Hamburg. Etliche Regierungsmitglieder sind bundesweit aktiv. Bürgermeister übernimmt bald den Vorsitz der Ministerpräsidenten-Konferenz.
Zugegeben, wenn Hamburg in Berlin auf die Tonne haut, hat das nicht immer den gewünschten Effekt. So blieb kürzlich vom Jahresfest der Landesvertretung, einem der rauschendsten Feste in der Hauptstadt, vor allem in Erinnerung, dass dort auch einige recht freizügig bekleidete Damen das Bühnenprogramm bestritten hatten – was nicht alle Besucher als angemessen empfanden.
Dass Hamburg einmal im Jahr derart offensiv auf sich aufmerksam macht, ist aber kein Ausrutscher, sondern Teil einer Strategie: Für kleine Bundesländer und Stadtstaaten ist es halt naturgemäß schwierig, sich in Berlin Gehör zu verschaffen, eine schillernde Politik-Party kann da helfen.
Diskrete Strategie
Entscheidender ist aber der andere, diskrete Teil der Strategie: Bei vielen wichtigen Fachentscheidungen auf Bundesebene reden Hamburger Vertreter hinter den Kulissen ein gewichtiges Wörtchen mit, und das ist kein Zufall. Zwar war die Hansestadt auch früher nie ohne Einfluss, doch unter dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz wurde dieser noch einmal erheblich erweitert.
Der frühere Minister und SPD-Generalsekretär war vom Selbstver-ständnis her immer Bundespolitiker geblieben, kannte die Schaltstellen der Macht und hatte seine Senatsmitglieder daher stets ermuntert, sich nach seinem Vorbild aktiv in die Bundespolitik einzumischen. Wie sich in dieser Woche mehrfach zeigte, setzt der Senat unter dem neuen Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) diese Strategie fort – mal öffentlichkeitswirksam, mal diskret, mal mit Erfolg, mal weniger.
Herbe Niederlage
Der Termin am Mittwoch in Karlsruhe war für die Hansestadt jedenfalls eine herbe Niederlage. Vor dem Bundesverfassungsgericht vertrat Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) die Klage Hamburgs und Berlins gegen den Zensus: Diese 2011 durchgeführte „Volkszählung“, die in Wahrheit nur eine hochgerechnete Stichprobe war, hatte die größten Städte Deutschlands kräftig schrumpfen lassen. Und da die Einwohnerzahlen erheblichen Einfluss auf die Verteilung der Steuern hat, entgehen allein Hamburg dadurch mehr als 100 Millionen Euro – pro Jahr.
Die Klage wurde zwar abgewiesen, aber aus der fast 90-minütigen Begründung der Verfassungsrichter konnte der Top-Jurist Dressel immerhin „viele Hinweise zur Fehlerkorrektur“ heraushören, die beim nächsten Zensus 2021 zu beachten sein werden, wie er danach sagte – und die ihn hoffen lassen, dass Hamburg von den Statistikern nicht noch einmal geschrumpft wird. Sein Fazit: „Der Gang nach Karlsruhe war nicht umsonst.“
Angenehmer Nebeneffekt
Angenehmer Nebeneffekt: Der seit April amtierende Senator konnte bundesweit eine erste Duftmarke setzen. An der zweiten arbeitet er bereits, kurioserweise ausgerechnet mit einem CSU-Kollegen: Hamburg und Bayern haben die von den anderen Ländern im Bundesrat beschlossene Reform der Grundsteuer blockiert, weil sie befürchten, dass diese die Mieten in den Großstädten explodieren lässt. Stattdessen haben sie ein Modell vorgeschlagen, das sich nicht mehr am Wert von Grundstücken und Immobilien orientiert, sondern an deren Fläche. Dressel hat nun den Auftrag, diese Idee zu einem durchgerechneten „Flächenmodell“ weiterzuentwickeln und noch im Herbst in die Debatte einzubringen – die Aufmerksamkeit dürfte ihm dann gewiss sein.
Als Erfolg galt aus Hamburger Sicht das Gute-Kita-Gesetz, das die Bundesregierung am Mittwoch beschlossen hat. 5,5 Milliarden Euro stellt der Bund den Ländern von 2019 bis 2022 zur Verbesserung der Kinderbetreuung zur Verfügung. Für die Hansestadt, die sich gerade mit einer Volksinitiative auf mehr Personal für die Kitas verständigt hat, kommt das Geld wie gerufen – aber keineswegs überraschend. Denn Sozialsenatorin Melanie Leonhard ist nicht nur SPD-Landesvorsitzende, sondern auch Koordinatorin der SPD-regierten Länder („A-Länder“ – „B-Länder“ sind unionsgeführt) für die Themen Familie, Arbeit, Soziales und Integration – als solche war sie in die Planungen ihrer Parteifreundin, Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, eng eingebunden.
Ungewöhnliche Aufgabe für Steffen
Ähnliches gilt für Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD): Sie koordiniert die A-Länder bei den Themen Pflege und Gesundheit und gilt auf diesem Gebiet seit vielen Jahren als eine der bundesweit einflussreichsten Politikerinnen. Auch an dem neuen „Pflegepersonal-Stärkungsgesetz“ von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sei sie maßgeblich beteiligt gewesen, heißt es aus ihrem Umfeld.
Auch grüne Senatsmitglieder sind auf Bundesebene aktiv: So hat Justizsenator Till Steffen die ungewöhnliche Aufgabe, als Grüner die gesamte A-Seite zu koordinieren, was in diesem Fall alle von SPD, Grünen oder Linken geführten Justizministerien umfasst. Und die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank redet in ihrer Partei ein wichtiges Wort mit. Unter anderem vertritt sie alle grünen Landesregierungen im „Parteirat“, einem einflussreichen Gremium der Bundes-Grünen.
Tschentscher auf Spuren von Scholz
Der Bürgermeister selbst wandelt derweil auf den Spuren seines Vorgängers: So hat Tschentscher von Scholz das Amt als Bevollmächtigter der Bundesrepublik für die kulturellen Beziehungen zu Frankreich übernommen und ist in dieser Funktion häufig im Nachbarland. Wenn es geht, verbindet er dabei beide Ämter: So besuchte er vergangene Woche in Toulouse als Bürgermeister das Airbus-Werk und führte als Kulturbevollmächtigter Gespräche über Bildungskooperationen.
Einen Pflichttermin auf Bundesebene hatte Tschentscher am Freitag: Beim „Wohngipfel“ im Kanzleramt ging es um das nicht nur für Hamburg wichtigste Thema – die Förderung des Wohnungsbaus. Dabei zeigte sich auf kuriose Weise, wie hilfreich es ist, an den entscheidenden Stellen Unterstützer zu haben: Die Zusage, dass der Bund den Kommunen mehr Grundstücke zur Verfügung stellen wird, kam von Bundesfinanzminister Scholz. Dessen Ministerium untersteht die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, und deren Führung übernimmt in einigen Tagen der Noch-Chef der Hamburger Senatskanzlei, Christoph Krupp (SPD). Die guten Drähte werden also noch kürzer.
Prominente Rolle
Tschentscher selbst wird am 1. Oktober eine prominente Rolle übernehmen, die selbst Scholz nie innehatte: den Vorsitz der Ministerpräsidenten-Konferenz. Ende Oktober wird er alle Ministerpräsidenten in Hamburg empfangen, 2019 dann erneut. Zwar wird diese Funktion nicht per Wahl vergeben und ist insofern kein Leistungsnachweis. Dass Hamburg das fünfte Mal nach 1964, 1975, 1986 und 2002 ein Jahr lang die Interessen aller Bundesländer vertreten darf, ist für den neuen Bürgermeister dennoch eine große Chance, sich zu profilieren. Freizügige Tanzeinlagen sind dann entbehrlich.