Wie aus einem kleinen Modell Hamburgs neues Wahrzeichen entstand – und wie eng ein Kritiker an der Elbphilharmonie-Werdung dran war.
Es fing alles ganz harmlos an. Ich wollte diesen Projektentwickler und seine Frau für ein Hintergrundgespräch treffen, weil sie sonderbare Ideen für ein neues Konzerthaus haben sollten, hieß es. Die beiden seien gerade hinter den Kulissen der Kulturszene unterwegs, um sich dafür Rückenwind zu organisieren, hieß es. Gehe ich doch mal hin, dachte ich mir. Gegen Ende des letzten Jahrtausends war das. Als es im Hamburger Musikleben einzig die gute, aber alte Laeiszhalle gab und einige halbherzige Konzepte erst aufgetaucht und danach wieder abgeschmiert waren, um diese Misere eines tollen, aber überlasteten, mit sich alleingelassenen Konzerthauses zu verbessern.
Der Kulturbehörde schien das Rein und Raus im neobarocken Klassik-Schmuckstück damals eher egal zu sein. Geht doch auch so. Programmatische Profilierung? Geht auch ohne.
Und dann, beim ersten Treffen mit Jana Marko und Alexander Gérard, stand da dieses Modell, unten Holz und oben eine halbtransparente Plastik-Welle, auf deren Wohnzimmertisch. „Donnerschlag…“ war meine spontane Reaktion. Von diesem Zeitpunkt an, die ersten Artikel kamen später, war zumindest für mich klar: Das kommt. Das klappt. Das wird groß, großartig, historisch. Hamburg wird sich verändern müssen.
Der Kaispeicher-Klotz war eigentlich nutzlos
Wann, wie und für welchen Endpreis, das stellte sich später heraus, durchaus schmerzhaft; einige Bürgermeister, Kultursenatoren, Nachträge und Untersuchungsausschüsse später. Doch dass aus diesem Plan mit einem vermeintlich nutzlosen Kaispeicher-Klotz schräg gegenüber der U-Bahn-Station Baumwall nichts werden würde, kam mir nie in den Sinn. Warum auch?
Gérard und Marko hatten Tolles vor, sie dachten radikal und visionär. Das war nicht das ortsübliche gediegene Mittelmaß, in dem manche es sich hier so kuschlig und ideenfrei eingerichtet hatten. Jetzt wurde, endlich einmal, groß nach vorn gedacht. Außerdem: Die beiden hatten mit Jacques Herzog und Pierre de Meuron zwei der besten Architekten der Welt im Boot. Diese haben das Tate Modern Museum in London realisiert, nicht irgendein austauschbares Liegenschaftsamt für Paderborn. Stars. Künstler. Profis. Ich liebe Profis. Die wissen, was sie wollen - und was nicht - und wie es geht. Die ziehen das durch. Wer jetzt „Ohne Rücksicht auf Verluste!“ dazwischenrufen und zu Recht wütend auf Rechnungs-Berge in neunstelliger Höhe zeigen möchte, kann das gern tun. Aber: dennoch.
Elbphilharmonie – ein feuchter Traum für den Kritiker
Nach und nach wurde das Thema Elbphilharmonie immer größer. Ein Traum für den Musikwissenschaftler in mir. Ich traf die Architekten für das erste von vielen Gesprächen in Berlin, ganz in der Nähe der Philharmonie. Schrieb, um aus etlichen Perspektiven zu erklären, was ein neues Konzerthaus ist, kann, soll, bedeutet, auslöst, verändert, bewegt, verlangt. Und sonst noch? Gegenwind, aus vielen Richtungen.
Apokalyptische Pressekonferenzen, Jammern, stundenlange Schuldzuweisungen, jeder gegen jeden. Köpfe rollten, einige verdient. Aber auch enorm horizonterweiternde Reportage-Reisen durch Europa, in wichtige Konzertsäle, zu Intendanten aller Gewichtsklassen, bis nach Los Angeles, um zu berichten, was in dieser Liga passiert.
Die Glasfassade im Windkanal
In einem Örtchen in Franken führte man uns mit einem Flugzeugmotor die Sturmböenfestigkeit der Glasfassade vor. In einer Hamburger Lagerhalle besuchten wir die gut verpackten Einzelteile der Weißen Haut. In Kalifornien fuhr ich zu einem futuristischen Weingut, das Herzog & de Meuron in die sanften Hügel eingegraben hatten. In Wien traf ich einen gewissen Christoph Lieben-Seutter, der das dortige Konzerthaus leitete. Die Puzzle-Teile fügten sich zusammen.
Und sonst so? Wegen einer der wichtigen Abstimmungen in der Bürgerschaft wurde ich für eine Stunde auf der Pressetribüne aus dem Urlaub geholt. Stundenlanges, fassungsloses Staunen bei Sitzungen der Untersuchungsausschüsse. Im Laufe de Jahre passierten mehr Baustellenbesuche, als ich zählen kann, nach wie vor verspüre ich Phantomschmerzen, weil man seit Ende 2016 weder Gummistiefel noch Bauhelm für das Betreten der Elbphilharmonie benötigt. Das Hineingraben in Kosten- und Baudetails mit zwei Kollegen für unser „Wunschkonzert“-Dossier sollte Ende 2013 so nervenaufreibend wie toll sein, weil es fast so komplex war wie das Gebäude.
Baustopp: Zappenduster für die Elbphilharmonie
Auf die Euphorie der ersten Jahre waren die Durststrecken, die Probleme, Hohn und Spott und Kostenexplosionen gefolgt. Zappendustere Jahre, Baustopp. Katastrophe. Das Thema war giftig geworden. Das war nicht schön, sehr untertrieben formuliert. Erst, endlich, mit der Neuordnung der Verträge und dem letzten, mächtigen Preisanstieg begann das Happy End. Der tragischste Moment: jener Tag im Oktober 2016, als ein Anruf aus der Redaktion kam und ich buchstäblich ins Rathaus rannte: Kultursenatorin Barbara Kisseler, ohne die es die Elbphilharmonie nicht geben würde, war tatsächlich gestorben; der Krebs war am Ende noch stärker gewesen als sie.
Der schönste Moment – nach gut anderthalb Jahrzehnten Arbeit ohne, wegen, trotz und dann mit Elbphilharmonie — war ausgerechnet einer, über den ich erst viel später schreiben durfte: ein Probenbesuch im Großen Saal, beim NDR-Orchester, Wochen vor der Eröffnung. Und seit dem 11. Januar 2017 ist die Adresse „Platz der Deutschen Einheit 1“ in meiner Taxi-App gespeichert. Unter „Favoriten“.