Hamburg. Fisch-Expertin Najwa Hussein arbeitet als professionelle Führerin und ist mit ihren Gästen mitten im Hafen unterwegs.
Nein, an eine Gruppe Angler wird der unbedarfte Beobachter hier am Finkenwerder Rüschpark wohl kaum zuerst denken, wenn er, wie heute, Najwa Hussein in ihrem offenen Motorboot sieht. Die dunklen Haare hat sie unter eine Schirmmütze gesteckt und zischt dort mit rauschender Heckwelle über die Elbe. Hoch sitzt sie dabei auf einer Art drehbarem Kommandostuhl, auffallend die Lackierung ihres 80 PS starken Aluminiumbootes „Crocodile“ mit giftig-grünen Krokodil-Motiven. Vier Passagiere sitzen etwas tiefer, alle an Bord tragen dunkle Sonnenbrillen. Vielleicht eine neue Trendsportart, könnte man jetzt denken. Doch „Natsch“, wie die 39-Jährige von Freunden und Gästen genannt wird, ist hier tatsächlich mit Anglern unterwegs. So wie an vielen anderen Tagen auch.
Und die Mitfahrer kommen oft ganz aus Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern oder sogar der Schweiz und Österreich an die Elbe. Najwa Hussein ist Angel-Guide. Also jemand, der die besten Fangplätze kennt, genau weiß, wie sich Zander oder Barsche in der Elbe bei Regen, Kälte oder Hitze verhalten. Und sie ist womöglich der einzige weibliche Angel-Guide Deutschlands. „Ich kenne jedenfalls keine andere“, sagt sie und hält auf ein anderes Motorboot zu, in dem ebenfalls eine Gruppe Angler sitzt. Gesteuert wird es von Andreas Panten, Geschäfts- und Lebenspartner von „Natsch“. „57“ und „62“ rufen sich die Bootscrews zu — Zahlen, die die Größe der gefangenen Fische angeben. „Schöne Dinger“, ruft einer der Angler begeistert.
Das Angeln ist sportlicher und jünger geworden
Vor zehn Jahren haben die beiden ihr Unternehmen Pro Guiding gegründet, das professionelle Bootstouren zu den besten Angelplätzen anbietet. Aber nicht irgendwo an einsamen Ostseeküsten, sondern eben mitten im Hafen. Gegründet wurde Pro Guiding zu einer Zeit, als das Angeln gerade einen deutlichen Imagewandel erlebte. Das Bild von Männern, die unter großen Regenschirmen hocken und düster auf einen einsamen Teich schauen, findet man zwar immer noch, aber nicht nur: „Streetfishing“, heißt es heute. Oder auch „Urbanfishing“.
Geangelt wird teils mitten in der Stadt. Eine Revolution gab es auf dem Zubehörmarkt: wer will, kann auch schon einmal viel Geld für teure Carbonangelruten aus japanischer Fertigung ausgeben. Bunte Köderfische aus Gummi sind nicht selten „handgegossen“, wie bei Najwa Hussein an Bord, die Ausrüstung für ihre Gäste dabei hat. „Viel zum Ausprobieren“, sagt sie. Man sei als Angler heute eben aktiver, der „direkte Biss“ beim Vertikalangeln unmittelbar unter einem Boot – das sei beispielsweise ein Erlebnis, das die Gäste suchen: „Man muss den Köder über den Steinen tanzen lassen“, sagt sie. Angeln sei damit sportlicher und jünger geworden.
Über Umwege zum Angeln gekommen
Sie selbst ist auch erst über Umwege zum Angeln gekommen und hat den Reiz dieser Form der Jagd dann entdeckt. Als die bei Braunschweig in Bad Harzburg aufgewachsene Industriedesignerin ihren heutigen Partner kennenlernte, beschäftigte sie sich zum ersten Mal mit dem Angeln und machte es bald zum Hobby. „Sonst hätten wir uns ja kaum gesehen“, sagt sie und lacht.
Seinerzeit waren Frauen in der Szene noch sehr selten, und auch anfangs, als sie das Hobby zur Profession machte, hat sich mancher hartgesottene Petrijünger über diesen Angel-Guide noch gewundert: „Kann die das?“ Doch auch dieses Bild hat sich gewandelt, Angeln ist keine reine Männerdomäne mehr, und heute sind immer öfter Gäste von ihr auch Frauen, sagt Natsch. Wobei diese Durchsetzung in einer Männerwelt auch etwas mit ihrer Familiengeschichte zu tun haben muss. Ihre kleinere Schwester Riem Hussein, eine promovierte Apothekerin, ist eine bekannte deutsche Fifa-Schiedsrichterin und pfeift auch im professionellen Männerfußball.
Fische haben kein eigenes Bewusstsein
Tatsächlich ist heute mit Verena Schmidt auch eine Frau an Bord, die das direkte Angeln vom Boot aus in der Elbe erleben möchte und einen großen Zander bereits gefangen hat. Natürlich sei das anders, als Fischstäbchen im Supermarkt zu kaufen, sagt sie. Der Fisch bekommt zur Betäubung einen Schlag auf den Kopf, dann einen Stich ins Herz. Schmerz empfinden Fische nicht, weil sie kein eigenes Bewusstsein haben, sagen Angler und beweisen auch viele Fischbiologen.
Die 43 Jahre alte Bankkauffrau aus Unna hat die rund achtstündige Tour zu Weihnachten geschenkt bekommen, nachdem sie während eines Norwegenurlaubs das Angeln für sich entdeckt hatte, wie sie erzählt. „Im Job habe ich viel Trubel, hier kann ich völlig abschalten“, sagt sie. Und dann sei da natürlich die „wahnsinnige Skyline“ von Hamburg, die das Angeln hier zum besonderen Erlebnis machen würde. Allerdings ist es nicht das Großstadtflair allein, das so viele Angler an die Elbe lockt: Die Stadt und ihr Hafen gelten als letzte Bastion des freien Angelns im Land, wie es beim Anglerverband heißt. Während die meisten Gewässer sonst an Vereine verpachtet sind, kann man in Hamburg auf der Elbe bis auf wenige Ausnahmen frei angeln. Lediglich einen Fischereischein benötigt man, muss Schonzeiten und Mindestgrößen beachten.
Barsch, Rapfen und Zander
Und eben wissen, wo die besten Stellen sind. In der Stadt gibt es schon lange eine feste Szene des Streetfishings: mitten im Hafen oder auch an den Kanälen zwischen den Bürohäusern stehen die Angler da. Oder sie angeln eben mit Najwa Hussein direkt vom Boot aus. „Das ist dann noch wieder etwas Besonderes“, sagte Uwe Gehrke, der selbst aus Hamburg kommt und Stammgast bei Pro Guiding ist. Jedes Jahr bucht er im Voraus etliche Termine, rechtzeitig. Denn mittlerweile sind viele Plätze schon zu Jahresbeginn ausgebucht.
Barsch, Rapfen und eben Zander werden dabei am meisten geangelt. Der Fisch mit der markanten Rückenflosse fühlt sich in der Elbe besonders wohl, sagt Natsch. Strömung, ständiger Wechsel von Ebbe und Flut, eher trübes Wasser und ein reichhaltiges Angebot an Nahrung wie die kleinen Stint-Fische — das sei das richtige Revier für Zander. „Das mag er“, sagt Natsch. Mal hält er sich bei seiner Jagd nach Beutefischen in Nebengewässern auf, mal tief an Spundwänden mitten im Hafen. Manchmal ist das Beißverhalten auch abhängig vom Luftdruck.
Gefühl für den richtigen Zeitpunkt
Natsch trägt daher immer eine dicke Uhr mit Barometer. „Mit der Zeit entwickelt man das richtige Gefühl dafür, wo der Zander gerade steht“, sagt sie. Und sie hat offensichtlich auch mit ihren professionellen Angeltouren mitten in Hamburg das richtige Gefühl für den richtigen Zeitpunkt gehabt. Bis zu sechsmal in der Woche ist sie in der Saison mit ihren Kunden und dem grünen auffälligen Boot mittlerweile unterwegs auf dem Fluss.
Ob eine Frau tatsächlich ein guter Angel-Guide sein kann – das wird sie heute nicht mehr gefragt.