Hamburg. CDU und FDP beantragen in der Bürgerschaft die Vorlage aller Dokumente. Warum die Annahme als sicher gilt.
Im Streit um den Rückkauf des Fernwärmenetzes zieht die Opposition eines ihrer schärfsten Schwerter: FDP und CDU beantragen die Vorlage sämtlicher Akten der Stadt zu dem Thema. In der Bürgerschaftssitzung am heutigen Mittwoch wollen beide Fraktionen von dem Minderheitenrecht Gebrauch machen und die Vorlage nach Artikel 30 der Hamburger Verfassung beantragen. Dafür muss mindestens ein Fünftel der 121 Bürgerschaftsabgeordneten zustimmen. Da CDU und FDP 29 Abgeordnete stellen, gilt die Annahme des Antrags als sicher. Denkbar ist, dass auch andere Fraktionen der Aktenvorlage zustimmen.
Hintergrund ist der Streit über die Frage, ob der 2013 im Volksentscheid beschlossene Rückkauf der Fernwärme angesichts der aktuellen Umstände rechtlich überhaupt möglich ist. Bereits heute besitzt die Stadt 25,1 Prozent der Fernwärmegesellschaft, der Rest gehört dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall. In einer Art Vorvertrag hatten der SPD-Senat und Vattenfall im Januar 2014 eine Kaufoption vereinbart.
Bürgerschaft muss auch entscheiden
Danach muss die Stadt bis Ende November 2018 entscheiden, ob sie die verbleibenden 74,9 Prozent von Vattenfall 2019 übernehmen will. Für das gesamte Netz wurde damals ein Mindestpreis von 950 Millionen Euro festgelegt. Nun aber hat ein Gutachten ergeben, dass das Netz nur noch 645 Millionen Euro wert ist. Die Stadt müsste also weit überteuert kaufen. Das aber halten manche Beobachter für rechtlich problematisch, da der Senat laut Landeshaushaltsordnung wirtschaftlich agieren muss.
Die entscheidenden Wertgutachten wurden unter Verschluss gehalten – vor allem mit Blick auf Geschäftsgeheimnisse. Das könnte sich nun ändern. Denn in ihrem Antrag fordern FDP und CDU, „sämtliche Vermerke, Gutachten, gutachterliche Stellungnahmen, Untersuchungen und sonstige Unterlagen“ vorzulegen – und zwar nach Senatsbeschluss zum Rückkauf. Während der Entscheidungsfindung hätte der Senat die Vorlage laut FDP ablehnen können. Nach dem Senatsbeschluss aber muss auch noch die Bürgerschaft über das Milliardengeschäft entscheiden – und zwar spätestens am 28. November, der letzten vor Fristende angesetzten Plenarsitzung.
Zentrale Frage
„Der rot-grüne Senat verursacht beim Fernwärmenetzrückkauf größtmögliche Intransparenz“, sagte FDP-Fraktionschef Michael Kruse dem Abendblatt. „Der Volksentscheid zum Rückkauf hatte zum Ziel, dass mehr Transparenz entsteht. Die Gutachtenschlacht, die sich rote und grüne Behörden im Moment liefern, führt zum genauen Gegenteil. Wir wollen mit dem Aktenvorlageersuchen sicherstellen, dass sich die Bürgerschaft rechtzeitig im angemessenen Umfang über die Aktenlage informieren kann.“
Der rot-grüne Senat habe zuletzt bei der Einigung mit der Kita-Initiative „gezeigt, dass ihn eine angemessene Beratungszeit für das Parlament nicht interessiert“, so Kruse. „Da zwei Monate vor der Deadline weder klar ist, ob Hamburg das Fernwärmenetz überhaupt zurückkaufen darf, noch, welche Auswirkungen das Senatskonzept überhaupt mit sich bringt, muss der Senat unmittelbar nach Beschluss alle Informationen offenlegen.“ Im Mittelpunkt der Diskussion stehe „eine zentrale Frage“, so Kruse: „Lässt die SPD es zu, dass eine ökonomisch und ökologisch sinnvolle Lösung wie der Anschluss Moorburgs von den Grünen im Senat verhindert wird? Die Fernwärmekunden werden für die grüne Blockade teuer bezahlen müssen.“
Entscheidender Punkt
CDU-Umweltpolitiker Stephan Gamm sagte, man wolle „durch Akteneinsicht und Transparenz die dramatische Preissteigerung für Hamburgs Fernwärmekunden noch verhindern“. So solle etwa geklärt werden, wie Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) zu der Aussage komme, „dass die Preise um maximal zehn Prozent steigen werden“. Es stelle sich auch die Frage, „inwieweit fachliche Erkenntnisse so weit gebeugt werden, dass sie der grünen Ökochonder-Politik nicht komplett widersprechen“, so Gamm. „Wir müssen derzeit davon ausgehen, dass der Senat uns wichtige Informationen vorenthält, um an diesem Projekt festhalten zu können, auch wenn alle rational vernünftigen Gründe dagegensprechen.“
Grünen-Umweltpolitikerin Ulrike Sparr betonte, dass auch die Grünen Transparenz wollten: „Es ist klar, dass alle Akten zur Beurteilung des Verkaufsprozesses vorgelegt werden, soweit dies juristisch möglich ist“, sagte sie. Das allerdings könnte ein entscheidender Punkt werden. Denkbar ist, dass die Abgeordneten wichtige Teile der Unterlagen am Ende doch nicht zu sehen bekommen – weil sie Betriebsgeheimnisse von Vattenfall berühren.