Hamburg . Die Show „Evolution“ begeistert das Publikum, sorgt aber für Unmut bei Tierschützern. Für eine Darbietung gab es Standing Ovations.
Ist er so unsicher, oder tut er nur so? Das, was Crazy Wilson dort oben in vier Metern Höhe auf dem Todesrad macht, ist so spannend, dass viele Zuschauer gar nicht hinsehen können. Der kolumbianische Artist läuft auf dem sich drehenden Rad im Harley-Davidson-Design herum, hüpft und springt übers Seil. Es ist das Comeback des verrückten Wilson und sein erster Auftritt nach seinem schweren Unfall im Mai während einer Vorstellung in München.
Nein, mehr Nervenkitzel geht wirklich nicht. Es ist nicht die einzige Darbietung des Circus Krone, die an diesem Abend das Publikum begeistert. Am Freitag feierte der traditionsreiche Zirkus seine Hamburg-Premiere auf dem Heiligengeistfeld.
54 Künstler und 3000 Zuschauer
Es war eine Feier mit Gegenwind. Bevor die 54 Künstler mit 3000 Zuschauern Premiere mit ihrer Show „Evolution“ starteten, protestierten rund 300 Tierschützer verschiedener Organisationen gegen Wildtiere im Zirkus. Sie skandierten „Manege frei für Tierquälerei!“ oder „Tiere raus aus der Manege!“ Auch Besucher, darunter viele Kinder, wurden als „Tierquäler“ beschimpft.
„Dass Elefanten, Tiger, Löwen und ein Nashorn in der Manege vorgeführt werden und herabwürdigende Mätzchen machen müssen, nur um das Publikum zu unterhalten, verletzt die Tiere in ihrer Würde – mit Tradition ist diese Herabwürdigung von Tieren nicht zu rechtfertigen“, sagte Sandra Gulla, 1. Vorsitzende des Hamburger Tierschutzvereins, der die Demonstration federführend organisierte.
Trotz der Proteste lief im Innern des Zirkuszeltes alles reibungslos. Und Crazy Wilson feierte erfolgreich sein Comeback. Das Publikum dankte es dem 46-Jährigen mit Standing Ovations. Aus Begeisterung und vielleicht ein wenig auch aus Erleichterung, dass alles gut gegangen ist. Sicherlich ein Höhepunkt der Show neben den vielen Tierdarbietungen – wie der Flug der Aras und Kakadus von Alessio Fochesato, die frei über die Köpfe der Zuschauer fliegen. So dicht, dass teilweise der Flügelschlag zu spüren ist. Zur Musik von Enyas „Orinoco Flow“ hat das etwas Erhabenes. Oder die kalifornischen Seelöwen Itchy und Scratchy, die ganz klassisch Bälle jonglieren und dem Tiertrainer Carlo Erwin Frankello Küsschen geben. Sicherlich ist dieser Auftritt nicht im Sinne der Tierschützer draußen an der Glacischaussee. Ihrer Ansicht nach werden die Seelöwen vorgeführt, würdelos sei das. Auf den Rängen im Zelt aber gibt es viel Applaus.
Weltrekord mit 26 Tigern und Löwen
Würdevoll kommen die Pferde in der Dressur von Direktorin Jana Lacey-Krone herüber. Araber, Friesen, Noniusse und Cremellos hören auf ihr Kommando und sorgen für Gänsehautmomente – so harmonisch wirkt das Zusammenspiel von Mensch und Tier. Genau wie bei ihrem Ehemann Martin Lacey Jr. und seinen 26 weißen und goldfarbenen Tigern und Löwen, es ist die größte Raubtiernummer der Welt. Die Tiere fauchen und drohen zur FC St. Pauli-Hymne „Hells Bells“. Alles nur Show. Sie küssen den Dompteur, schmusen mit ihm, und der legt sich sogar auf sie. Und dann ein Weltrekord: 20 Tiere gehen gleichzeitig auf die Hinterbeine.
Und es sind nicht nur die Tiere, die an diesem Abend für Begeisterung sorgen. Außerdem im Repertoire: ein dreifacher Salto Mortale am fliegenden Trapez der Flying Zuniga, mongolische Seilsprünge der Truppe Khadgaa und die Clowns Fumagalli & Daris, die viele Zuschauer zum Lachen bringen.
Nashorn Tsavo als Botschafter
Und dann ist da der umstrittene Auftritt von Nashornbulle Tsavo, dem 39 Jahre alten 3,5 Tonnen schweren Kraftpaket. Vielleicht auf Druck der Proteste hält Direktorin Jana Lacey-Krone eine persönliche Ansprache und rechtfertigt sich: Kein Zoo habe Tsavo aufnehmen wollen. „Tsavo fungiert als Botschafter. Der Bestand an Nashörnern ist drastisch reduziert.“ Der Zirkus habe eine Patenschaft für ein Nashornbaby übernommen und ruft zu Spenden auf. Das erledigten auch viele Zuschauer gleich im Vorraum zur Manege.
Zirkus-Pressesprecher Andreas Kielbassa wies die Vorwürfe der Tierschützer zurück: „Ohne Liebe und Fürsorge geht es mit Tieren nicht. Wir werden besonders streng kontrolliert, was die Haltung unserer Tiere angeht. Es gibt nichts zu beanstanden.“ Eine Einladung an den Hamburger Tierschutzverein, sich die Haltung anzuschauen, hätte dieser nicht wahrgenommen, so der Sprecher. „Für jedes Tier gibt es einen Ernährungs- und Bewegungsplan. Nirgendwo ist die Haltung von Wildtieren so streng geregelt wie in Deutschland. Unsere Löwen und Tiger leben seit 21 Generationen in menschlicher Obhut und nicht mehr in der Wildnis.“
SPD und Grüne fordern Stopp von Wildtier-Shows
Die Bürgerschaftsfraktionen von SPD und Grüne fordern, dass Wildtiere nicht mehr im Zirkus zu sehen sind. „Wenn Tiere zur Schau gestellt werden, deren natürlicher Lebensraum die Wildnis ist, hört der Spaß auf“, sagte Christiane Blömeke (Grüne), Fraktions-Sprecherin für Tierschutzpolitik. Gert Kekstadt, Experte der SPD-Bürgerschaftsfraktion, bedauerte, dass die Hamburger Initiative im Bundesrat am Widerstand der Union gescheitert sei. „Zirkusvorstellungen können ein herausragendes Schauspiel sein, aber Wildtiere sollten nicht dazugehören.“
Hamburger, die die Arbeit von Mensch und Tier genauer beobachten wollen, können am kommenden Sonntag, 7. Oktober, um 10.30 Uhr bei einer Dressurprobe mit Martin Lacey Jr. dabei sein. Der Circus Krone gastiert noch bis zum 22. Oktober in Hamburg. Die Karten kosten zwischen 19 und 42 Euro. Tickets unter Telefon 01805-247287 und an der Zirkuskasse.