Hamburg. Designierter Burgtheaterdirektor kommt mit einem großen Stück. Kušej ist ein streitbarer Zeitgenosse.

Martin Kušej, österreichischer Theaterregisseur und Noch-Intendant des Residenztheaters München, ist ein streitbarer Zeitgenosse. Seine vielfach ausgezeichneten Regiearbeiten sind beim Theaterpublikum wegen ihrer Präzision innig geliebt und wegen ihrer Unerbittlichkeit ebenso gefürchtet. Ein „Stückezertrümmerer“, als der er lange galt, ist er aber schon lange nicht mehr. Vom 3. bis 5. Oktober gastiert Kušej mit dem hochgelobten Gastspiel „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, nach dem Filmdrama von Rainer Werner Fassbinder, in dem unter anderem Bibiana Beglau und Sophie von Kessel mitwirken, beim Hamburger Theaterfestival.

Fassbinder war ein Filmemacher, der bis heute provoziert. „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ spiegelt die fatale Verbindung aus Macht und Liebe. Worin besteht seine Aktualität?

Martin Kušej: „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ handelt – wie alle Filme und Theaterstücke von Fassbinder – von Liebe als Machtspiel, als eine Art, in der Menschen sich gegenseitig und sich selbst erniedrigen. Das ist zeitlos, damit auch heute aktuell und geht am Publikum nicht spurlos vorüber. Durch die Raumsituation meiner Inszenierung, durch die der Zuschauer Teil der Aufführung ist, wird dieser nicht nur zum Voy­eur der Liebe, des Kraftspiels von Petra von Kant und Karin Thimm, sondern sieht auch die Theatergänger neben sich mit anderem Blick.

Sie inszenieren einen Abend mit sechs starken Frauen. Fassbinder selbst räumte ein, dass das Image des Films von 1972 von Frauen nicht geschätzt wurde. Warum?

Kušej: Sein Blick war schonungslos, er machte keinen Unterschied bei Männern oder Frauen. Ich denke, es wurde vielfach nicht erkannt, dass es ihm hier nicht um die dezidierte Darstellung von Geschlechterrollen ging.

Sie sind für eine unerbittliche Regie und die Sezierung gesellschaftlicher Verhältnisse bekannt. Harte Schnitte, frostige Atmosphäre. Sind Sie dahinter ein verkappter Romantiker?

Kušej: Verkappt bin ich sicher nicht! Grundsätzlich bin ich jemand, der seine Umwelt eher nüchtern betrachtet und analysiert. Das ist angesichts aktueller Entwicklungen wie der Reduzierung öffentlicher Debatten auf den Austausch einfacher, medienwirksamer Schlagworte und populistisches Schwarz-Weiß schon ernüchternd. Und doch träume ich davon, dass wir gegen das Zerbröckeln unserer Demokratien erfolgreich ankämpfen werden, gegen das Ausein­anderdriften und den Nationalismus die Idee eines solidarischen Europas stellen werden. So gesehen bin ich auch ein Romantiker.

Hamburg ist eine wichtige Station in Ihrer Vita. Inszenierungen wie „Geschichten aus dem Wiener Wald“ (1998) oder „Gespenstersonate“ (2000, beides am Thalia Theater) sind hier unvergessen. Seit 2011 sind Sie Intendant des Residenztheaters in München. Im September 2019 übernehmen Sie das Wiener Burgtheater. Braucht jede Stadt ein anderes Theater?

Kušej: Ja und nein. In all diesen drei Städten gibt es ein offenes, leidenschaftliches Theaterpublikum. Und dennoch hat das Burgtheater mit seiner Stellung innerhalb Österreichs noch einmal eine andere Historie beziehungsweise einen anderen Stand als das Thalia Theater oder das Residenztheater. Wien ist eine pulsierende Stadt voller verschiedener Kulturen und Sprachen, ich will das Burgtheater für diese öffnen.

Es gibt seit Langem schon einen Richtungsstreit über die Zukunft des Theaters, seine Formen und die Institution Stadttheater. Viele Ensembles, auch in Hamburg, fordern neue Wege der Mitbestimmung. Wie sieht für Sie das Theater der Zukunft aus?

Kušej: Die Debatte darüber finde ich richtig und wichtig. Es ist nicht einfach, das haben wir schon beim Mitbestimmungstheater an den Frankfurter Theatern in den 1970er-Jahren gesehen. Ich halte beispielsweise nichts davon, dass Spieler in einem Gremium mit über die Besetzung von Ensemblekollegen entscheiden – wie soll das gehen? Aber das ist natürlich Schnee von gestern – wie all die Themen der 60er- und 70er-Jahre.

Niemand weiß heute noch, dass das alles schon mal durchdekliniert wurde. Viel interessanter ist die Betrachtung des sogenannten postdramatischen und dekonstruktivistischen Theaters. Unter diesen Schlagwörtern findet heute vor allem ein Gegenwärtigkeitskult statt, der von Moden geprägt ist und Tür und Tor öffnet für dilettantische und laienhafte Versuche, die mit den grundsätzlichen Fragestellungen von Theater und Kunst nichts mehr zu tun haben. Das ist für mich und viele andere Theaterschaffende in hohem Maße unerträglich.

„Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ Mi 3.10. bis Fr 5.10., 19.30, Kampnagel, Jarrestr. 20-24, Karten zu 52 Euro unter T. 27 09 49 49;

Das Hamburger Theaterfestival läuft bis zum 28. November. Programm und Karten: www.hamburger-theaterfestival.de