Hamburg. Sie war drei Wochen alt war, als bei ihr Blutkrebs diagnostiziert wurde. Alleine in Hamburg ließen Tausende Menschen ihr Blut testen.

Manchmal, so sagt man, hinterlassen die kleinsten Füße die größten Spuren. Es ist einer dieser Kalendersprüche. So oft gehört, gelesen, doch noch nie so empfunden wie jetzt. Jetzt, in diesem Moment, in dem ich über Helene schreibe. Die gerade mal drei Wochen alt war, als bei ihr Blutkrebs diagnostiziert wurde – und die eine der größten Typisierungaktionen auslöste, die es je gab. Alleine in Hamburg ließen Tausende Menschen ihr Blut testen, um Helenes Leben zu retten. Bundesweit waren es mehr als 20.000. Denn ohne eine Knochenmarkspende, das wussten alle, würde Helene sterben.

Fast zehn Jahre ist es jetzt her, dass ich Helenes Geschichte für das Abendblatt aufgeschrieben habe. Zehn Jahre voller anderer Geschichten, Schicksale, Menschen. Doch nie wieder hat mich jemand so bewegt wie dieses Baby. Helene war für mich nie nur eine Geschichte, die zu recherchieren war. Nie irgendein Artikel oder ein Auftrag. Helene war eine Aufgabe, eine Mission.

Ich wollte sie retten

Ich wollte nicht einfach nur über sie berichten, sondern sie retten. Mit meinen Worten möglichst viele Menschen bewegen und überzeugen, sich testen zu lassen. Damit ein passender Spender gefunden wird. Die Vorstellung, dass Baby Helene stirbt, dass ihr Leben endet, bevor es richtig begonnen hat, war unerträglich. Denn ich war damals selbst gerade schwanger und erwartete mein erstes Baby. Undenkbar, ein Kind zu verlieren.

Die Anteilnahme der Hamburger war überwältigend! Als die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) eine Typisierungsaktion in der Bucerius Law School veranstaltete, rechnete man dort mit ein paar Hundert, vielleicht 1000 Spendern. Zu groß sei die Anonymität in Großstädten wie Hamburg. Glaubte man. Am Ende des Tages, dem 13. Februar 2009, waren es schon fast 6000. Doch die Wahrscheinlichkeit, einen geeigneten Spender zu finden, war gering, lag gerade bei eins zu einer Million.

Monatelanger Kampf

Trotzdem – oder gerade deswegen: Hamburg hoffte auf ein Wunder. Ein Wunder für Helene. Dass dies dann ausgerechnet zu Ostern geschah, ist bis heute unglaublich. Ostern, als Jesus laut Überlieferung von den Toten auferstand und eines der größten Wunder der Menschheit geschah. Heute unvorstellbar. Genauso unvorstellbar wie die Chance, dass für Helene ein passender Spender gefunden wurde.

Was für ein schönes Ende für diese Geschichte! Konnte man denken. Doch Helenes Geschichte war nicht zu Ende. Denn ihr kleiner Körper war nach dem monatelangen Kampf gegen die Krankheit und den Tod so geschwächt, dass es ihr auch nach der Transplantation immer wieder schlecht ging.

„Ich schicke Ihnen Helene als Engel“

Irgendwann, als sie sich nur noch erbrach, musste sie erneut ins Krankenhaus. Weil es auf der Kinderonkologie kein freies Bett mehr gab, kam sie auf die normale Kinderstation. Drei Tage später wurde sie auf die Intensivstation verlegt. Am späten Nachmittag, nachdem Helenes Herz viele Stunden mit 200 Schlägen pro Minute gegen den Tod gekämpft hatte, gab es irgendwann auf. Helene stirbt, vermutlich an einer Lungenentzündung. Sie war noch nicht einmal zehn Monate alt. Es ist der 7. September 2009. „Die Zeit mit Helene war die schönste Zeit in unserem Leben. So schwer diese Zeit auch war, wir sind unendlich dankbar, sie erlebt zu haben“, schreiben Helenes Eltern Marisa und Johannes Nöldeke damals auf ihrer Internetseite.

Als die Nachricht von Helenes Tod öffentlich wurde, war ich bereits im Mutterschutz. Den letzten Artikel über Helene schreibt eine Kollegin. Zwei Wochen später wurde meine Tochter geboren. Sie musste acht Wochen im Krankenhaus bleiben. In dieser Zeit schrieb mir Helenes Mutter eine Nachricht. „Ich schicke Ihnen Helene als Engel, damit sie auf Ihre Tochter aufpasst.“

Verein „Helenes Helfer“ gegründet

Bis heute berühren mich diese Zeilen und Helenes Geschichte mehr, als ich es in Worte fassen kann. Helene, dieses winzige Wesen mit den großen Fußspuren. Sie hat in noch nicht einmal zehn Monaten Lebenszeit mehr bewegt als andere Menschen in 70 oder 80 Jahren. Aus den Typisierungsaktionen der Deutschen Knochenmarkspenderdatei für Helene sind bis heute fünf Stammzellspender für andere Krebspatienten hervorgegangen. Bereits kurz nach Helenes Tod haben ihre Eltern den Verein „Helenes Helfer“ gegründet, der sich für Kinder engagiert, die wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Probleme kein unbeschwertes Leben führen können.

Mit mehr als 240.000 Euro aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden wurden Kinder in schweren Lebenssituationen unterstützt. „Wir wollen den betroffenen Kindern ein Stück Lebensfreude geben“, sagt Marisa Nöldeke. Sie lebt inzwischen in Berlin. Ihren Beruf an der Hamburger Bucerius Law School als Juniorprofessorin hat sie aufgegeben und Maschenfein gegründet: einen Strickblog und Strickshop.

Eineinhalb Jahre nach Helenes Tod wurde ihre Tochter geboren, drei Jahre später ihr Sohn. Vor ein paar Monaten ist noch ein Nesthäkchen hinzugekommen. Mit Downsyndrom. Manchmal wird Marisa gefragt, wie viele Kinder sie hat. Dann sagt sie: drei. Auf dieser Welt. Aber im Himmel gibt es noch ein viertes. Helene!

Wer den Verein finanziell unterstützen möchte: Helenes Helfer e.V., IBAN: DE58100700240713090900.