Hamburg. Als Sportfotograf fängt man nicht nur Action ein – manchmal trifft sie einen auch. Ein Blick hinter die Kulissen und in die Geschichte.
Beim Fotografieren macht es „Klick“. Als der Tennisball mit 198 Kilometern pro Stunde auf ihr linkes Auge prallte, verspürte Valeria Witters ein ungewohntes „Knack“. Petr Korda, ein tschechischer Weltklassespieler, hatte seinen Aufschlag bei den French Open 1993 in Paris nicht ins Feld, sondern genau in das Gesicht der Hamburger Fotografin gebracht. Spiel, Satz und Krankenhaus. Verdacht auf Knochenbrüche, Haarriss im Jochbein – der Aufenthalt in der Klinik Notre-Dame war schmerzvoll. Fast genauso schlimm war für die im Gesicht übel gezeichnete Valeria Witters die Häme. „Und du bist sicher, dass du Tennis fotografiert hast, nicht Boxen?“
Vom „magischen Auge“ ist bei professionellen Bildberichterstattern häufig die Rede. Dass Sportfotografie auch ins Auge gehen kann, wissen nur Insider. Oft liegen nur Millimeter zwischen „Klick“ und „Knack“. In 50 Jahren Geschichte der Agentur Witters haben Gründer Wilfried Witters, seine Tochter oder die heute acht Mitarbeiter und die Partner in aller Welt den Sport in den Fokus genommen, bevor es „Klick“ machte.
Der junge Andy Brehme wurde zum deutschen Fußball-Helden
Aus Alsterdorf ist Wilfried Witters, heute 81, zum Sportplatz von Barmbek-Uhlenhorst gefahren, um ein Talent namens Andreas Brehme zu fotografieren und dessen ambitionierten Vater Bernd. Zum Hockey, zum HSV an den Rothenbaum, nach Flottbek oder Horn zum Derby, zu Fußball-Weltmeisterschaften, zu Olympia. Witters gehört mit nicht einmal einer Handvoll anderer zu den Begründern der modernen deutschen Sportfotografie. Er lieferte Bilder an alle Magazine, alle Zeitungen, Fernsehsender und heute natürlich auch Internetportale.
Seine Frau Christa musste früher die unentwickelten Filme vom Flughafen abholen und die Agentur managen, wenn er in Südamerika Fußball fotografierte und die Redaktionen nach Bildern riefen. Tochter Valeria veröffentlichte ihr erstes Sportfoto in einer Zeitung, da war sie neun. Was sie mal werden wollte, musste ihr Vater nie fragen.
Fotografen erarbeiten sich ihr "gutes Auge"
Im Volksparkstadion, wo sie seit Jahrzehnten den HSV fotografiert, wurde Valeria Witters nebenbei zur Fußball-Expertin. Näher dran an den Spielern als sie waren nur Trainer und Betreuer. Legionen von kleinen und großen Stars, Blendern und Ball-Irren kamen und gingen. Die Fotografin erarbeitete sich buchstäblich ihr gutes Auge für das Wesen des Spiels. Sie sieht die matte Körpersprache ausgelaugter Profis als Erste, sie spürt, wenn das Spiel sich dreht. Und sie sah und sagte ganz früh: „Fiete Arp? Das wird einer!“
Als Profi-Beobachter soll man leidenschaftslos sein. „Die Kamera ist ein Schutz. Denn ich muss mich stark konzentrieren.“ Beim Abstieg jedoch hat sie eine Träne verdrückt. Aber das Drama wie in den Relegationsspielen – das wollte sie auch nicht mehr erleben. „Das hat Nerven gekostet in Fürth und in Karlsruhe.“
Und da Bilder von jubelnden HSV-Spielern immer besser bei den Redaktionen ankommen, fotografiert Valeria Witters bei Heimspielen in der ersten Halbzeit an der Südtribüne, in der zweiten an der Nordtribüne. Dort sollen die HSV-Stürmer treffen. Klappt nur, wenn die Platzwahl entsprechend aufgeht – und die Mannschaft gut drauf ist.
Reicht der 36-er Film?
Früher hatten Fotografen Sorge, dass der 36-er-Film nicht reicht, wenn plötzlich auf dem Platz Tolles passiert. „Da hat man vorsichtshalber nach 30 Bildern den Film gewechselt.“ Acht bis zehn Filme pro Bundesligaspiel hat sie verschossen, rund 300 Fotos.
Heute schießt ihre Kamera bis zu zwölf Fotos pro Sekunde, ein Bundesligaspiel bringt schnell 2500 Bilder. Und die werden nicht entwickelt und einen Tag später in die Redaktion getragen oder nach dem Spiel per Telefon gesendet, sondern zum Teil direkt aus der Kamera in die Redaktionssysteme weltweit geschickt.
Als Fotograf "embedded"
Immer besser, immer schneller, immer hektischer – aber Valeria Witters muss nach wie vor an der Rasenlinie sitzen, schwitzen, bibbern oder sich einschneien lassen wie bei Olympia 1994 in Lillehammer, als sie bei minus 25 Grad stundenlang warten musste, ehe das Rennen doch noch gestartet wurde.
Als Fotograf war man Anfang der Siebzigerjahre zum Teil „embedded“, wie das heute heißt. Wilfried Witters fuhr mehrfach im HSV-Bus mit. Und erlebte Schreckliches, als der Mannschaftsbus beim Europapokalspiel in Porto angegriffen und erheblich beschädigt wurde. Immerhin: Er hatte die Bilder. Nur ist die Paparazzi-Berichterstattung, die Fotografen immer wieder vorgeworfen wird, überhaupt nicht das Metier der Agentur Witters. Als Ditmar Jakobs sich mit dem Rücken in einem Tornetzhaken des Volksparkstadions verfing, ließen die Bildberichterstatter die Helfer ihre Arbeit tun. Witters schickte aktuell nur Fotos von Jakobs, wie er Richtung Tor lief.
Die Allüren der HSV-Trainer
Auf der anderen Seite wollen heute Manager, Berater und Funktionäre die Sportler immer weiter abschotten. Ein früherer HSV-Trainer sagte mal zum Witters-Fotografen Tim Groothuis an einem sonnigen Tag im Wintertrainingslager in Dubai, die Spieler würden sich beim Aufwärmen gestört fühlen, wenn er etwa zehn Meter entfernt in einer Ecke stehe und fotografiere. Ein Profi? Der vor 50.000 schreienden Fans konzentrierte Höchstleistung abrufen muss? Gestört beim alltäglichen Dehnen von einem stillen Fotografen? Bei Trainern liegen schnell die Nerven blank, wenn’s mal nicht läuft.
Die Sportler selbst, ob Kreis- oder Weltklasse, haben Witters und Co. schätzen gelernt. Viele bitten um Bilder für ihre Instagram-Accounts. Mit Weltklasse-Hockeyspielern wie „Büdi“ Blunck oder „Mo“ Fürste ist man längst per Du. Als Vitali und Wladimir Klitschko 1996 neu in Hamburg waren, kamen sie aus dem zerfallenden Reich der Finsternis namens Sowjetunion und fragten die Journalisten mehr, als die Fragen an sie hatten. Sie dürsteten nicht nur nach Erfolg, sondern nach allem Aufregenden in ihrer neuen Welt. Fotos am Ring, an Hamburger Wahrzeichen, im Studio, im Umkleideraum, zu Hause auf der Couch – alles willkommene Abwechslung vom harten Training.
Hollywood: Fotoshooting mit Wladimir Klitschko
Als Wladimir Klitschko neben George Clooney, Brad Pitt und Julia Roberts schauspielern sollte („Ocean’s Eleven“), verlangte Regisseur Steven Soderbergh ein Foto von ihm für ein Plakat, das genauen Vorgaben entsprechen musste. Stundenlang arbeitete Valeria Witters mit dem aufstrebenden Schwergewichtler, bis die Bilder waren, wie Hollywood sich das vorstellte.
Als Fotografin in diesem Metier braucht man neben Können und Geschick vor allem gute Nerven. Bisweilen helfen Reporterglück und das richtige Näschen. Wenn sich Aaron Hunt entschließt, beim Torjubel mit Lewis Holtby und Fiete Arp nach links abzudrehen, dann muss ein Witters-Fotograf dort sitzen. Fällt einer wie Nicolai Müller nach dem ersten Torjubel der Saison fast ein Jahr für den HSV aus, sollte auch das auf einem Foto-Chip dokumentiert werden können.
In die Fotografin gerutscht: Martin Driller entschuldigt sich
Seit 50 Jahren hat die Agentur alle Termine peinlich genau archiviert. Auch wenn manche CD oder alte Datenträger nur von Uralt-Computern ausgelesen werden können, die noch am Leben gehalten werden, kann Witters mit seinem digitalen Archiv von gut 1,3 Millionen Bildern wuchern. Hinzu kommen mehrere Millionen Dias und Negative.
Die Technik hat sich verändert, die Spieler wandeln sich. „Der Fußball ist noch athletischer und turboschnell geworden“, sagt Valeria Witters. Es ist auch mehr Aggressivität im Spiel. Gut für das Foto, für die Fotografen schlecht. Bei einem Pokalspiel ist St. Paulis Martin Driller mal mit den Stollen zuerst in sie reingerutscht: Verdacht auf Milzriss. Die Kameras lagen mit auf dem Operationstisch im Krankenhaus. Anders als Petr Korda hat sich Martin Driller entschuldigt.