Hamburg. Zum Auftakt war das Stück „Grimmige Märchen“ von Herbert Fritsch zu sehen. Insgesamt gibt es 17 Vorstellungen.

Der arme Peter Tschentscher! Eigentlich hätte der Erste Bürgermeister am Donnerstagabend im Ernst Deutsch Theater die Eröffnungsrede zur zehnten Ausgabe des Hamburger Theaterfestivalshalten sollen. Aber dann wurde Tschentscher nach Berlin gerufen, wo sich seine SPD gerade in einer Regierungskrise zerlegt, und das ist ein weitaus weniger schöner Termin.

Unschön auch für Tschentschers Parteikollegin, Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt, die kurzfristig für die Eröffnung einspringen und eine entsprechend unfertig wirkende Rede halten musste. „Hamburg erlebte einen herausragenden Sommer“, begann sie halbwegs geschickt, um von südeuropäisch anmutenden Temperaturen zu den Kulturhighlights zu wechseln, vom Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel über das New-Hamburg-Festival auf der Veddel bis zum Hamburger Theaterfestival. Wobei diese drei Veranstaltungen kaum etwas miteinander zu tun haben, aber sei es drum, Stapelfeldt hatte ja wenig Zeit zur Vorbereitung.

„Der kulturelle Dialog scheint gestört“

Anders Festival-Intendant Nikolaus Besch, der in seiner Rede auf die Veränderungen und Umbrüche der Gegenwart zielte: „Der kulturelle Dialog scheint gestört“, konstatierte Besch, um dann das Theater als Kitt für die Gesellschaft zu empfehlen, Theater, das nicht didaktisch agiere, sondern sinnlich. Und er hat ja recht, das Theater hat der politischen Kommunikation etwas voraus: „Politische Talkrunden müssen in Sekunden eine Position finden, das Theater dagegen macht einen Raum auf.“ Raum für eine voraussetzungsfreie Diskussion. Womit man wieder bei der Regierungskrise wäre und bei der SPD. Der arme Peter Tschentscher!

Während dreier Festivalmonate gibt es insgesamt 17 Vorstellungen zu sehen, unter anderem vom Burgtheater, vom Deutschen Theater und vom Münchner Residenztheater. Allerdings machte die Eröffnungspremiere den von Besch beschworenen Raum eben nicht auf: Herbert Fritsch hat als sein eigener Bühnenbildner für „Grimmige Märchen“ am Schauspielhaus Zürich nämlich einen extrem abgeschlossenen Raum gebaut, gefüllt mit einem gar nicht kuscheligen Riesenkissen, das den Schauspielern nahezu die Luft zum Atmen nimmt.

Postmodernes Märchentheater

Zombies purzelten da aus bekannteren wie unbekannteren Grimm-Märchen in Fritschs Inszenierung und zeigten dort eine Art postmodernes Märchentheater, Fetzen aus „Hänsel und Gretel“, aus „Marienkind“, aus „Der süße Brei“, immer möglichst böse, immer möglichst grimmig und grausig. Grusellust.

Von einer Kinderleiche wurde da erzählt, einer Leiche, die zwar begraben war, aber immer wieder das kleine Ärmchen aus dem Erdreich hob. Und dann hob das wunderbare Fritsch-Ensemble die rechten Ärmchen zum Hitlergruß. Hinter jedem Märchen liegt das Grauen, aber bei Fritsch ist dieses Grauen noch viel grausiger als im Original. „Grimmige Märchen“ jedenfalls war ein hochvirtuoser, böser Auftakt des Hamburger Theaterfestivals, und man hätte es Bürgermeister Tschentscher gegönnt, diesen Abend zu sehen.

Hamburger Theaterfestival bis 28. November, www.hamburgertheaterfestival.de