Hamburg. Nikolaus Habjan spricht mit dem Abendblatt über das Stück „F. Zawrel – Erbbiologisch und sozial minderwertig“.
In dem Figurentheaterstück „F. Zawrel – Erbbiologisch und sozial minderwertig“, das im Rahmen des Theaterfestivalsam Sonntag im St. Pauli Theater zu sehen ist, erzählt der Wiener Puppenspieler Nikolaus Habjan die wahre Geschichte Friedrich Zawrels, der in den 1930er-Jahren, aus prekären Verhältnissen stammend, in Pflegefamilien und Heimen aufwuchs. In der Krankenanstalt Am Spiegelgrund wurde er Opfer der „medizinischen“ Versuche der Nazis. Ihm gelang die Flucht, nach dem Krieg jedoch traf er seinen ehemaligen Folterer wieder, Heinrich Gross, nunmehr angesehener Gerichtsgutachter und Mitglied der SPÖ.
Was war Ihr Antrieb, Kontakt mit Herrn Zawrel aufzunehmen?
Nikolaus Habjan: In der Schule gab es keinen Kontakt mit Zeitzeugen. Der Geschichtsunterricht war schlecht. Und ich wollte nicht mit Schwerpunkt auf den NS-Tätern erzählen. Mir ging es um die Jahre von 1945 bis jetzt und die Frage, wie die Republik Österreich mit ihrer Vergangenheit umgeht. 2011 habe ich Friedrich Zawrel zum ersten Mal getroffen. Wir waren befreundet bis zu seinem Tod 2015. Was er erzählte, war zum Teil schwer auszuhalten. Der Mensch, dem das passiert ist, sitzt vor einem. Die 30 Stunden Tonmaterial habe ich auf zwei Stunden eingedampft. Der Text im Stück ist dokumentarisch.
Wie hat Herr Zawrel die Kraft aufgebracht, sein Leid immer wieder zu durchleben in Vorträgen und im Theater?
Habjan: Darauf hat er nicht wirklich eine Antwort geben können. Es gibt einen Moment, wo man in einen absoluten Abgrund reinschaut. Viele schaffen es nicht, Distanz zu halten, andere entscheiden sich dagegen, werden dadurch stärker. Obwohl er ein schwer traumatisierter Mensch gewesen sein muss, war er offen und freundlich von der ersten Sekunde an. Er hat in einem Kellerloch gewohnt und man denkt, da kann kein halbwegs funktionierender Mensch bei rauskommen, doch das ist er gewesen.
Wie ist es möglich, dass ein NS-Arzt wie Heinrich Gross zum meistbeschäftigten Gerichtspsychiater in der Nachkriegsära aufsteigen konnte?
Habjan: Das ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte der SPÖ. Es gibt einen ähnlichen Fall in der ÖVP. Man hat das verdrängt, um Leute in die Partei zu holen. Es ist so schrecklich, dass der Mensch für seine Taten nie verurteilt wurde. Es gab später den Versuch, da galt er aber schon als verhandlungsunfähig.
Sie kommen vom Musiktheater, treten aber inzwischen mit selbst gebauten Puppen auf. Was fasziniert an dieser Theaterform?
Habjan: So eine Geschichte könnte ich nicht mit Menschen erzählen. Mit der Puppe kann ich realistisch sein, arbeite aber immer mit Stilisierungen.
„F. Zawrel – Erbbiologisch und sozial minderwertig“ 30.9., 19.00, St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29–30, Karten 18,- bis 41,- unter T. 47 11 06 66