Hamburg . Auch der zweite Auftritt vor den Investoren blieb ohne Deal für die Hamburger – das heißt aber nicht, dass sie keinen Erfolg hätten.
Als alles vorbei und die große Hoffnung zerplatzt ist, da verrät der Gesichtsausdruck von Annemarie Heyl tiefe Enttäuschung. Heute, sechs Monate nachdem der zweite Auftritt der Hamburger Start-up-Gründerin in der Investorenshow „Die Höhle der Löwen“ aufgezeichnet wurde, kann sie ziemlich entspannt erzählen, wie es ihr dabei ergangen ist. „Dann bin ich jetzt eben die Zweite, die zwei Mal da war und zwei Mal keinen Deal bekommen hat“, sagt sie – und lacht. 2016 ist es ihr und den beiden Mitgründern von Kale & Me, des Hamburger Herstellers von kaltgepresstem Obst- und Gemüsesäften, so ergangen. Jetzt als eine Art Teilhaberin der Mega Lecka GmbH schon wieder.
Lehrreicher Besuch in der "Höhle"
Und auch Brando Valencia, der Mann, der von Anfang an hinter dem Unternehmen und seinem einzigen Produkt steht, nimmt den Misserfolg in der Höhle mittlerweile recht gelassen. „Es hätte uns natürlich geholfen, wenn einer der Löwen eingestiegen wäre. Aber der Pitch war in jedem Fall nett, anregend und lehrreich“, sagt er.
Was genau geschah, warum die meisten der Löwen begeistert waren, aber letztlich doch kein Geld in Unternehmensanteile investieren wollten, war am Dienstagabend im TV-Sender Vox zu sehen.
Einige Tage vorher sitzen Annemarie Heyl und Brando Valencia im Gemeinschaftsbüro von Kale & Me und Mega Lecka im fünften Stock eines Altbaus am Hafenrand. Durch ein rundes Fenster fällt der Blick auf die Elbe. Vor den beiden steht auf einem hölzernen Konferenztisch das Produkt, um das sich bei Mega Lecka alles dreht: Fünf Gläschen mit Metalldeckel. Auf dem Etikett steht Chia-Bowl.
Pudding aus Fruchtsaft mit Samen
Chia, das sind die Samen einer in Südamerika wachsenden Pflanze, denen allerlei gesundheitsfördernde Eigenschaften nachgesagt werden und die im Zuge der Superfood-Euphorie eine erstaunliche Karriere gemacht haben. Selbst bei Rewe liegen in der Selbstbedienungstheke seit geraumer Zeit aufgebackenes Chia-Brot und -Brötchen. Bowl, das ist englisch und heißt Schüssel, ist in der Food-Szene aber das geradezu inflationär genutzte Synonym für ein kleines Frühstücks-Fertiggericht. Diese Chia-Bowl – eine Art Pudding aus Fruchtsaft mit Samen – kann man pur weglöffeln, in Joghurt und Müsli mischen oder aufs Brot schmieren. Ein Glas kostet knapp drei Euro.
Brando Valencia sagt, seine Chia-Bowls seien die einzigen, die im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel im Sortiment sind. Genaugenommen sind es zu diesem Zeitpunkt bundesweit knapp 80 Supermärkte, die die Chia-Bowls verkaufen. In Hamburg gehören unter anderem die für innovative Produkte aus Food-Start-ups besonders aufgeschlossenen Edeka-Märkte von Niemerszein und Struve sowie das Rewe-Center Stanislawski und Laas dazu. Bei knapp 80 Supermärkten wird es nicht bleiben. Aber dazu später mehr.
Die Geschichte von Brando Valencia und Annemarie Heyl, von Mega Lecka, Kale & Me und den Chia-Bowls ist abendfüllend. Die Kurzfassung geht so: Brando, gelernter Außenhandelskaufmann, Vertriebsexperte und überzeugter Vegetarier, verkauft nach seinem 30. Geburtstag alles, was er in Hamburg besitzt und geht auf eine monatelange Reise bis nach Australien, arbeitet dort in der Gastronomie, übernimmt spontan ein kleines Café in Sydney und setzt unter anderem eine aus Fruchtsäften und Chia selbst gekochte Bowl auf die Karte.
Idee aus Australien
Doch die Einnahmen reichen nicht, um den Plan von einem zweiten Café zu realisieren, er hat seine Familie seit drei Jahren nicht gesehen, das Visum wird zum Problem. Nach acht Monaten macht er Schluss in Sydney, kehrt nach Hamburg zurück, heuert im Herbst 2016 als Vertriebler bei Kale & Me an. Das Saft-Start-up hat zwar in der Höhle der Löwen keinen Deal gemacht, wächst aber trotzdem stark. Nach einem Jahr fährt Brando sein Engagement bei Kale & Me zurück, ist zeitweise freiberuflich für das Start-up tätig, weil er endlich sein eigenes Ding, sein eigenes Produkt machen will: die Chia-Bowls.
Die ersten kocht er in haushaltsüblichen Töpfen in einer Eimsbütteler Wohnung, als die Nachfrage steigt, rührt er an Wochenenden in 80-Liter-Bottichen in der dann leerstehenden Küche einer Hamburger Tagespflegestätte. Es gibt fünf Geschmacksvarianten: Himbeer-Minze, Erdbeer-Vanille, Banane-Kurkuma, Apfel-Aronia, Apfel-Zimt – allesamt vegan, aus Bio-Rohstoffen, keine Geschmacksverstärker und Konservierungsstoffe, kein Zuckerzusatz. Die ersten Bowls kommen im Oktober 2017 in den Handel, ein 180-Gramm-Glas enthält zwischen 26 und 29 Gramm Chia-Samen. Das ist ein Fehler, wie sich später zeigen wird.
Der Kontakt zwischen dem Einzelkämpfer und Kale & Me bleibt die ganze Zeit bestehen, man hilft sich, gibt Tipps, gründet schließlich ein Joint Venture. 50 Prozent der Anteile an der Mega Lecka GmbH gehören Valencia, 50 Prozent gehören Kale & Me. Das ist im Februar 2018. Als Brando und Heyl zwei Monate später bei der Aufzeichnung den Löwen in der Höhle gegenübertreten, soll sich das – eigentlich – schon wieder ändern. Zehn Prozent der Anteile sind die Gründer bereit abzugeben. Für 150.000 Euro.
Doch während der Präsentation im Aufnahmestudio zeigt sich, dass Mega Lecka zwar vieles ziemlich richtig, aber manches auch falsch gemacht hat. „Alle fanden es lecker, es gab viel Lob für das Produkt und das Team. Ich glaube, ich bin zwischendurch sogar ein bisschen rot geworden“, erinnert sich Annemarie Heyl. Für sie und Valencia überraschend aber haben die potenziellen Investoren zunächst ganz grundsätzliche Bedenken: Wenn Kale & Me ohnehin schon eine Art Mutterunternehmen ist, das Mega Lecka unterstützt und an die Hand nimmt – welche Rolle soll dann der Investor in einem neuen Dreierbündnis übernehmen? „Wir hatten überhaupt nicht bedacht, dass das ein Problem sein könnte“, gibt Heyl ganz offen zu.
Weil der Deal zu scheitern droht, machen Valencia und sie spontan ein neues Angebot: 20 Prozent für 150.000 Euro. Dafür müssen die beiden aber erstmal telefonisch das Einverständnis der beiden anderen Kale & Me-Mitgründer einholen. Sie werden sich einig: Valencia soll 45, Kale & Me 35 Prozent behalten.
Chia ist zu viel enthalten
Doch während hinter den Kulissen die Beratungen der Gründer laufen, entdecken die Löwen im Studio den entscheidenden Makel des Produkts: Es ist zu viel Chia drin. Laut der sogenannten Novel Food-Verordnung der EU wird empfohlen, nicht mehr als 15 Gramm der Samen pro Tag zu essen. Ein Glas aber enthält fast die doppelte Menge. Ein Glas, eine Portion – diese Gleichung geht also nicht auf. Kein Deal für die Chia-Bowls, schon wieder kein Deal für Annemarie Heyl.
Sechs Monate später und wenige Tage vor der Sendung sagt sie: „Ich würde jederzeit wieder in die Höhle gehen.“ Brando Valencias Chia-Bowls sind mittlerweile ein anderes Produkt – auch wegen der Kritik der Löwen. Jetzt sind 200 Gramm in einem Glas, die Preisempfehlung (2,99 Euro) unverändert. Der Chia-Anteil wurde auf die empfohlene Tageshöchstdosis von 15 Gramm reduziert, stattdessen sind jetzt auch Lein- und Basilikumsamen drin.
30.000 Gläser geordert
„Etwa 2000 Gläser pro Woche“, liefert Valencia pro Woche an den Handel aus, sagt er. Noch vor ein paar Monaten war es nur ein Drittel davon. Produzieren lässt er inzwischen von zwei Herstellern in Hamburg. Sie haben vorproduziert, damit die nach der Sendung erfahrungsgemäß große Nachfrage im Onlineshop (www.chia-bowl.de) gedeckt werden kann. Außerdem: Rewe hat kurzfristig knapp 30.000 Gläser geordert, damit die Regale am ersten Verkaufstag nach der Sendung gut gefüllt sind und weitere Märkte die Bowls ins Sortiment nehmen können. Budni wird künftig in einem Teil seiner gut 180 Filialen die Bowls verkaufen. Valencia weiß schon jetzt, dass sein Produkt bald in sehr viel mehr Super- und Drogeriemärkten gelistet sein wird. Am Jahresende könnten es tausend sein, schätzt er.