütteler Sillemstraße auf einem Flohmarkt zum ersten Mal begegneten und es ziemlich rasch funkte.
Dann blicken beide wieder zurück in den November 2015, in die KMG Klinik Güstrow. Noch knapp vier Wochen, dann würde man ihren gesamten Bauchraum öffnen, ein senkrechter Schnitt vom Schambein hoch bis unters Brustbein, und wenn sie dann nach acht Stunden Narkose und mindestens 24 Stunden auf der Intensivstation aufwachen würde, dann würde sie endgültig erfahren, wie es wirklich um sie steht.
Nach einer kurzen, aber intensiven Schockstarre nahm Sabine Dinkel entschlossen den Fehdehandschuh auf. „Sie ist eine fröhliche, pragmatisch veranlagte Frau, die schon immer versucht hat, den Problemen des Alltags auch mit Humor zu begegnen“, sagt Alexej Lachmann. Wobei es sich jetzt um eine echte Lebenskrise handele.
„Und er ist jetzt mein solidarischer Fels in der Brandung“, sagt Sabine Dinkel und streichelt sachte seine Hand, „wir versuchen, Kraft aus einer Krise zu schöpfen. Das nenne ich posttraumatisches Wachstum.“
„Aber man muss schon aushalten können“, entgegnet ihr Mann, „man muss vor allem ständig miteinander reden, reden und nochmals reden, selbst wenn es vielleicht mal nichts zu reden gibt.“ Beide wissen, dass eine Krebserkrankung häufig zu einer großen Belastung für eine Beziehung werden kann. Sie kennen inzwischen genügend Paare, in denen es zumeist der gesunde Partner einfach nicht mehr schaffte, mit einem todkranken Menschen an seiner Seite zu leben und deshalb ging. „Einen Vorteil gibt es allerdings auch“, sagt Sabine Dinkel, „wir sind wählerischer geworden und unternehmen nur noch die Dinge, auf die wir gemeinsam richtig Bock haben.“ Aber auch der Freundes- und Bekanntenkreis, verändere sich mit der Krankheit. „Ein paar unserer engsten Freunde sind irgendwie verdunstet, während andere Menschen, von denen wir es so niemals erwartet hätten, plötzlich fest an unserer Seite stehen“, sagt Sabine Dinkel.
Dabei herrschte in dem Moment, als der Krebs sie aus dem Nichts heraus überfiel, an persönlichen Problemen kein Mangel: Ihre Eltern waren kürzlich erst gestorben, kurz nacheinander, ihre Mutter an einem bösartigen Hirntumor, einem Glioblastom. Sie hatte ihre Diagnose um zwei Jahre überlebt „und sie hat es sich in der ganzen Zeit verbeten, über ihre Erkrankung zu sprechen. Ich hatte nicht einmal Zeit, um meine Mutter und dann auch noch um meinen Vater zu trauern“, sagt Sabine Dinkel, die es in den Wochen vor der OP dann irgendwie doch schaffte, ihr erstes Buch final Korrektur zu lesen.
„Parallel habe ich tonnenweise Krebsliteratur verschlungen“, sagt sie, „doch dabei habe ich festgestellt, dass der überwiegende Teil dieser Ratgeber auf mich trostlos wirkte. Die Bücher waren mir entweder zu medizinisch, zu esoterisch oder einfach nur zu betroffenheitsduselig.“ Immerhin fand sie heraus, dass statistisch jede zweite Frau, die an fortgeschrittenem Eierstockkrebs erkrankt, falsch behandelt wird – wohl auch deswegen, weil so mancher „Feld-, Wald- und Wiesen-Chirurg“ die Wertheim-Meigs-OP als persönliche Herausforderung und Bereicherung seines OP-Portfolios betrachten würde, vermutet Sabine Dinkel.
Ihre eigenen Recherchen bestärkten sie darin, sich statt in Güstrow in einem der Onkologischen Spitzenzentren operieren zu lassen, die sich auf Initiative der Deutschen Krebshilfe 2006 zum „Comprehensive Cancer Center-Netzwerk“ (CCC) zusammengeschlossen hatten. Die Synergien dieses Netzwerks sollen helfen, tragfähige Konzepte zu erarbeiten, um die Versorgung der Krebspatienten und die kliniknahe Forschung zu verbessern.
Eine 25-prozentige Chance, die nächsten fünf Jahre zu überleben
„Es ist ein sehr belastender Eingriff für die Patientin“, sagt Barbara Schmalfeldt, die Sabine Dinkel dann Anfang Dezember 2015 im Universitätskrankenhaus Eppendorf operierte, „und es ist von Vorteil, wenn der Chirurg auf diese Operation absolut spezialisiert ist und gemeinsam mit dem Anästhesisten ein erfahrenes Team bildet.“ Während des Eingriffs stellte die Professorin fest, dass die Metastasen des Tumors Sabine Dinkels Bauchhöhle bereits fest im Griff hatten. Zusätzlich zu den Eierstöcken musste die Chirurgin ihre Gebärmutter entfernen, einen Teil des Dickdarms, die Milz sowie Binde- und Fettgewebe des Bauchfells einschließlich aller Lymphbahnen und Becken-Lymphknoten.
Wenig später wusste Sabine Dinkel, wo sie stand. „FIGO IIIc“ lautete die Klassifizierung nach den internationalen Richtlinien der „Fédération Internationale de Gynécologie et d’Obstétrique“, und das verhieß nichts Gutes, sondern bloß eine 25-prozentige Chance, die nächsten fünf Jahre zu überleben. „Aber ich habe dann zum Glück sehr gut auf die Chemo reagiert. Ein Jahr war ich sogar völlig Metastasen-frei, aber dann ist ‚Schnieptröte‘ wiedergekommen. Jetzt habe ich die zweite Chemo hinter mich gebracht, und es sieht im Moment ganz gut aus, aber man weiß ja nie ...“
„Schnieptröte“ hat Sabine Dinkel ihren Krebs getauft, und die kraftraubende Chemotherapie nennt sie „Schorle“. Als während ihrer Reha der Verlag anrief, um sie – wegen des Erfolgs ihres ersten Buchs zu einem zweiten Buch zu überreden - entschloss Sabine Dinkel sich, keinen weiteren Ratgeber für hochsensible Menschen zu schreiben, sondern ein „Mutmach-Buch“ für krebskranke Menschen wie sie und deren gesamtes Umfeld.
Dabei herausgekommen ist ein ebenso fundiertes, wie auch unterhaltsames, nicht selten sogar lustiges Werk mit dem etwas makabren Titel „Krebs ist, wenn man trotzdem lacht“. Darin schildert Sabine Dinkel all ihre persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse vom Leben mit Krebs; sie tut dies jedoch auf eine spielerische Weise, mit frechen Karikaturen, Grafiken und vor allem zahlreichen lebensnahen und handfesten Tipps, die es ihren Schicksalsgenossinnen – sowie deren Angehörigen, Freunden und Kollegen – ermöglichen sollen, das Gute im Schlechten zu entdecken.
„Niemand spricht gern über diese Krankheit, an der so viele Patientinnen häufig schnell sterben“, sagt Ärztin Barbara Schmalfeldt, „dabei wäre es für die betroffenen Frauen so wichtig, dass ein Bewusstsein entsteht – und Sabine Dinkels realistische Sicht der Dinge hilft dabei sehr nachhaltig.“ Ihre Patientin nenne halt die Dinge beim Namen, und das unterscheide dieses Krebsbuch von den vielen anderen, lobt die Hamburger Professorin.
Es geht ihr darum,Erkrankte zu motivieren
Es seien häufig ja bloß die Kleinigkeiten, die einem Krebskranken ein Stück Lebensqualität zurückgeben können, sagt Sabine Dinkel, die mittlerweile auch die Ovarialkarzinom-Selbsthilfegruppe am UKE mitorganisiert. „Selbst wenn man sich ständig mit dem eigenen, vorzeitigen Lebensende konfrontiert sieht, sollte man sich zum Beispiel ruhig mal etwas gönnen – so wie ich mir gerade dieses blaue Kleid gekauft habe.“ Sie schaut an sich hinunter und lächelt absichtlich ein wenig kokett. „Aber es hilft enorm, auch in dieser Extremsituation ganz bewusst auf sich selbst zu achten – und das kann man lernen.“ Am besten funktioniere das mit Humor.
Es geht ihr aber auch darum, Erkrankte dahingehend zu motivieren, während der Untersuchungen den Ärzten die richtigen Fragen zu stellen. Oder wie und warum sie sich professionelle psychologische Hilfe holen sollten oder wie die bereits erwähnte Sprachlosigkeit überwunden werden kann: „Pietätvolles Schweigen ist für Krebskranke richtig schlimm“, sagt Sabine Dinkel. Sie empfiehlt deshalb allen Sprachlosen, „es lieber offen und ehrlich zuzugeben, wenn sie mit der Situation nicht zurechtkommen oder bloß mal zu fragen ‚Macht es dir was aus, über deine Krankheit zu reden?‘“ Daraus, meint sie, entwickelten sich häufig Gespräche, bei denen plötzlich selbst der Tod nicht mehr unbedingt ausgeklammert werde.
Sie selbst habe sich für die größte Gemeinheit des Lebens bereits das Hospiz in Harburg ausgesucht, denn dort seien ihre beiden Hündinnen Wilma und Frieda auch als Übernachtungsgäste willkommen. Noch aber sei es ja nicht so weit. „Die Situation ist ergebnisoffen, aber zu Hause will ich auf keinen Fall sterben“, sagt Sabine Dinkel, „nein, das möchte ich Alexej nicht antun. Und wenn es doch irgendwann einmal geschehen sollte, ist es mein letzter Wille, dass die Trauergäste in bunten Ringel-
T-Shirts an meinem Grab erscheinen. Sie sollen natürlich auch um mich trauern, sie dürfen auch weinen, aber hinterher sollen sie ein krachendes Fest feiern – für meinen Mann.“